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Entscheidungsstichwort (Thema)
Medizinische Laborleistungen in der Umsatzsteuer
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Leitsatz (amtlich)
Medizinische Analysen, die von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor au脽erhalb der Praxisr盲ume des praktischen Arztes durchgef眉hrt werden, der sie angeordnet hat, k枚nnen nach 搂 4 Nr. 14 Buchst. b UStG steuerfrei sein.
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Normenkette
UStG 搂 4 Nr. 14 Buchst.听a, b S. 2 Doppelbuchst. bb; EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst.听b, c
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Verfahrensgang
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Nachgehend
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Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Nieders盲chsischen Finanzgerichts vom 3. September 2015听听16 K 340/12 aufgehoben.
Die Sache wird an das Nieders盲chsische Finanzgericht zur眉ckverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung 眉ber die Kosten des Revisionsverfahrens 眉bertragen.
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Tatbestand
Rz. 1
I. Die Kl盲gerin und Revisionsbeklagte (Kl盲gerin), eine GmbH, betrieb im Streitjahr 2009 ein medizinisches Labor. Die Kl盲gerin untersuchte biologisches Probenmaterial (Blutproben oder Serum), das ihr von 脛rzten und Heilpraktikern zugesandt wurde. Sie untersuchte diese Proben labortechnisch zur Bestimmung von IgG-Antik枚rpern beim Nachweis von Nahrungsmittelallergien. Krankheitsbilder, bei denen Therapeuten in Absprache mit den Patienten den Test einsetzten, waren chronische Magen-Darm-Probleme, chronische Hautprobleme, chronische Schmerzen, rheumatische Erkrankungen, Aufmerksamkeitsdefizite, Atemwegsbeschwerden und chronisches 脺bergewicht.
Rz. 2
Ihre Auftr盲ge erhielt die Kl盲gerin von den jeweiligen Patienten, gegen眉ber denen sie ihre Leistungen auch abrechnete. Die Kl盲gerin besch盲ftigte in ihrem Labor durchschnittlich vier Arbeitnehmer, von denen zwei die Berufsausbildung zur technischen Assistentin in der Medizin hatten. Die "Befundung" der Laborergebnisse wurde seitens der Kl盲gerin durch einen Doktor der Biologie und einen Doktor der Chemie vorgenommen. Das Labor stand unter Leitung eines Allgemeinmediziners, der die Analytik der Testverfahren und auff盲llige Befunde kontrollierte.
Rz. 3
Im Anschluss an eine Au脽enpr眉fung ging der Beklagte und Revisionskl盲ger (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die Leistungen der Kl盲gerin steuerpflichtig seien und erlie脽 einen entsprechenden 脛nderungsbescheid, der im Einspruchsverfahren ge盲ndert wurde. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Rz. 4
Demgegen眉ber gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1825 ver枚ffentlichen Urteil statt. Danach sind die Leistungen nach 搂听4 Nr.听14 Buchst.听a des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres --2009-- (UStG) steuerfrei. Unter Ber眉cksichtigung von Art.听132 Abs.听1 Buchst.听c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.听November 2006 眉ber das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europ盲ischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) komme es f眉r die Steuerfreiheit nicht auf ein zwischen dem Behandelnden und dem Patienten bestehenden Vertrauensverh盲ltnis an.
Rz. 5
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Die Steuerfreiheit erfordere ein Vertrauensverh盲ltnis.
Rz. 6
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 7
Die Kl盲gerin beantragt, die Revision zur眉ckzuweisen.
Rz. 8
Das Vertrauensverh盲ltnis sei kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Sie sei kein Zentrum oder Einrichtung i.S. von Art.听132 Abs.听1 Buchst.听c MwStSystRL. Hilfsweise sei auf sie weiterhin die 40听%-Grenze nach 搂听4 Nr.听16 Buchst.听b UStG a.F. anzuwenden und die Sache insoweit an das FG zur眉ckzuverweisen. Sie habe sich nicht auf technische Analysen beschr盲nkt, sondern sei auch bei der Befunderhebung t盲tig geworden.
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Rz. 9
II. Die Revision des FA ist aus anderen als den geltend gemachten Gr眉nden begr眉ndet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zur眉ckzuverweisen (搂听126 Abs.听3 Satz听1 Nr.听2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat bei seinem Urteil nicht hinreichend ber眉cksichtigt, dass medizinische Analysen, die --wie im Streitfall von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor-- au脽erhalb der Praxisr盲ume des sie anordnenden praktischen Arztes durchgef眉hrt werden, nur nach 搂听4 Nr.听14 Buchst.听b UStG, nicht aber auch nach Buchst.听a dieser Vorschrift steuerfrei sind.
