听
Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Umsatzsteuern bei irrt眉mlich angenommenen steuerfreien Ausfuhrlieferungen
听
Leitsatz (amtlich)
1. Aus den im Steuerrecht allgemein geltenden Grunds盲tzen der Verh盲ltnism盲脽igkeit und des Vertrauensschutzes ergibt sich, dass die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung nicht versagt werden darf, wenn der liefernde Unternehmer die F盲lschung des Ausfuhrnachweises, den der Abnehmer ihm vorlegt, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hat erkennen k枚nnen (脛nderung der Rechtsprechung; Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil vom 21. Februar 2008 Rs. C-271/06 Netto Supermarkt GmbH & Co.KG, BFH/NV Beilage 2008, 199).
2. Ob die Voraussetzungen hierf眉r gegeben sind, ist im Erlassverfahren zu pr眉fen.
听
Normenkette
UStG 1993 搂听4 Nr. 1, 搂听6 Abs.听1, 4, 搂听6a Abs. 4; AO 搂搂听227, 163; EWGRL 388/77 Art. 15
听
Verfahrensgang
听
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um den Erlass von Umsatzsteuer, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gegen die Kl盲gerin und Revisionskl盲gerin (Kl盲gerin) wegen des Fehlens der Voraussetzungen f眉r steuerfreie Ausfuhrlieferungen festgesetzt hat.
Die Kl盲gerin betreibt Discount-Superm盲rkte. In den Jahren 1992 bis 1998 erstattete sie folgende Umsatzsteuerbetr盲ge (gerundet) an ihre Kunden:
1992 |
鈥 DM, |
1993 |
鈥 DM, |
1994 |
鈥 DM, |
1995 |
鈥 DM, |
1996 |
鈥 DM, |
1997 |
鈥 DM, |
1998 |
鈥 DM. |
Betriebsintern hatte sie festgelegt, dass sie die Umsatzsteuer im nichtkommerziellen Reiseverkehr nur erstattet, wenn sich der Stempelaufdruck h盲lftig auf dem Bon und dem Zollformular befindet und der ausl盲ndische B眉rger seinen Pass vorlegt. Diese Regelungen f眉hrte sie vor dem Erscheinen des Merkblatts des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) zur Umsatzsteuerbefreiung f眉r Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr vom 18. M盲rz 1999 IV D 2 S -7133- 4/99 (BStBl I 1999, 289) ein, in dem Empfehlungen f眉r den Nachweis der Ausfuhr im nichtkommerziellen Reiseverkehr enthalten sind.
Die Leiterin der Buchhaltung und der Verwaltungsleiter der Kl盲gerin suchten am 12. August 1998 das Hauptzollamt (HZA) auf, um festzustellen, ob der h盲ufig auftretende Zollstempel Nr. 73 und die dazu geh枚renden Papiere der Zollbeh枚rde gef盲lscht waren. Nachdem die Gespr盲chspartnerin im HZA die Stempel f眉r echt gehalten hatte, informierte das HZA am 29. September 1998 den Verwaltungsleiter der Kl盲gerin, die von der Kl盲gerin 眉bergebenen Unterlagen seien nach nochmaliger Pr眉fung als gef盲lscht erkannt worden. Die Angelegenheit wurde sodann der Steuerfahndungsstelle 眉bergeben. Diese ermittelte mit Hilfe sog. Stempelfolien, dass ein erheblicher Teil der Ausfuhrnachweise in den Jahren 1993 bis 1998 von polnischen Staatsb眉rgern nachgefertigt bzw. die Ausfuhrnachweise mit einem falschen Zollstempel versehen worden waren. Die Steuerfahndungsstelle stellte fest, dass die polnischen Staatsb眉rger Eink盲ufe und Ausfuhren vorspiegelten, indem sie liegen gebliebene Kassenbons auf den Parkpl盲tzen, in den Einkaufsk枚rben und den Papierk枚rben der Superm盲rkte einsammelten, zum Teil mit gef盲lschten Vordrucken und gef盲lschten Zollstempeln Ausfuhrnachweise "fertigten", diese mit Namen und Anschrift des jeweiligen polnischen Staatsb眉rgers versahen und die Erstattung der Umsatzsteuer von der Kl盲gerin beantragten und gew盲hrt bekamen.
Mit (ge盲nderten) Umsatzsteuerbescheiden vom 11. Oktober 1999 f眉r die Jahre 1993 bis 1997 und Vorauszahlungsbescheid vom 12. November 1999 f眉r den Monat Dezember 1998 setzte das FA daraufhin Umsatzsteuer fest.
