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Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerpflicht von Erstattungszinsen
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Leitsatz (amtlich)
1. Erstattungszinsen nach 搂 233a AO sind steuerbare Einnahmen aus Kapitalverm枚gen (Best盲tigung der Rechtsprechung).
2. 搂 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010, nach dem die materielle Norm (搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010) auch r眉ckwirkend auf noch nicht bestandskr盲ftige Steuerfestsetzungen anzuwenden ist, verst枚脽t nicht gegen Verfassungsrecht.
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Normenkette
EStG 搂听12 Nr. 3, 搂听20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3, 搂听52a Abs. 8 S. 2; AO 搂 233a
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Verfahrensgang
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Nachgehend
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Tatbestand
Rz. 1
I. Im Streit ist, ob im Streitjahr (1996) gezahlte Erstattungszinsen nach 搂 233a der Abgabenordnung (AO) 驳别尘盲脽 搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. 搂 52a Abs. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768) einkommensteuerpflichtig sind.
Rz. 2
Die Kl盲ger und Revisionsbeklagten (Kl盲ger) wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kl盲ger erzielte im Streitjahr u.a. Eink眉nfte aus Gewerbebetrieb, aus nichtselbst盲ndiger Arbeit und aus Kapitalverm枚gen. Mit der Einkommensteuererkl盲rung erkl盲rte er vom Beklagten und Revisionskl盲ger (Finanzamt --FA--) erhaltene Erstattungszinsen in H枚he von 929.939 DM als Eink眉nfte aus Kapitalverm枚gen. Als Sonderausgaben machten die Kl盲ger Zinsen f眉r die Nachforderung und Stundung von Steuern sowie f眉r Vollziehungsaussetzung in H枚he von 241.087 DM geltend. Das FA setzte als steuerpflichtige Erstattungszinsen nur 658.868 DM an und k眉rzte die abzugsf盲higen Nachforderungszinsen auf 208.195 DM.
Rz. 3
W盲hrend eines zun盲chst wegen anderer Streitpunkte gef眉hrten und vor眉bergehend ausgesetzten Klageverfahrens bez眉glich des Streitjahres ergingen mehrere 脛nderungsbescheide, in denen die Ans盲tze der Erstattungs- und Nachforderungszinsen unver盲ndert blieben.
Rz. 4
Mit einem Schreiben vom 12. November 2010 beantragten die Kl盲ger, die als steuerpflichtige Kapitaleink眉nfte erfassten Erstattungszinsen steuerfrei zu stellen. Zur Begr眉ndung beriefen sie sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Juni 2010 VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503).
Rz. 5
In der Folge nahm das Finanzgericht (FG) das zuvor ausgesetzte Klageverfahren wegen Einkommensteuer f眉r das Streitjahr wieder auf und gab der nun auf die Nichtbesteuerung der Erstattungszinsen gerichteten Klage statt.
Rz. 6
Zur Begr眉ndung f眉hrte es im Wesentlichen aus, mit dem BFH-Urteil in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 sei davon auszugehen, dass 搂 12 Nr. 3 EStG als eine den einzelnen Einkunftsarten systematisch vorangestellte Vorschrift auch dem 搂 20 Abs. 1 EStG vorgehe und darin nicht lediglich ein gesetzliches Abzugsverbot geregelt sei, sondern die Vorschrift bestimmte Steuern, zu denen die Einkommensteuer geh枚re, schlechthin dem nicht steuerbaren Bereich zuweise. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung strahle auf den umgekehrten Vorgang der Erstattung solcher Steuern in der Weise aus, dass sie dem Steuerpflichtigen nicht "im Rahmen einer der Einkunftsarten des 搂 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 EStG" zuflie脽en. Erstattungszinsen teilten als steuerliche Nebenleistungen i.S. von 搂 3 AO insofern das Schicksal der Hauptforderung, als sie in 搂 12 Nr. 3 EStG ebenfalls dem nicht steuerbaren Bereich zugewiesen w眉rden.
Rz. 7
Mit der Revision r眉gt das FA die rechtsfehlerhafte Anwendung des 搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.V.m. 搂 52a Abs. 8 EStG, jeweils i.d.F. des JStG 2010.