Rz. 10
1. 搂听4 Nr.听14 Buchst.听a UStG befreit die "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Aus眉bung der T盲tigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer 盲hnlichen heilberuflichen T盲tigkeit durchgef眉hrt werden". Unionsrechtlich beruht dies auf Art.听132 Abs.听1 Buchst.听c MwStSystRL. Steuerfrei sind danach "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Aus眉bung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten 盲rztlichen und arzt盲hnlichen Berufe durchgef眉hrt werden".
Rz. 11
搂听4 Nr.听14 Buchst.听b UStG befreit "Krankenhausbehandlungen und 盲rztliche Heilbehandlungen einschlie脽lich der Diagnostik, Befunderhebung, Vorsorge, Rehabilitation, Geburtshilfe und Hospizleistungen sowie damit eng verbundene Ums盲tze, die von Einrichtungen des 枚ffentlichen Rechts erbracht werden". Nach Satz听2 Doppelbuchst.听bb sind diese Leistungen auch steuerfrei, wenn sie von "Zentren f眉r 盲rztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder Befunderhebung, die an der vertrags盲rztlichen Versorgung nach 搂听95 des F眉nften Buches Sozialgesetzbuch teilnehmen oder f眉r die Regelungen nach 搂听115 des F眉nften Buches Sozialgesetzbuch gelten" erbracht werden. Unionsrechtlich beruht dies auf Art.听132 Abs.听1 Buchst.听b MwStSystRL. Steuerfrei sind danach "Krankenhausbehandlungen und 盲rztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Ums盲tze, die von Einrichtungen des 枚ffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen f眉r diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren f眉r 盲rztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgem盲脽 anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgef眉hrt beziehungsweise bewirkt werden".
Rz. 12
2. Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art.听132 Abs.听1 Buchst.听b und c MwStSystRL hat der EuGH im Urteil LuP vom 8.听Juni 2006 C-106/05 (EU:C:2006:380) entschieden, dass bei medizinischen Analysen, die von --in privatrechtlicher Form organisierten-- Laboren au脽erhalb der Praxisr盲ume des praktischen Arztes durchgef眉hrt werden, der sie angeordnet hat, zu pr眉fen ist, ob die Analysen unter Art.听13 Teil听A Abs.听1 Buchst.听b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.听Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten 眉ber die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) fallen k枚nnen. Der EuGH hat dies bejaht, da derartige Labore als Einrichtung "gleicher Art" wie "Krankenanstalten" und "Zentren f眉r 盲rztliche Heilbehandlung und Diagnostik" anzusehen sind (EuGH-Urteil LuP, EU:C:2006:380, Rz听35). Zu den nach dieser Bestimmung zu erf眉llenden Voraussetzungen hat der EuGH entschieden, dass es der Steuerfreiheit nach Art.听13 Teil听A Abs.听1 Buchst.听b der Richtlinie 77/388/EWG "immanent [ist], dass die Befreiung der medizinischen Analysen an Bedingungen gekn眉pft werden kann, die f眉r die 脛rzte, die die Analysen angeordnet haben, nicht gelten" (EuGH-Urteil LuP, EU:C:2006:380, Rz听46).
Rz. 13
3. Der erkennende Senat hat sich dem angeschlossen und entschieden, dass "der EuGH die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach Art.听13 Teil A Abs.听1 Buchst.听c der Richtlinie 77/388/EWG von den 盲rztlichen Heilbehandlungen, die von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor nach Art.听13 Teil听A Abs.听1 Buchst.听b der Richtlinie 77/388/EWG erbracht werden, nach dem Ort ab[grenzt], an dem die Leistungen erbracht werden (Rz听22 und 39 des EuGH-Urteils LuP, EU:C:2006:380). Nach Buchst.听c sollen Leistungen steuerfrei sein, die au脽erhalb von Krankenh盲usern (oder 盲hnlichen Einrichtungen) im Rahmen eines pers枚nlichen Vertrauensverh盲ltnisses erbracht werden, sei es in den Praxisr盲umen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, f眉r alle anderen 盲rztlichen Leistungen soll Buchst.听b eingreifen" (BFH-Urteil vom 15.听M盲rz 2007 V听R听55/03, BFHE 217, 48, BStBl II 2008, 31, unter II.1.b).