Den von der Kl盲gerin beantragten Erlass der nachgeforderten Umsatzsteuer f眉r die Jahre 1993 bis 1998 lehnte das FA mit Bescheid vom 14. Februar 2000 ab. Der Einspruch dagegen hatte zum Teil Erfolg. Das FA erlie脽 die Umsatzsteuernachforderung f眉r die Jahre 1993 und 1994, weil f眉r diese Jahre eine Betriebspr眉fung durchgef眉hrt worden war und die Steuerbescheide nicht mehr h盲tten ge盲ndert werden d眉rfen. Die Zinsen (1993 bis 1997) erlie脽 das FA, weil der Kl盲gerin nur ein fiktiver Liquidit盲tsvorteil entstanden war.
Im 脺brigen wies das FA den Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide 1995 bis 1998 zur眉ck. Zur Begr眉ndung f眉hrte es aus, die Einziehung sei nicht sachlich unbillig. Die Kl盲gerin schulde die Steuer, da sie keinen ordnungsgem盲脽en Ausfuhrnachweis habe erbringen k枚nnen. Die Durchsetzung des Anspruches aus dem Steuerschuldverh盲ltnis unter den besonderen Umst盲nden des Einzelfalles laufe den gesetzlichen Wertungen nicht zuwider.
Der Zeitraum von 1993 bis 1998, in dem die Kl盲gerin nicht bemerkt habe, dass ein erheblicher Teil der Ausfuhrpapiere von polnischen Staatsb眉rgern nachgefertigt und mit einem falschen Zollstempel versehen worden sei, sei lang andauernd. Zudem sei die Erstattung von Umsatzsteuer in H枚he von 223 390 DM an polnische Staatsb眉rger ein erheblicher Schaden. Der Schaden sei nicht durch die falsche Auskunft der Zollbeh枚rden verursacht worden. Die Ma脽nahmen, die die Kl盲gerin ergriffen habe, h盲tten nicht ausgereicht. Bei angemessener Sorgfalt h盲tte ein 眉ber Jahre andauernder Betrug verhindert werden k枚nnen. Zwar seien die Vorschriften des 搂 8 der Umsatzsteuer-Durchf眉hrungsverordnung (UStDV) eingehalten worden, der Echtheit der abgestempelten Ausfuhrnachweise sei jedoch zu wenig Bedeutung geschenkt worden. Erst nach Jahren sei den aufgekommenen Zweifeln nachgegangen worden.
Die Kl盲gerin m眉sse sich zurechnen lassen, dass sie die ungerechtfertigte Auszahlung der Umsatzsteuern mitverschuldet habe, auch wenn durch ihr Handeln weiterer Schaden verhindert worden sei. Die Umsatzsteuer k枚nne zur眉ckgefordert werden, auch wenn die Kl盲gerin wesentlich zur Aufkl盲rung des Sachverhaltes beigetragen habe. Dieser Umstand m眉sse nur im Strafprozess positiv bedacht werden, f眉r einen Erlass der gesamten Umsatzsteuern reiche dies jedoch nicht. Eine analoge Anwendung des 搂 6a Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) komme nicht in Betracht. Dort sei ebenfalls Voraussetzung, dass der Unternehmer die Unrichtigkeit der Angaben des Abnehmers auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht habe erkennen k枚nnen. Davon abgesehen handele es sich um keine planwidrige L眉cke im Gesetz. Die Vertrauensschutzregelung in 搂 6a Abs. 4 UStG 1993 f眉r die innergemeinschaftliche Lieferung beruhe auf der 脺berlegung, dass die Steuerforderungen im EU-Binnenmarkt leichter realisierbar seien als bei Lieferungen in Drittstaaten, die dem 搂 6 UStG 1993 耻苍迟别谤濒盲驳别苍.
Die auf den Erlass der Umsatzsteuernachforderungen nach 搂 227 der Abgabenordnung (AO) f眉r die Jahre 1995 bis 1998 gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die Einziehung der Umsatzsteuer sei auch dann nicht sachlich unbillig, wenn die Kl盲gerin nicht gegen ihre Sorgfaltspflichten versto脽en haben sollte. Auch in diesem Fall entspreche die Einziehung der Steuer den Wertungen des Gesetzes.
