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Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft
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Leitsatz (NV)
1. F眉r die Annahme einer Organschaft ist es nicht erforderlich, dass sich alle drei in 搂 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten Merkmale einer Eingliederung gleicherma脽en deutlich feststellen lassen.
2. Es gibt keine Vermutung, dass bei finanzieller Eingliederung auch eine organisatorische Eingliederung vorliegt.
3. Die organisatorische Eingliederung setzt vielmehr voraus, dass der Organtr盲ger durch organisatorische Ma脽nahmen sicherstellt, dass in der Organgesellschaft sein Wille tats盲chlich durchgef眉hrt wird und eine abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft nicht stattfindet.
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Normenkette
UStG 1999 搂 2 Abs. 2; UStG 1993 搂 2 Abs. 2; EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 4
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Verfahrensgang
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Tatbestand
I. Streitig sind die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft.
Im Oktober 1989 gr眉ndeten A und sein Sohn B die Kl盲gerin und Revisionskl盲gerin (Kl盲gerin), eine Kommanditgesellschaft (KG). A brachte sein bestehendes Einzelunternehmen in die Kl盲gerin ein und wurde Komplement盲r, B beteiligte sich mit einem Festkapital von 25 000 DM als Kommanditist an der Kl盲gerin. Gewinn und Verlust wurden im Verh盲ltnis von 75 v.H. zu 25 v.H. zwischen A und B aufgeteilt.
Im November 1993 gr眉ndeten A und B eine GmbH. Das Stammkapital der GmbH betr盲gt 50 000 DM, wovon die Gesellschafter jeweils 50 v.H. (25 000 DM) halten. Gesellschafterbeschl眉sse werden grunds盲tzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Gesch盲ftsf眉hrer der GmbH war B, A war als kaufm盲nnischer Leiter, Kundenbetreuer und im Au脽endienst f眉r die Gesellschaft t盲tig.
Am 1. Dezember 1995 vermietete die Kl盲gerin ein von ihr errichtetes Geb盲ude und den Maschinenpark an die GmbH. In den Umsatzsteuerbescheiden f眉r die Jahre 1997 und 1998 und im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid f眉r den Monat August 2000 behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die GmbH als Organgesellschaft der Kl盲gerin und setzte die Umsatzsteuer entsprechend fest. Hiergegen richteten sich nach erfolglosen Einspruchsverfahren die Klagen.
Im Klageverfahren erlie脽 das FA den Umsatzsteuerjahresbescheid 2000.
Die Klagen hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begr眉ndete seine Urteile, von denen das die Umsatzsteuer 2000 betreffende in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2006, 771 ver枚ffentlicht ist, im Wesentlichen wie folgt: Die f眉r die Organschaft erforderliche finanzielle Eingliederung liege vor, wenn der Organtr盲ger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sei, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen k枚nne. Erforderlich hierf眉r sei die Mehrheit der Stimmen, also mehr als 50 v.H. Diese Voraussetzung sei vorliegend erf眉llt. Die Stimmenmehrheit des Organtr盲gers f眉r Beschl眉sse in der Organgesellschaft k枚nne auch durch eine mittelbare Beteiligung gew盲hrleistet werden. Eine finanzielle Eingliederung der GmbH liege vor, weil beide Gesellschafter zusammen --als Personengruppe-- sowohl 眉ber die Mehrheit der Anteile und Stimmrechte an der Kl盲gerin als auch 眉ber die Mehrheit der Anteile und Stimmrechte an der GmbH verf眉gten. Insofern k枚nnten beide Gesellschafter als Personengruppe einen einheitlichen gemeinsamen Willen bei der KG bilden und diesen auch in der GmbH durchsetzen.
Die GmbH sei auch organisatorisch in die Kl盲gerin eingegliedert. Aus der finanziellen Eingliederung folge regelm盲脽ig die organisatorische Eingliederung. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass die Gesch盲ftsf眉hrungsorgane der finanziell beherrschten Gesellschaft im Regelfall den mutma脽lichen Willen des beherrschenden Gesellschafters ausf眉hren w眉rden, da dieser aufgrund seiner Mehrheitsbeteiligung die personelle Besetzung der Gesch盲ftsf眉hrungsorgane bestimme.
