Reemtsma-Direktanspruch: Unrichtige Rechnung nötig

Ein Direktanspruch auf Umsatzsteuererstattung kann nur dann gegenüber der Finanzverwaltung geltend gemacht werden, wenn eine Steuer in einer Rechnung für eine Leistung zu Unrecht gesondert ausgewiesen wurde.

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Der sog. Reemtsma-Direktanspruch lässt es zu, dass ein Steuerpflichtiger in bestimmten Ausnahmefällen Anträge auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Umsatzsteuer nicht gegen den Leistenden, sondern unmittelbar gegen den Fiskus richten kann.

In der Reemtsma-Entscheidung des EuGH v. 15.3.2007 (C-35/05) bejahte der EuGH einen solchen Anspruch für einen Sachverhalt, in dem ein Unternehmer aus Italien einem deutschen Leistungsempfänger unzutreffend italienische statt deutsche Mehrwertsteuer berechnet hatte, und der Anspruch gegen den Unternehmer selbst wegen Zahlungsunfähigkeit nicht durchgesetzt werden konnte.

Später wendete der EuGH die Grundsätze auf Sachverhalte an, in denen in Ungarn eine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach rein nationalem Recht übersehen worden war (EuGH, Urteil v. 26.4.2017, C-564/15).

Über einen Direktanspruch in der Umsatzsteuer ist nach der Verwaltungsauffassung im Rahmen eines Billigkeitsverfahrens nach den §§ 163, 227 AO zu entscheiden (BMF, Schreiben v. 12.4.2022, BStBl I 2022, 652). Zuständig für die Entscheidung über diese Billigkeitsmaßnahme ist das für die Umsatzsteuerfestsetzung des Leistungsempfängers zuständige FA. Zu entscheiden ist regelmäßig darüber, ob ein Betrag in Höhe der in den fraglichen Rechnungen falsch ausgewiesenen Umsatzsteuer trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerlichen Voraussetzungen – jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis – als Vorsteuer zu berücksichtigen bzw. ein entsprechender Steueranspruch zu erlassen ist.

Vom BFH zu klärende Frage

Der BFH hatte nunmehr zu klären, ob ein Direktanspruch zusteht, wenn Bonusgewährungen fälschlicherweise umsatzsteuerpflichtig abgerechnet wurden und der Vorsteuerabzug hieraus versagt wird.

Sachverhalt: Versagung des Vorsteuerabzugs aus Bonusrechnungen

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:

  • Die Klägerin veräußerte an eine Einzelhandelskette Babynahrung zu einem USt-Satz von 7%.
  • Bei Überschreiten bestimmter Umsatzzahlen zahlte sie einen Teil des Entgelts als Bonus zurück.
  • Anstatt diese Rückzahlung zutreffend als Entgeltminderung in Bezug auf den Ausgangsumsatz zu behandeln (§ 17 UStG), nahmen Klägerin und Einzelhändler fälschlicherweise an, dass der Rückzahlung eine (Werbe-)Leistung des Händlers an die Klägerin gegen Entgelt bei einem Steuersatz von 16% zu Grunde lag.
  • In der Folge versteuerte der Händler diesen Umsatz und die Klägerin zog die Vorsteuer in selbiger Höhe ab.
  • Das FA beanstandete diesen Vorgang und forderte von der Klägerin die Differenz zwischen der zutreffenden 7 %-Entgeltminderung und dem 16 %-Vorsteuerabzug zurück.
  • Als sich die Klägerin die an das FA gezahlte Differenz von der Einzelhandelskette erstatten lassen wollte, war diese bereits insolvent.
  • Eine Erstattung auslösende Rechnungsberichtigung (§ 14c Abs. 2 Satz 5 i. V. m. § 17 UStG) der Großhandelskette scheiterte, da der BFH in den ausgestellten Dokumenten nur handelsrechtliche Abrechnungen, aber keine Rechnungen i. S. des § 14c UStG erblickte (BFH, Urteil v. 26.6.2019, XI R 5/18, BStBl II 2023, 521).
  • Eine Berichtigung des Ausgangsjahrs scheiterte an der mittlerweile eingetretenen Festsetzungsverjährung.

Hessisches FG: Kein umsatzsteuerlicher Direktanspruch

Das Hessische FG verneinte den Direktanspruch gegen die Finanzverwaltung auf Erstattung der Umsatzsteuer (Urteil v. 13.3.2023, 6 K 1284/21, EFG 2024, 792).

Entscheidung: Kein Direktanspruch mangels Steuerausweis in einer Rechnung

Die Revision war unbegründet. Das FG hat einen Direktanspruch zu Recht verneint, da es an einem Steuerausweis in einer Rechnung fehlt.

Praxisfolgen

Der BFH weist in der Besprechungsentscheidung auch darauf hin, dass über die Frage des materiell-rechtlichen Vorsteuerabzugs nur im Rahmen des Festsetzungsverfahrens und nicht im Billigkeitsverfahren zu entscheiden sei.

Beachtenswert ist zudem eine EuGH-Entscheidung v. 4.9.2024 (C-83/24 – H GmbH – Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 3.11.2022, XI R 6/21, BStBl II 2023, 469). Für die Durchsetzung des Direktanspruchs in grenzüberschreitenden Fällen wird danach eine hohe Anforderung gestellt.

; veröffentlicht am 24.4.2025

Alle am 24.4.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen


Schlagworte zum Thema:  Umsatzsteuer, Erstattung, EuGH