Zur Begr眉ndung der Revision tr盲gt die Kl盲gerin vor, das Urteil des FG verletze materielles Recht und Verfahrensrecht. Das FG habe die Lieferungen an polnische Abnehmer in analoger Anwendung des 搂 6a Abs. 4 UStG 1993 als steuerfrei behandeln m眉ssen.
Im 脺brigen seien die Voraussetzungen einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgr眉nden gegeben.
Der Senat hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europ盲ischen Gemeinschaften (EuGH) die folgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorgelegt:
"Stehen die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen 眉ber die Steuerbefreiung bei Ausfuhren in ein Drittland einer Gew盲hrung der Steuerbefreiung im Billigkeitswege durch den Mitgliedstaat entgegen, wenn zwar die Voraussetzungen der Befreiung nicht vorliegen, der Steuerpflichtige deren Fehlen aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht erkennen konnte?"
Der EuGH hat diese Frage in seinem Urteil vom 21. Februar 2008 Rs. C-271/06, Netto Supermarkt GmbH & Co. KG (BFH/NV Beilage 2008, 199) wie folgt beantwortet:
"Art. 15 Nr. 2 der 鈥 Richtlinie 77/388/EWG 鈥 in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG vom 10. April 1995 ist dahin auszulegen, dass er der von einem Mitgliedstaat vorgenommenen Mehrwertsteuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung nach einem Ort au脽erhalb der Europ盲ischen Gemeinschaft nicht entgegensteht, wenn zwar die Voraussetzungen f眉r eine derartige Befreiung nicht vorliegen, der Steuerpflichtige dies aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns infolge der F盲lschung des vom Abnehmer vorgelegten Nachweises der Ausfuhr nicht erkennen konnte."
Die Kl盲gerin beantragt sinngem盲脽,
das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 2000 und den Ablehnungsbescheid vom 14. Februar 2000 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuer f眉r 1995 um 鈥 鈧, die Umsatzsteuer f眉r 1996 um 鈥 鈧, die Umsatzsteuer f眉r 1997 um 鈥 鈧 und die Umsatzsteuer f眉r 1998 um 鈥 鈧 herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zur眉ckzuweisen.
Das FA ist der Ansicht, die Voraussetzungen eines Erlasses seien auch nach den Grunds盲tzen des EuGH-Urteils Netto Supermarkt GmbH & Co. KG in BFH/NV Beilage 2008, 199 nicht erf眉llt. Die Kl盲gerin habe die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht beachtet, weil von ihr nicht im ausreichenden Umfang gepr眉ft worden sei, ob der Inhaber der Zollpapiere auch der tats盲chliche Abnehmer der Waren gewesen sei.
听
贰苍迟蝉肠丑别颈诲耻苍驳蝉驳谤眉苍诲别
II. Die Revision ist begr眉ndet; sie f眉hrt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zur眉ckverweisung der Sache an das FG (搂 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Kl盲gerin auch dann keinen Anspruch auf den begehrten Erlass habe, wenn ihr kein Versto脽 gegen ihre Sorgfaltspflichten zur Last fiele. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob die Kl盲gerin alle zumutbaren Ma脽nahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihr get盲tigten Ums盲tze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung f眉hren und die Einziehung der Umsatzsteuer deshalb unbillig ist.
1. Nach 搂 163 AO k枚nnen Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig w盲re. Unter denselben Voraussetzungen k枚nnen Anspr眉che aus dem Steuerschuldverh盲ltnis erlassen werden (搂 227 AO). Sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Besteuerung, unabh盲ngig von den wirtschaftlichen Verh盲ltnissen des Steuerpflichtigen, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist und deshalb den gesetzlichen Wertungen zuwiderl盲uft (st盲ndige Rechtsprechung, z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. September 1993 V R 45/91, BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131, und vom 23. September 2004 V R 58/03, BFH/NV 2005, 825, unter II. 1.).
2. Die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach 搂 4 Nr. 1 Buchst. a UStG 1993 sind vorliegend nicht erf眉llt. Danach sind von den unter 搂 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 fallenden Ums盲tzen u.a. die Ausfuhrlieferungen (搂 6 UStG 1993) steuerfrei.
Eine Ausfuhrlieferung liegt gem盲脽 搂 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1993 vor, wenn bei einer Lieferung der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach 搂 1 Abs. 3 UStG 1993, bef枚rdert oder versendet hat und ein ausl盲ndischer Abnehmer ist.
