Beendigung der Selbstnutzung eines Familienheims aus gesundheitlichen Gründen

Hintergrund: Wohnen unter Inanspruchnahme von Hilfen Dritter
X ist Alleinerbin ihres 2009 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass gehörte ein Grundstück mit einem 1951 erbauten Einfamilienhaus. X hatte dieses Haus gemeinsam mit ihrem Vater bewohnt und wohnte zunächst weiterhin im Obergeschoss. Dementsprechend berücksichtigte das FA die Steuerbefreiung für ein Familienheim nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG.
In 2016 (d.h. vor Ablauf der Zehn-Jahres-Frist) zog X aus und ließ das Haus abreißen.
Das FA änderte darauf die Steuerfestsetzung und setzte die ErbSt nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG (sog. Nachversteuerungstatbestand) ohne die Steuerbefreiung fest.
Das FG wies die Klage ab. Es verneinte zwingende einer Selbstnutzung entgegenstehende Gründe. Gebäudemängel oder Unwirtschaftlichkeit der Sanierung genügten nicht. Gesundheitliche Beeinträchtigungen beim Treppensteigen hätten X nicht gehindert, mit Unterstützung durch einen Bekannten weiterhin das Obergeschoss zu nutzen.
Entscheidung: Wohnnutzung bedeutet selbstständiges Führen eines Haushalts
Zwingende Gründe, die einer Selbstnutzung zu eigenen wohnzwecken entgegenstehen, liegen vor, wenn die externen Hilfe- und Pflegeleistungen ein solches ܲß annehmen, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung gesprochen werden kann.
Steuerbefreiung für ein Familienheim
Die Steuerbefreiung für den Erwerb eines Familienheims entfällt mit Wirkung für die Vergangenheit, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG, Nachversteuerungstatbestand, BFH v. 11.7.2019, II R 38/16, BStBl II 2020 S. 314, Rz. 11).
Selbstnutzung des konkreten Familienheims
Die Hinderungsgründe müssen sich auf die Selbstnutzung des vorliegenden Familienheims beziehen. Die Meinung, die Steuerbegünstigung sei auch dann ausgeschlossen, wenn der Erwerber ausziehen und in einer anderen Wohnung einen Haushalt führen könnte, weist der BFH zurück. Das widerspräche der Zielrichtung der Regelung, das Familiengebrauchsvermögen zu erhalten und den gemeinsamen familiären Lebensraum zu schützen.
Selbstständiges Wohnen bei ʴڱüڳپ
Die Steuerbefreiung erfordert, dass dem Erwerber aus objektiven Gründen die Selbstnutzung des Familienheims ܲԳö oder nicht mehr zuzumuten ist. Das liegt nicht bereits bei ʴڱüڳپ vor, solange der Erwerber unter Zuhilfenahme externer Hilfe- und Pflegeleistungen in der Lage ist, weiter in dem erworbenen Familienheim zu leben. Anders ist es nur, wenn (bei schwerer ʴڱüڳپ) die Unterstützungsleistungen ein solches ܲß annehmen, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung in dem Familienheim gesprochen werden kann. Die regelmäßige Inanspruchnahme üblicher Dienste genügt dafür nicht. Entscheidend ist, ob der Erwerber den familiären Lebensraum noch aus im Wesentlichen eigener Kraft auszufüllen kann.
Zurückverweisung an das FG
Der BFH verwies die Sache an das FG zurück. Die Feststellungslast für die Umstände, die eine Selbstnutzung des Familienheims objektiv ܲԳö machen oder aus objektiven Gründen unzumutbar erscheinen lassen, trägt der Erwerber (BFH, Irteil v. 6.5.2021, II R 46/19, BFH/NV 2022 S. 76). Die X hat entsprechend ihrer Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 Satz 1 AO) die weitere Sachaufklärung zu unterstützen. Entscheidend wird sein, ob X soweit auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, dass es an einer selbstständigen Haushaltsführung fehlt.
Hinweis: Zweckmäßigkeitserwägungen führen nicht zur Unzumutbarkeit
Der BFH stellt klar, dass die Tatsache, dass der Erwerber in einer anderen (zweckmäßigeren) Wohnung weiterhin einen selbstständigen Haushalt führen könnte, nicht zur Verneinung der Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des ererbten Objekts führen darf. Entscheidend sind die Verhältnisse des konkreten Objekts, die eine selbstständige Haushaltführung objektiv ܲԳö oder unzumutbar erscheinen lassen.
ʴڱüڳپ
Außerdem betont der BFH, dass die ʴڱüڳپ regelmäßig keine objektive Unmöglichkeit der Selbstnutzung begründet. Denn die Pflege kann im Allgemeinen mithilfe entsprechender Dienste im eigenen Heim durchgeführt werden. Ob dies wirtschaftlich sinnvoll ist, ist unerheblich. Denn das ist eine Frage der ܷɱ쳾äß. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen genügen jedoch nicht. Deshalb stellt auch der bauliche Zustand des Gebäudes keinen zwingenden Grund für die Aufgabe der Selbstnutzung dar. Es handelt sich um Wirtschaftlichkeits- und damit Zweckmäßigkeitserwägungen, da der bauliche Zustand grundsätzlich den veränderten Lebensumständen angepasst werden kann.
BFH Urteil vom 01.12.2021 - II R 18/20 (veröffentlicht am 07.07.2022)
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