Hiergegen richten sich die Revisionen der Kl盲gerin. Sie tr盲gt vor, die GmbH sei nicht finanziell eingegliedert gewesen. Die finanzielle Eingliederung sei Grundvoraussetzung f眉r die Annahme einer Organschaft und setze den Besitz der Anteilsmehrheit voraus. Dabei d眉rften jedoch die Anteile der Gesellschafter des Organtr盲gers nicht addiert und dem Organtr盲ger zugerechnet werden. Eine finanzielle Eingliederung sei grunds盲tzlich nicht gegeben, wenn eine beherrschende Mehrheit nur durch Zusammenrechnung der unmittelbar von der Gesellschaft gehaltenen Anteile und der von deren Minderheitsgesellschafter gehaltenen mittelbaren Beteiligung erreicht werden k枚nne. Eine finanzielle Eingliederung durch mittelbare Beteiligung 眉ber eine Gesellschaftsbeteiligung k枚nne nur angenommen werden, wenn ein Gesellschafter die Stimmenmehrheit sowohl in der Organtr盲gergesellschaft als auch in der Organgesellschaft halte. Eine finanzielle Eingliederung liege nicht vor, wenn die Stimmenmehrheit nur dadurch erreicht werde, dass einer der 眉brigen Gesellschafter mit dem 眉berwiegend (aber nicht mehrheitlich) beteiligten Gesellschafter stimme. Eine Zusammenrechnung der Beteiligungen zu einer herrschenden Personengruppe sei nicht m枚glich, wenn Interessengegens盲tze zwischen den an der Besitzgesellschaft und den an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschaftern vorl盲gen. Die m眉ndliche Verhandlung habe ergeben, dass steuerlich relevante Interessengegens盲tze zwischen dem Gesch盲ftsf眉hrer der Kl盲gerin und seinem Sohn B best眉nden.
Das FG habe es vers盲umt, die Angaben des Gesch盲ftsf眉hrers der Kl盲gerin durch eine Zeugenvernehmung des B festzustellen, und dadurch gegen seine Aufkl盲rungspflicht versto脽en.
Die bei ihr, der Kl盲gerin, zu treffenden Entscheidungen bestimme A in seiner Eigenschaft als Komplement盲r und alleinvertretungsberechtigter Gesch盲ftsf眉hrer allein. Der Kommanditist B sei nicht berechtigt, in das laufende Tagesgesch盲ft einzugreifen. A sei aber in der GmbH aufgrund seiner Beteiligung von nur 50 v.H. nicht in der Lage, die Geschicke der GmbH zu bestimmen.
Die Kl盲gerin beantragt, die Urteile des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998 vom 26. Juli 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2001 und den Umsatzsteuerbescheid 2000 vom 13. Juni 2002 dahingehend zu 盲ndern, dass die Umsatzsteuer f眉r 1997 auf 鈥 DM, f眉r 1998 auf 鈥 DM und f眉r 2000 auf 鈥 DM herabgesetzt wird, hilfsweise den Rechtsstreit an einen anderen Senat des FG zur眉ckzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zur眉ckzuweisen.
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II. 1. Die Verbindung der Verfahren beruht auf 搂 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
2. Die Revisionen sind zul盲ssig und begr眉ndet. Sie f眉hren zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zur眉ckverweisung an das FG (搂 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
a) Die Revisionen sind zul盲ssig, weil sie durch das FG im Tenor, best盲tigt durch die Urteilsgr眉nde, seiner Urteile zugelassen worden sind. Die dem widersprechenden Rechtsbehelfsbelehrungen beseitigen die Zulassung nicht (Gr盲ber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., 搂 115 Rz 107; Lange in H眉bschmann/Hepp/Spitaler, 搂 115 FGO Rz 280).
b) Die Revisionen sind auch begr眉ndet. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die GmbH im Wege der Organschaft in die Kl盲gerin eingegliedert gewesen sei.
Nach 搂 2 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche T盲tigkeit selbst盲ndig aus眉bt. Die gewerbliche oder berufliche T盲tigkeit wird nach 搂 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht selbst盲ndig ausge眉bt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tats盲chlichen Verh盲ltnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organtr盲gers eingegliedert ist (Organschaft).
c) Mit dieser Vorschrift hat der deutsche Gesetzgeber von der Erm盲chtigung des Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten 眉ber die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) Gebrauch gemacht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Januar 2002 V R 37/00, BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, m.w.N.), der bestimmt:
"Vorbehaltlich der Konsultation nach Artikel 29 steht es jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ans盲ssige Personen, die zwar rechtlich unabh盲ngig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln."
Danach er枚ffnet das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten die M枚glichkeit, bereits dann mehrere im Inland ans盲ssige Personen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn sie "eng miteinander verbunden sind". Diesen Spielraum nutzt das nationale Recht aber nur teilweise aus. Die nach 搂 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erforderliche Eingliederung in ein anderes Unternehmen setzt n盲mlich ein Verh盲ltnis der 脺ber- und Unterordnung der beteiligten Gesellschaften voraus (BFH-Urteile vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671; vom 18. Dezember 1996 XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 441, unter II.1.). Die Organgesellschaft muss als Unternehmensteil dem Unternehmen des Organtr盲gers zuzuordnen sein.