骋别尘盲脽 搂 6 Abs. 4 UStG 1993 m眉ssen die Voraussetzungen u.a. des Abs. 1 vom Unternehmer nachgewiesen werden. Das BMF kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer die Nachweise zu f眉hren hat.
Das BMF hat von der Erm盲chtigung des 搂 6 Abs. 4 UStG 1993 in 搂 8 Abs. 1 UStDV Gebrauch gemacht. Danach muss bei Ausfuhrlieferungen der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet bef枚rdert oder versendet hat (Ausfuhrnachweis). Dies muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachpr眉fbar ergeben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend hinsichtlich der streitigen Ums盲tze nicht erf眉llt, weil die Ausfuhrnachweise gef盲lscht waren.
3. Eine ausdr眉ckliche Vertrauensschutzregelung sieht das UStG 1993 f眉r diesen Fall, anders als in 搂 6a Abs. 4 UStG 1993, nicht vor.
a) Allerdings trifft 搂 6a Abs. 4 UStG 1993 eine Vertrauensschutzregelung f眉r die innergemeinschaftliche Lieferung, die wie folgt lautet:
"Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach Absatz 1 nicht vorliegen, so ist die Lieferung gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. In diesem Fall schuldet der Abnehmer die entgangene Steuer."
b) Eine analoge Anwendung des 搂 6a Abs. 4 UStG 1993 auf Ausfuhrlieferungen kommt nicht in Betracht. Zum einen hat der liefernde Unternehmer bei der Ausfuhrlieferung, anders als bei der innergemeinschaftlichen Lieferung, die M枚glichkeit, durch Ausfuhrbelege nachzuweisen, dass der Gegenstand in ein anderes Land verbracht worden ist. Dar眉ber hinaus kommt die analoge Anwendung der Regelung 眉ber die Steuerschuld des Abnehmers in 搂 6a Abs. 4 Satz 2 UStG 1993, die in untrennbarem Zusammenhang mit der Vertrauensschutzregelung des 搂 6a Abs. 4 Satz 1 UStG 1993 steht, nicht in Betracht.
c) Da aber der leistende Unternehmer bei der Ausfuhrlieferung dann vor einer mit dem innergemeinschaftlich Liefernden vergleichbaren Situation steht, wenn die f眉r die Befreiung erforderliche Mitwirkung des Abnehmers (hier die Vorlage des Ausfuhrnachweises --Beleg der Zollstelle--) manipuliert ist und der leistende Unternehmer die Unrichtigkeit dieser "Angabe" des Abnehmers auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte, hat der Senat f眉r diesen atypischen Fall die M枚glichkeit eines Billigkeitserlasses in Betracht gezogen und deshalb dem EuGH die o.g. Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
4. Der EuGH hat daraufhin im Urteil in BFH/NV Beilage 2008, 199 zu der Frage, ob im vorliegenden Sachverhalt die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen 眉ber die Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferungen in ein Drittland der Gew盲hrung einer Steuerbefreiung im Billigkeitswege durch den Mitgliedstaat entgegenstehen, Folgendes ausgef眉hrt:
"17 Wie sich aus dem einleitenden Teil von Art. 15 der Sechsten Richtlinie ergibt, ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Bedingungen f眉r die Anwendung der Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung nach einem Ort au脽erhalb der Gemeinschaft festzulegen. Nach dieser Vorschrift setzen die Mitgliedstaaten zudem diese Bedingungen insbesondere 'zur Verh眉tung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbr盲uchen' fest.
18 Jedoch ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten bei der Aus眉bung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien 眉bertragen, die allgemeinen Rechtsgrunds盲tze beachten m眉ssen, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, zu denen insbesondere die Grunds盲tze der Rechtssicherheit und der Verh盲ltnism盲脽igkeit sowie des Vertrauensschutzes z盲hlen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 1997, Molenheide u.a., C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96, Slg. 1997, I-7281, Randnrn. 45 bis 48, vom 11. Mai 2006, Federation of Technological Industries u.a., C-384/04, Slg. 2006, I-4191, Randnr. 29, und vom 14. September 2006, Elmeka, C-181/04 bis C-183/04, Slg. 2006, I-8167, Randnr. 31).
19 Zum Grundsatz der Verh盲ltnism盲脽igkeit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten gem盲脽 diesem Grundsatz Mittel einsetzen m眉ssen, die es zwar erlauben, das vom innerstaatlichen Recht verfolgte Ziel wirksam zu erreichen, die jedoch die Ziele und Grunds盲tze des einschl盲gigen Gemeinschaftsrechts m枚glichst wenig beeintr盲chtigen (vgl. Urteile Molenheide u.a., Randnr. 46, und vom 27. September 2007, Teleos u.a., C-409/04, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 52).
