Haftung für nicht abgeführte Kapitalertragsteuer

Der BFH hat klargestellt, dass ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb "Dritter" i.S.d. § 171 Abs. 15 AO ist. Des Weiteren hat der BFH entscheiden, dass die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO sachlich auf den im angefochtenen Bescheid festgesetzten Anspruch und persönlich auf die Person des Anfechtenden beschränkt ist.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Wird ein Steuerbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten, so läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist (§ 171 Abs. 3a AO).

Soweit ein Dritter Steuern für Rechnung des Steuerschuldners einzubehalten und abzuführen oder für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat, endet die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner nicht vor Ablauf der gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen geltenden Festsetzungsfrist (§ 171 Abs. 15 AO).

Sachverhalt: Ablaufhemmungstatbestände nach § 171 Abs. 3a und Abs. 15 AO

Der Kläger ist ein von der Körperschaftsteuer befreiter Berufsverband. Er unterhält neben dem steuerbefreiten Bereich einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, aus dem er in den Jahren 2007 und 2008 (Streitjahre) Gewinne in Höhe von 38.620,12 EUR und 8.880,65 EUR erzielte.

Nach Verrechnung der in den Streitjahren erzielten Gewinne mit den Verlusten der jeweiligen Vorjahre wurde die Körperschaftsteuer für die Streitjahre auf jeweils 0 EUR festgesetzt.

In den eingereichten Kapitalertragsteueranmeldungen für die Streitjahre gab der Kläger Kapitalerträge i.H.v. jeweils 0 EUR an.

Weiterer Verfahrensgang

  • Am 8.3.2012 erließ das Finanzamt (FA) einen Haftungsbescheid, mit dem es den Kläger gemäß § 191 Abs. 1 AO wegen nicht abgeführter Kapitalertragsteuer in Höhe von 3.862 EUR (2007) bzw. 888 EUR (2008) nebst Solidaritätszuschlag in Anspruch nahm. Die in den Streitjahren erzielten Gewinne des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs seien einer 10%igen Kapitalertragsteuer zu unterwerfen, da die Gewinne nicht einer gesonderten, betrieblich notwendigen Gewinnrücklage zugeführt worden seien. Der Kläger hafte als Entrichtungsschuldner hierfür. Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
  • Während des anschließenden Revisionsverfahrens erließ das FA am 22.12.2020 einen als „ڴǰܲԲ𾱻“ über Kapitalertragsteuer 2007 und 2008 bezeichneten Bescheid gegen den Kläger und führte u.a. aus, der Bescheid ergehe gegenüber dem Kläger als Entrichtungsschuldner.
  • Den Haftungsbescheid vom 8.3.2012 hob das FA auf. Der BFH erklärte daraufhin in jenem Verfahren die Erledigung der Hauptsache.
  • Den gegen den „ڴǰܲԲ𾱻“ gerichteten Einspruch wies das FA ab. Der Klage hat das FG stattgegeben. Es führte aus, dass bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
  • Im Revisionsverfahren trug das FA vor, dass die zehnjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO, die erst am 31.12.2020 abgelaufen sei, greife, da der Kläger trotz Gewinnen für die Streitjahre nur Kapitalertragsteuer von jeweils 0 EUR angemeldet habe. Zudem sei der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3a AO als auch nach § 171 Abs. 15 AO gehemmt gewesen.

Entscheidung: Kapitalertragsteuer bei Erlass des Bescheids bereits verjährt

Die Revision des FA ist unbegründet. Der Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 war rechtswidrig, da die Kapitalertragsteuer bei Erlass des Bescheids verjährt war.

ձäܲԲ des Nachforderungsbescheids

Der Bescheid vom 22.12.2020 ist ein Nachforderungsbescheid (§ 155 AO i.V.m. § 44 Abs. 6 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 EStG), der sich an den Kläger als Gläubiger der Kapitalerträge und als Schuldner der Kapitalertragsteuer richtet. Die darin festgesetzte Kapitalertragsteuer war bei seinem Erlass bereits verjährt und erloschen, sodass der Bescheid nicht mehr ergehen durfte (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO).

Keine Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung

Die Festsetzungsfrist für die Kapitalertragsteuer der Streitjahre beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) und nicht zehn Jahre wegen Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung bzw. dafür, dass der Kläger bei Abgabe der Kapitalertragsteueranmeldungen vorsätzlich unrichtige oder unvollständige tatsächliche Angaben i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gemacht hat, liegen nicht vor.

Keine Hemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 15 AO

Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Kapitalertragsteuer war nicht nach § 171 Abs. 15 AO gehemmt. Das gegen den Haftungsbescheid vom 8.3.2012 geführte Rechtsbehelfs- und Klageverfahren hat den Ablauf der Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen nicht gehemmt. § 171 Abs. 15 AO ist im Streitfall zeitlich anwendbar.