Rz. 14
Der erkennende Senat ist dabei f眉r die alte Rechtslage (vor der im Streitjahr ma脽geblichen 脛nderung durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19.听Dezember 2008 --JStG 2009-- BGBl I 2008, 2794) davon ausgegangen, dass diese "der Richtlinie 77/388/EWG zugrunde liegende Systematik... sich aber nicht im Wege der Auslegung in das nationale Umsatzsteuergesetz 眉bertragen [l盲sst], soweit es diesem Ansatz des europ盲ischen Rechts schon dem Grunde nach nicht folgt. In 搂听4 Nr.听14 UStG 1980/1991/1993 finden sich sowohl 脛rzte als auch klinische Chemiker, deren Leistungen nicht in der Arztpraxis oder der Wohnung des Patienten erbracht werden, als auch solche, bei denen dies der Fall ist. Durch das UStG 1980 wurde die Befreiung nach 搂听4 Nr.听14 UStG 1980/1991/1993 auf die klinischen Chemiker ausgedehnt, um eine Wettbewerbsbenachteiligung dieser Unternehmer gegen眉ber den Labor盲rzten zu verhindern (BTDrucks 8/2827, S.听14). Das nationale Gesetz kn眉pft damit hinsichtlich der Steuerbefreiung (auch der Labor盲rzte) in erster Linie an den Beruf an und nicht an den Ort der Leistung. Die von 搂听4 Nr.听14 UStG 1980/1991/1993 erfassten Ums盲tze k枚nnen nicht gegen den Gesetzeswortlaut im Wege der Auslegung in den Anwendungsbereich des 搂听4 Nr.听16 Buchst.听c UStG 1980/1991/1993 'umdefiniert' werden. Es bleibt vielmehr dabei, dass sich in einem derartigen Fall der Steuerpflichtige auf das f眉r ihn g眉nstigere nationale Recht --wie hier 搂听4 Nr.听14 Satz听1 UStG 1980/ 1991/1993-- berufen kann, solange dieses nicht entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 77/388/EWG angepasst wird".
Rz. 15
4. Diese vom erkennenden Senat f眉r erforderlich gehaltene Anpassung hat das JStG 2009 vorgenommen. Wie sich aus der amtlichen Gesetzesbegr眉ndung (BTDrucks 16/10189, S.听74) ergibt, bezweckte der nationale Gesetzgeber damit ausdr眉cklich eine Anpassung an die unionsrechtliche Systematik: "Kriterium f眉r die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der beiden Befreiungstatbest盲nde in Artikel听132 Abs.听1 Buchstabe听b und c MwStSystRL ist weniger die Art der Leistung als vielmehr der Ort ihrer Erbringung. Der EuGH hat festgestellt, dass solche Leistungen nach Artikel 132 Abs.听1 Buchstabe听b MwStSystRL von der Mehrwertsteuer zu befreien sind, die aus einer Gesamtheit von 盲rztlichen Heilbehandlungen in Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung wie der des Schutzes der menschlichen Gesundheit bestehen, w盲hrend Buchstabe听c auf Leistungen anwendbar ist, die au脽erhalb von Krankenh盲usern oder 盲hnlichen Einrichtungen im Rahmen eines pers枚nlichen Vertrauensverh盲ltnisses zwischen Patienten und Behandelndem, z.B. in den Praxisr盲umen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort erbracht werden (vgl. EuGH-Urteil Dornier vom 6.听November 2003 C-45/01, EU:C:2003:595, Rz听47)". Dabei wurden die Leistungen der "Einrichtungen von Labor盲rzten oder klinischen Chemikern" entsprechend der unionsrechtlichen Systematik ausdr眉cklich dem neuen 搂听4 Nr.听14 Buchst.听b Satz听2 Doppelbuchst.听bb UStG zugeordnet (BTDrucks 16/10189, S.听75).
Rz. 16
5. Danach ist das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zur眉ckzuverweisen. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die bislang --von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht-- fehlenden Feststellungen zur Anwendung von 搂听4 Nr.听14 Buchst.听b Satz听2 Doppelbuchst.听bb UStG nachzuholen haben. Dabei wird das FG auch zu entscheiden haben, ob diese Regelung im Hinblick auf einen unzul盲ssigen Bedarfsvorbehalt unionsrechtswidrig sein k枚nnte (vgl. BFH-Urteil vom 23.听Oktober 2014 V听R听20/14, BFHE 248, 376, BStBl II 2016, 785).
Rz. 17
Eine Steuerfreiheit nach 搂听4 Nr.听14 Buchst.听a UStG kommt im Streitjahr 2009 aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht Betracht. Gegebenenfalls sind hierzu im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.
Rz. 18
6. Die 脺bertragung der Kostenentscheidung beruht auf 搂听143 Abs.听2 FGO.
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Fundstellen
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BFH/NV 2017, 1687 |
BFH/PR 2017, 409 |
BStBl II 2023, 982 |
BFHE 2018, 171 |
BB 2017, 2392 |
BB 2018, 927 |
DB 2017, 6 |
DStR 2017, 2174 |
DStRE 2017, 1340 |
DStZ 2017, 819 |
HFR 2017, 1157 |
UR 2017, 961 |