20 Demnach ist es zwar legitim, dass die Ma脽nahmen der Mitgliedstaaten darauf abzielen, die Anspr眉che der Staatskasse m枚glichst wirksam zu sch眉tzen; sie d眉rfen jedoch nicht 眉ber das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (vgl. u.a. Urteile Molenheide u.a., Randnr. 47, und Federation of Technological Industries u.a., Randnr. 30).
21 Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer die Lieferer als Steuereinnehmer f眉r Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse fungieren (vgl. Urteil vom 20. Oktober 1993, Balocchi, C-10/92, Slg. 1993, I-5105, Randnr. 25). Sie schulden die Mehrwertsteuer, obwohl diese als Verbrauchsteuer letztlich vom Endverbraucher getragen wird (vgl. Urteil vom 3. Oktober 2006, Banca popolare di Cremona, C-475/03, Slg. 2006, I-9373, Randnrn. 22 und 28).
22 Das in Art. 15 der Sechsten Richtlinie genannte Ziel, der Steuerhinterziehung vorzubeugen, rechtfertigt daher mitunter hohe Anforderungen an die Verpflichtungen der Lieferer. Die Verteilung des Risikos zwischen diesen und der Finanzverwaltung aufgrund eines von einem Dritten begangenen Betrugs muss jedoch mit dem Grundsatz der Verh盲ltnism盲脽igkeit vereinbar sein (Urteil Teleos u.a., Randnr. 58).
23 Dies scheidet aus, wenn ein Steuersystem dem Lieferer unabh盲ngig davon, ob er an dem vom Abnehmer begangenen Betrug beteiligt war, die gesamte Verantwortung f眉r die Zahlung der Mehrwertsteuer auferlegt (vgl. in diesem Sinne Urteil Teleos u.a., Randnr. 58). Denn wie der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussantr盲ge ausgef眉hrt hat, w盲re es offenkundig unverh盲ltnism盲脽ig, einem Steuerpflichtigen anzulasten, dass durch betr眉gerische Machenschaften Dritter, auf die er keinen Einfluss hat, Steuereinnahmen entgehen.
24 Dagegen verst枚脽t es, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn vom Lieferer gefordert wird, dass er alle Ma脽nahmen ergreift, die vern眉nftigerweise von ihm verlangt werden k枚nnen, um sicherzustellen, dass der von ihm get盲tigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung f眉hrt (vgl. Urteil Teleos u.a., Randnr. 65 und die dort angef眉hrte Rechtsprechung).
25 Dass der Lieferer gutgl盲ubig war, dass er alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Ma脽nahmen ergriffen hat und dass seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist, sind daher wichtige Kriterien im Rahmen der Feststellung, ob er nachtr盲glich zur Mehrwertsteuer herangezogen werden kann (vgl. Urteil Teleos u.a., Randnr. 66).
26 Ebenso verstie脽e es gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn ein Mitgliedstaat, der die Voraussetzungen f眉r die Befreiung einer Ausfuhrlieferung nach einem Ort au脽erhalb der Gemeinschaft festgelegt hat, indem er u.a. eine Liste von Unterlagen aufgestellt hat, die den zust盲ndigen Beh枚rden vorzulegen sind, und der die vom Lieferer als Nachweise f眉r das Recht auf Befreiung vorgelegten Unterlagen zun盲chst akzeptiert hat, den Lieferer sp盲ter zur Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer verpflichten k枚nnte, wenn sich herausstellt, dass infolge eines vom Abnehmer begangenen Betrugs, von dem der Lieferer weder Kenntnis hatte noch haben konnte, die Befreiungsvoraussetzungen tats盲chlich nicht vorlagen (vgl. in diesem Sinne Urteil Teleos u.a., Randnr. 50).
27 Daraus folgt, dass der Lieferer auf die Rechtm盲脽igkeit des Umsatzes, den er t盲tigt, vertrauen k枚nnen muss, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Befreiung von der Mehrwertsteuer zu verlieren, wenn er wie im Ausgangsverfahren selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns au脽erstande ist, zu erkennen, dass die Voraussetzungen f眉r die Befreiung in Wirklichkeit nicht gegeben waren, weil die vom Abnehmer vorgelegten Ausfuhrnachweise gef盲lscht waren."
