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Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein berechtigtes Interesse an Aussetzung der Vollziehung eines Einheitswertbescheids wegen der Belastung mit Grundsteuer
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Leitsatz (NV)
1. M盲ngel im System der Einheitsbewertung des Grundbesitzes k枚nnen nur mit einem Rechtsbehelf gegen den Einheitswertbescheid und nicht im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Grundsteuerbescheid geltend gemacht werden.
2. Die Aussetzung der Vollziehung eines Einheitswertbescheids wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihm zugrunde liegenden Vorschriften setzt voraus, dass nach den Umst盲nden des Einzelfalls ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gew盲hrung vorl盲ufigen Rechtsschutzes besteht.
4. Das Interesse an der Aussetzung eines Einheitswertbescheids im Hinblick auf die Belastung mit Grundsteuer muss hinter das Interesse an einer geordneten (gemeindlichen) Haushaltswirtschaft zur眉cktreten.
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Normenkette
AO 搂听171 Abs. 10, 搂听180 Abs. 1 Nr. 1, 搂听182 Abs. 1, 搂听351 Abs. 2; FGO 搂 69; GG Art. 3 Abs. 1
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Verfahrensgang
FG des Saarlandes (Beschluss vom 26.06.2013; Aktenzeichen 1 V 1075/13) |
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Tatbestand
Rz. 1
I. Der Antragsteller und Beschwerdef眉hrer (Antragsteller) erwarb 2008 einen Miteigentumsanteil an einem zun盲chst unbebauten und in der Folgezeit mit einer Eigentumswohnanlage bebauten Grundst眉ck. Durch Bescheid vom 20. Dezember 2012 stellte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Einheitswert f眉r die Eigentumswohnung im Wege der Wert- und Artfortschreibung auf den 1. Januar 2011 auf 12.731 鈧 sowie die Grundst眉cksart Einfamilienhaus-Wohnungseigentum fest; durch Grundsteuermessbescheid vom 20. Dezember 2012 setzte das FA den Grundsteuermessbetrag zum 1. Januar 2011 auf 44,55 鈧 fest. Beide Bescheide ergingen gem盲脽 搂 165 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) vorl盲ufig hinsichtlich der Frage, ob die Vorschriften 眉ber die Einheitsbewertung des Grundverm枚gens verfassungsgem盲脽 sind. Gegen diese Bescheide legte der Antragsteller Einspruch ein; die Einspruchsverfahren ruhen gem盲脽 搂 363 Abs. 2 Satz 2 AO.
Rz. 2
Der Antragsteller beantragte zugleich mit der Einlegung der Einspr眉che die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Einheitswert- sowie des Grundsteuermessbescheids. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Der hiergegen erhobene Einspruch sowie die nachfolgend beim Finanzgericht (FG) gestellten Antr盲ge auf AdV hatten keinen Erfolg. Nach Auffassung des FG 眉berwiege auch unter Ber眉cksichtigung der m枚glichen Verfassungswidrigkeit der die Grundbesitzbewertung betreffenden Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) das besondere Aussetzungsinteresse des Antragstellers nicht das Vollzugsinteresse des Staates.
Rz. 3
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht der Antragsteller die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften 眉ber die Einheitsbewertung des Grundbesitzes geltend. Bei der vorzunehmenden Interessenabw盲gung sei zu ber眉cksichtigen, dass ein dauerhafter Eingriff in die Verm枚gensph盲re vorliege.
Rz. 4
Der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des FG die Vollziehung des Einheitswert- sowie des Grundsteuermessbescheids vom 20. Dezember 2012 auszusetzen.
Rz. 5
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegr眉ndet zur眉ckzuweisen.
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Rz. 6
II. Die Beschwerde ist unbegr眉ndet und daher zur眉ckzuweisen.
Rz. 7
1. Das FG hat den auf AdV des Grundsteuermessbescheids gerichteten Antrag zutreffend als unzul盲ssig verworfen. Der Einheitswertbescheid (搂 180 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. 搂 19 BewG) ist als Grundlagenbescheid (搂 171 Abs. 10 AO) f眉r den Grundsteuermessbescheid gem盲脽 搂 182 Abs. 1 AO bindend. Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid k枚nnen gem盲脽 搂 351 Abs. 2 AO nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids angegriffen werden. Demgem盲脽 k枚nnen die hier vom Antragsteller allein ger眉gten M盲ngel im System der Einheitsbewertung des Grundbesitzes nur mit einem Rechtsbehelf gegen den Einheitswertbescheid geltend gemacht werden (Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 18. Februar 2009听 1 BvR 1334/07, BVerfGK 15, 89). Der mit ernstlichen Zweifeln an der Rechtm盲脽igkeit des Grundlagenbescheids begr眉ndete Antrag auf AdV des Folgebescheids ist demgem盲脽 unzul盲ssig (Gr盲ber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., 搂 69 Rz 55 "Folgebescheide", m.w.N.).