Nach der Anwendungsvorschrift des Art. 97 § 10 Abs. 11 EGAO gilt § 171 Abs. 15 AO für alle am 30.6.2013 noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen. Hinsichtlich der Kapitalertragsteuerschuld des Klägers als Gläubiger der Kapitalerträge und hinsichtlich der Entrichtungsschuld wäre im Streitfall frühestens zum 31.12.2014 und damit nach dem Stichtag 30.6.2013 Festsetzungsverjährung eingetreten.

Unzutreffende Bezeichnung des Klägers zwar nicht schädlich

Die unzutreffende Bezeichnung des Klägers im Nachforderungsbescheid als „Entrichtungsschuldner“ und nicht als Steuerschuldner schadet nicht. Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ist "Dritter" i.S.d. § 171 Abs. 15 AO. Nach § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG gelten in den Fällen des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c EStG die von der Körperschaftsteuer befreite Trägerkörperschaft als Gläubiger und der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb als Schuldner der Kapitalerträge. Diese Fiktion ist auch bei der Anwendung von § 171 Abs. 15 AO zu beachten mit der Maßgabe, dass der fiktive Gläubiger der Kapitalerträge, die Trägerkörperschaft, zugleich als Steuerschuldner i.S.d. § 171 Abs. 15 AO (Schuldner der Kapitalertragsteuer) und der fiktive Schuldner der Kapitalerträge, der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb, zugleich als Steuerentrichtungspflichtiger i.S.d. Vorschrift gelten.

Die Voraussetzungen von § 171 Abs. 15 AO im Übrigen aber nicht erfüllt

Voraussetzung für eine Hemmung der Festsetzungsfrist gegenüber dem Kläger als Schuldner der Kapitalertragsteuer wäre eine Hemmung der Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen (dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb) als fiktivem Entrichtungsschuldner. Ob die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen gehemmt war, ist bei der Anwendung von § 171 Abs. 15 AO inzident nach Maßgabe der Tatbestände des § 171 AO zu beurteilen.

Keine Hemmung der ձäܲԲ durch Einspruch gegen Haftungsbescheid nach § 171 Abs. 3a AO

Das gegen den Haftungsbescheid vom 8.3.2012 geführte Einspruchs- und Klageverfahren hat die ձäܲԲ gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen nicht gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 171 Abs. 3a AO gehemmt. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO ist sachlich auf den im angefochtenen Bescheid festgesetzten Anspruch und persönlich auf die Person des Anfechtenden beschränkt.

  • Der Haftungsbescheid vom 8.3.2012 ging ins Leere, da es im Streitfall an einem Haftungsanspruch fehlt. Die Haftung kann nicht auf § 44 Abs. 6 Satz 5 EStG gestützt werden. Die Vorschrift sieht eine Haftung des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs als fiktivem Schuldner der Kapitalerträge für die Kapitalertragsteuer nur vor, soweit sie auf eine verdeckte Gewinnausschüttungen oder Veräußerungen i.S.d. § 22 Abs. 4 UmwStG entfällt.
  • Das gegen den Haftungsbescheid vom 8.3.2012 geführte Einspruchs- und Klageverfahren hätte allenfalls den Ablauf der Festsetzungsfrist für den in ihm festgesetzten (vermeintlichen) Haftungsanspruch hemmen können. Da ein solcher Anspruch von Anfang an nicht bestand und deshalb auch nicht verjähren konnte, hat das Einspruchs- und Klageverfahren keine Hemmungswirkung entfaltet. Nimmt das FA den Entrichtungsschuldner ausdrücklich durch Haftungsbescheid in Anspruch, macht es nur den Haftungsanspruch geltend und nicht zugleich auch den Entrichtungsanspruch.
  • Gegenstand des Nachforderungsbescheids vom 22.12.2020 war der Kapitalertragsteueranspruch, soweit er sich gegen den Steuerschuldner richtet, und damit ein anderer als der im Haftungsbescheid vom 8.3.2012 (vermeintlich) festgesetzte Anspruch.
  • § 171 Abs. 3a AO sieht eine personenübergreifende Hemmungswirkung nicht vor. Gläubiger der Kapitalerträge und Schuldner der Kapitalertragsteuer (die Trägerkörperschaft) und der fiktive Entrichtungsschuldner (wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb) sind jedoch personenverschieden.

Festsetzungsverjährung unter Berücksichtigung des § 174 Abs. 4 AO

Der Eintritt der Festsetzungsverjährung ist auch nicht gemäß § 174 Abs. 4 AO unbeachtlich. Die Vorschrift gilt nicht für Haftungsbescheide, sondern nur für Steuerbescheide.

Die Festsetzungsfrist für die Kapitalertragsteuer der Streitjahre war somit mit Ablauf des 31.12.2014 abgelaufen.

; veröffentlicht am 20.3.2025

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