d) F眉r die Annahme einer Organschaft ist es nicht erforderlich, dass alle drei in 搂 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten Merkmale einer Eingliederung (finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch) sich gleicherma脽en deutlich feststellen lassen; nach dem Gesamtbild der tats盲chlichen Verh盲ltnisse kann die Selbst盲ndigkeit auch dann fehlen, wenn die Eingliederung auf einem der drei Gebiete nicht vollkommen ist (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671; vom 25. Juni 1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534; vom 22. November 2001 V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167). Allerdings reicht es nicht aus, dass eine Eingliederung nur in Bezug auf zwei der drei Merkmale besteht (BFH-Urteile in BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671; in BFH/NV 1998, 1534, unter II.2.a; BFH-Beschluss vom 24. Februar 2003 V B 84/01, BFH/NV 2003, 949).
e) Zu Recht hat das FG die finanzielle Eingliederung der GmbH in die Kl盲gerin angenommen. Die finanzielle Eingliederung setzt den Besitz der Anteilsmehrheit voraus, die erforderlich ist, um die wesentlichen Entscheidungen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Ist mit der Kapitalbeteiligung ein gleicher Stimmrechtsanteil verbunden, muss die Beteiligung des Organtr盲gers regelm盲脽ig mehr als 50 v.H. betragen. Der Organtr盲ger muss dabei nicht die Kapitalbeteiligung an der Organgesellschaft selbst besitzen. Eine mittelbare Eingliederung reicht aus. Diese liegt u.a. vor, wenn --wie hier-- die Gesellschafter einer Personengesellschaft (des Organtr盲gers) die Gesch盲ftsanteile der Organgesellschaft besitzen (BFH-Urteile in BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a ee; vom 20. Januar 1999 XI R 69/97, BFH/NV 1999, 1136).
f) Es fehlt vorliegend aber an einer organisatorischen Eingliederung der GmbH.
aa) Zu Unrecht geht das FG bei finanzieller Eingliederung von der Vermutung der organisatorischen Eingliederung aus. Diese Annahme l盲sst sich nicht, wie das FG meint, auf die allgemeine Lebenserfahrung st眉tzen. Der Senat hat vielmehr bereits mehrfach entschieden, dass aus der finanziellen Eingliederung nicht notwendigerweise die organisatorische Eingliederung folgt (BFH-Beschluss vom 20. September 2006 V B 138/05, BFH/NV 2007, 281; BFH-Urteil vom 20. Februar 1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; a.A. Stadie in Rau/D眉rrw盲chter, Umsatzsteuergesetz, 搂 2 Rz 698). Die organisatorische Eingliederung setzt vielmehr voraus, dass der Organtr盲ger durch organisatorische Ma脽nahmen sicherstellt, dass in der Organgesellschaft sein Wille tats盲chlich durchgef眉hrt wird und eine von seinem Willen abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft nicht stattfindet (BFH-Urteile in BFH/NV 1993, 133; vom 28. Januar 1999 V R 32/98, BStBl II 1999, 258; vom 16. August 2001 V R 34/01, BFH/NV 2002, 223; vom 1. April 2004 V R 24/03, BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905; vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, Der Steuer-Eildienst 2008, 134).
bb) Vorliegend hat die Kl盲gerin 眉ber die mit der finanziellen Eingliederung zwangsl盲ufig einhergehende M枚glichkeit der Weisung durch Gesellschafterbeschluss (vgl. hierzu Z枚llner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., 搂 37 Rz 18) hinaus nicht ihren ma脽gebenden Einfluss auf die Willensbildung bei der GmbH sichergestellt. Bei der Kl盲gerin erfolgt die Willensbildung durch deren Mehrheitsgesellschafter, Komplement盲r und alleinigen Gesch盲ftsf眉hrer A. In der GmbH kann dieser Wille aber nicht durchgesetzt werden, weil die Gesch盲ftsf眉hrung von B wahrgenommen wird. Eine "gesch盲ftsf眉hrungs盲hnliche leitende Position" reicht nicht aus, um die Willensbildung in der Gesellschaft gegen den alleinigen Gesch盲ftsf眉hrer zu bestimmen. Daher scheidet eine organisatorische Eingliederung aus.
Das FG ist von anderen Grunds盲tzen ausgegangen. Seine Urteile waren deshalb aufzuheben.
3. Die Sachen waren an das FG zur眉ckzuverweisen, weil das FG keine ausreichenden Feststellungen zu den Bemessungsgrundlagen f眉r die festzusetzende Steuer getroffen hat. Eine Verweisung an einen anderen Senat des FG --wie von der Kl盲gerin beantragt-- ist nicht geboten, da ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des erkennenden Senats des FG nicht ersichtlich sind (vgl. BFH-Urteile vom 16. Dezember 1998 X R 139/95, BFH/NV 1999, 780; vom 26. Juli 1991 VI R 100/90, BFH/NV 1992, 53).
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Fundstellen
亿兆体育-Index 2010419 |
BFH/NV 2008, 1365 |