Rz. 8
Das FA beantragt, das Urteil des FG M眉nster vom 10. Mai 2012听 2 K 1950/00 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 9
Die Kl盲ger beantragen, die Revision als unbegr眉ndet zur眉ckzuweisen.
Rz. 10
Die gesetzlichen Neuregelungen verstie脽en gegen Verfassungsrecht. Die durch 搂 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 bestimmte echte R眉ckwirkung auf die Steuer des Streitjahres sei unzul盲ssig. Der Fall einer von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ausnahmsweise zugelassenen Durchbrechung des rechtsstaatlichen R眉ckwirkungsverbots liege nicht vor.
Rz. 11
Zudem stelle die neue Regelung in 搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 keine vorrangige Spezialregelung gegen眉ber 搂 12 Nr. 3 EStG dar. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit dem eingef眉gten Satz 3 lediglich eine klarstellende Regelung zu 搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG treffen wollen.
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贰苍迟蝉肠丑别颈诲耻苍驳蝉驳谤眉苍诲别
Rz. 12
II. Die Revision ist begr眉ndet; sie f眉hrt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (搂 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Rz. 13
l. Erstattungszinsen nach 搂 233a AO sind steuerbare Ertr盲ge aus Kapitalforderungen i.S. von 搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010. 搂 12 Nr. 3 EStG steht dem nicht entgegen.
Rz. 14
Der Senat verweist insoweit auf die 贰苍迟蝉肠丑别颈诲耻苍驳蝉驳谤眉苍诲别 seines Urteils vom 12. November 2013 VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168) unter II.1. (Rz 15 bis 19) und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen hier von einer Wiedergabe dieser Ausf眉hrungen ab.
Rz. 15
Den seither erfolgten 脛u脽erungen in der Fachliteratur zu dieser Entscheidung (vgl. zustimmend Steinhauff, Der Ertragsteuerberater 2014, 91; derselbe in jurisPR-SteuerR 13/2014, Anm. 3; kritisch in Bezug auf das als "asymmetrisch" empfundene Ergebnis: Behrens, Betriebs-Berater 2014, 996) sind keine zus盲tzlichen Gesichtspunkte zu entnehmen, die einer weitergehenden rechtlichen Er枚rterung bed眉rften.
Rz. 16
2. Die verfassungsrechtlichen Einwendungen der Kl盲ger greifen nicht durch.
Rz. 17
a) Die Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs des 搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 verst枚脽t nicht gegen das verfassungsrechtliche R眉ckwirkungsverbot.
Rz. 18
aa) 搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 ist nach 搂 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 in "allen F盲llen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht bestandskr盲ftig festgesetzt ist". Damit ist das Gesetz r眉ckwirkend auch auf den Streitfall anwendbar.
Rz. 19
bb) Der Anwendungsbestimmung (搂 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010) ist in der Rechtsprechung und von Stimmen der Literatur eine unzul盲ssige echte R眉ckwirkung beigemessen worden (vgl. insoweit BFH-Urteil in BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168, unter II.2. der 贰苍迟蝉肠丑别颈诲耻苍驳蝉驳谤眉苍诲别, Rz 28).
Rz. 20
Indes erweist sich die angeordnete R眉ckwirkung als verfassungsrechtlich zul盲ssig. Zwar sind Gesetze mit echter R眉ckwirkung, die die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugeh枚rigen Verhaltens nachtr盲glich belastend 盲ndern, im Hinblick auf die Verl盲sslichkeit der Rechtsordnung als Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen grunds盲tzlich unzul盲ssig (vgl. BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997听 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 78; BVerfG-Urteil vom 23. November 1999听 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, 263; Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 15. Oktober 2008听 1 BvR 1138/06, BFH/NV 2009, 110). Jedoch sind in der Rechtsprechung des BVerfG Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche R眉ckwirkungsverbot durchbrochen ist. So tritt das R眉ckwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zur眉ck, wenn sich kein schutzw眉rdiges Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 239, 263; Nichtannahmebeschluss des BVerfG in BFH/NV 2009, 110).