An seiner gegenteiligen Rechtsprechung (BFH-Beschluss vom 6. Mai 2004 V B 101/03, BFHE 205, 416, BStBl II 2004, 748) h盲lt der Senat nicht fest.
5. Ob die Grunds盲tze des Vertrauensschutzes die Gew盲hrung der Steuerbefreiung gebieten, obwohl die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung i.S. des 搂 6 Abs. 1 UStG 1993 nicht erf眉llt sind, kann nur im Billigkeitsverfahren entschieden werden. Dem steht das Gemeinschaftsrecht nicht entgegen.
Nach st盲ndiger Rechtsprechung des EuGH sind mangels einer einschl盲gigen Gemeinschaftsregelung die Verfahrensmodalit盲ten, die den Schutz der dem B眉rger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gew盲hrleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats (EuGH-Urteil vom 15. M盲rz 2007 Rs. C-35/05, Reemtsma, Slg. 2007, I-2425, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2007, 570, Randnr. 40, m.w.N.; vgl. auch EuGH-Urteil vom 19. September 2000 C-454/98, Schmeink & Cofreth AG & Co. KG, Slg. 2000, I-6973, BFH/NV Beilage 2001, 33, Randnrn. 65, 66, Leitsatz 2 zur Berichtigung von zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer). Hat der nationale Gesetzgeber die Ber眉cksichtigung des Vertrauensschutzes und deren Voraussetzungen nicht ausdr眉cklich, wie in 搂 6a Abs. 4 UStG 1993, im materiellen Recht geregelt, er枚ffnen die Regelungen in 搂 163 AO und 搂 227 AO verfahrensrechtlich deren Ber眉cksichtigung im Einzelfall. Auch wenn sich der Steuerpflichtige, anders als im vorliegenden Fall, bereits im Festsetzungsverfahren auf Vertrauensschutzgesichtspunkte beruft, sind diese gleichwohl im Billigkeitsverfahren zu ber眉cksichtigen. Dabei wird das Ermessen der Finanzverwaltung (搂 163 Satz 3 AO) regelm盲脽ig dahingehend auszu眉ben sein, dass die Entscheidung 眉ber die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgr眉nden mit der Steuerfestsetzung zu verbinden ist.
Hat der Steuerpflichtige alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Ma脽nahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die von ihm get盲tigten Ums盲tze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung f眉hren, so ist das Verwaltungsermessen hinsichtlich der Gew盲hrung einer Billigkeitsma脽nahme auf Null reduziert. Zur Sicherstellung einer richtlinienkonformen Anwendung des nationalen Rechts besteht daher auch unter Beachtung von 搂 102 FGO eine insoweit uneingeschr盲nkte 脺berpr眉fbarkeit der Ermessensentscheidung des FA durch das FG.
6. Das FG ist von anderen Grunds盲tzen ausgegangen; sein Urteil war daher aufzuheben. Die Feststellungen des FG erlauben keine abschlie脽ende Entscheidung, denn das FG hat --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- keine ausreichenden Feststellungen zur Frage getroffen, ob die Kl盲gerin alle ihr zu Gebote stehenden zumutbaren Ma脽nahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass ihre Ums盲tze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung f眉hren. Bei seiner W眉rdigung wird das FG auch den langen Zeitraum, in dem die Missbr盲uche stattgefunden haben, zu ber眉cksichtigen haben. Auch die Verdoppelung der Umsatzsteuererstattungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr von 1995 auf 1996 h盲tte ab diesem Zeitpunkt Anlass zu Nachforschungen gegeben. F眉r die Zeitr盲ume vor 1996 l盲sst sich aber aus diesem Gesichtspunkt nichts herleiten. Auch die Rechtschreibfehler auf einigen der gesichteten Ausfuhrbelege sprechen dagegen, dass die Kl盲gerin alle ihr zu Gebote stehenden Ma脽nahmen gegen einen Missbrauch ergriffen hat.
听
Fundstellen
亿兆体育-Index 2102070 |
BFH/NV 2009, 438 |
BFH/NV 2009, 439 |
BFH/PR 2009, 154 |
BStBl II 2010, 1075 |
BFHE 2008, 372 |
BFHE 223, 372 |
BB 2009, 243 |
BB 2009, 369 |
DB 2009, 321 |
DStR 2009, 220 |
DStRE 2009, 189 |
DStZ 2009, 178 |
UR 2009, 161 |