Rz. 21
cc) So verh盲lt es sich im Streitfall. Mit der Regelung in 搂 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010, die Erstattungszinsen dem steuerbaren Bereich zuweist, hat der Gesetzgeber die Rechtslage auch mit Wirkung f眉r die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zum Ergehen des BFH-Urteils in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 der gefestigten h枚chstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 18. Februar 1975 VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; vom 8. April 1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557; vom 8. November 2005 VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527, m.w.N.; BFH-Beschl眉sse vom 14. April 1992 VIII B 114/91, BFH/NV 1993, 165; vom 30. Juni 2009 VIII B 8/09, BFH/NV 2009, 1977) und der Praxis der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 5. Oktober 2000 IV C 1 -S 2252- 231/00, BStBl I 2000, 1508; weitere Nachweise im BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 527) entsprach (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG in BFH/NV 2009, 110).
Rz. 22
dd) Vor der Rechtsprechungs盲nderung durch das BFH-Urteil in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 konnte deshalb kein schutzw眉rdiges Vertrauen der Kl盲ger auf die Nichtsteuerbarkeit der Erstattungszinsen entstehen, zumal der Zufluss der streitbefangenen Zinsen bei den Kl盲gern bereits mehrere Jahre zur眉cklag.
Rz. 23
Ein Vertrauenstatbestand h盲tte sich deshalb allenfalls seit der Ver枚ffentlichung des die Rechtsprechung 盲ndernden BFH-Urteils in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 entwickeln k枚nnen. Jedoch fehlt es angesichts der Vorgeschichte sowie des relativ kurzen Zeitraums zwischen der Ver枚ffentlichung dieses Urteils (am 8. September 2010) und dem Inkrafttreten des JStG 2010 (am 14. Dezember 2010) jedenfalls an der Schutzw眉rdigkeit eines Vertrauens in den Fortbestand der Rechtsprechungs盲nderung, zumal in diese Zwischenzeit keine hierauf bezogenen schutzw眉rdigen Verm枚gensdispositionen der Kl盲ger fielen.
Rz. 24
b) Die Beurteilung, dass die Anwendungsvorschrift des 搂 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 nicht gegen das verfassungsrechtliche R眉ckwirkungsverbot verst枚脽t, liegt bereits der BFH-Entscheidung in BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168 zugrunde.
Rz. 25
Sie steht auch im Einklang mit dem danach ergangenen BVerfG-Beschluss vom 17. Dezember 2013听 1 BvL 5/08 (BGBl I 2014, 255, H枚chstrichterliche Finanzrechtsprechung 2014, 359). Nach dieser Entscheidung findet das R眉ckwirkungsverbot im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte. Dementsprechend hat das BVerfG auf fr眉here Rechtsprechung verwiesen, mit der es das Vertrauen in ein ge盲ndertes Verst盲ndnis der alten Rechtslage, das durch eine Rechtsprechungs盲nderung in Abweichung von der bis dahin in Rechtspraxis und Rechtsprechung gefestigten Rechtsauffassung herbeigef眉hrt worden war, als von vornherein nicht gerechtfertigt angesehen hat (BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010听 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, 369). Ferner hat das BVerfG zur 脛nderung einer gefestigten Rechtspraxis durch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass sich "ein hinreichend gefestigtes und damit schutzw眉rdiges Vertrauen" in ein Verst盲ndnis der Rechtslage im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts "unter den gegebenen Umst盲nden" nicht habe entwickeln k枚nnen (BVerfG-Beschluss vom 2. Mai 2012听 2 BvL 5/10, BVerfGE 131, 20).
Rz. 26
Die Entscheidung des Streitfalls entspricht in den Beurteilungsgrunds盲tzen und im Ergebnis dieser Rechtsprechung des BVerfG.
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Fundstellen
亿兆体育-Index 7311359 |
BFH/NV 2014, 1996 |
BFH/PR 2015, 8 |
BStBl II 2014, 998 |
BFHE 2014, 306 |
BFHE 246, 306 |
BB 2014, 2581 |
DB 2014, 2509 |
DB 2014, 6 |
DStR 2014, 6 |
DStRE 2014, 1415 |
DStZ 2014, 779 |
HFR 2014, 1069 |