Rz. 8
2. Die beantragte AdV des Einheitswertbescheids hat das FG zu Recht abgelehnt.
Rz. 9
a) Nach 搂 128 Abs. 3 i.V.m. 搂 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtm盲脽igkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.
Rz. 10
b) Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Pr眉fung des angefochtenen Steuerbescheids neben den f眉r seine Rechtm盲脽igkeit sprechenden Umst盲nden gewichtige Gr眉nde zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (Beschl眉sse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. April 2013 V B 125/12, BFHE 240, 447, BStBl II 2013, 973, m.w.N.; vom 11. Juli 2013 XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647, m.w.N.).
Rz. 11
c) Die AdV eines Einheitswertbescheids wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihm zugrunde liegenden Vorschriften setzt voraus, dass nach den Umst盲nden des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gew盲hrung vorl盲ufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem 枚ffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (BFH-Beschluss vom 21. November 2013 II B 46/13, BFHE 243, 162, BStBl II 2014, 263). Bei der Pr眉fung, ob ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der AdV eines Steuerbescheids vorliegt, ist das individuelle Interesse des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gew盲hrung vorl盲ufigen Rechtsschutzes sprechenden 枚ffentlichen Belangen abzuw盲gen. Hierbei kommt es ma脽geblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer AdV auf den Gesetzesvollzug und das 枚ffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsf眉hrung an (z.B. BFH-Beschl眉sse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 9. M盲rz 2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; vom 9. Mai 2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489).
Rz. 12
3. Im Streitfall bestehen zwar ernstliche Zweifel i.S. von 搂 69 Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtm盲脽igkeit des angefochtenen Einheitswertbescheids. Das Interesse des Antragstellers an der AdV ist jedoch gegen眉ber dem 枚ffentlichen Interesse am Vollzug der Vorschriften 眉ber die Grundbesitzbewertung nicht vorrangig.
Rz. 13
a) Der Senat (BFH-Urteile vom 30. Juni 2010 II R 60/08, BFHE 230, 78, BStBl II 2010, 897, und vom 30. Juni 2010 II R 12/09, BFHE 230, 93, BStBl II 2011, 48) hat zwar entschieden, dass die Vorschriften 眉ber die Einheitsbewertung des Grundverm枚gens trotz der verfassungsrechtlichen Zweifel, die sich aus den lange zur眉ckliegenden Hauptfeststellungszeitpunkten des 1. Januar 1964 bzw. --im Beitrittsgebiet-- des 1. Januar 1935 und darauf beruhenden Wertverzerrungen ergeben, jedenfalls f眉r Stichtage bis zum 1. Januar 2007 noch verfassungsgem盲脽 sind. In diesen Entscheidungen hat der Senat jedoch ferner ausgef眉hrt, dass das weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung des Grundverm枚gens f眉r Zwecke der Grundsteuer mit verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--), nicht vereinbar ist. Hiervon ausgehend ist die Rechtm盲脽igkeit des hier angefochtenen Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 2010 ernstlich zweifelhaft.
Rz. 14
b) Der Antragsteller hat aber kein besonderes berechtigtes Interesse an der AdV.
Rz. 15
Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers muss schon angesichts der H枚he der sich auf der Grundlage des angefochtenen Einheitswertbescheids ergebenden, vom FG mit 155,75 鈧 bezifferten j盲hrlichen Grundsteuer hinter das Interesse an einer geordneten 枚ffentlichen (gemeindlichen) Haushaltswirtschaft zur眉cktreten. Diese finanzielle Belastung ist dem Antragsteller auch deshalb zuzumuten, weil die Grundsteuer aufgrund ihres Charakters als Realsteuer (搂 3 Abs. 2 AO) grunds盲tzlich ohne R眉cksicht auf die pers枚nlichen Verh盲ltnisse und die pers枚nliche Leistungsf盲higkeit des Eigent眉mers erhoben wird (BFH-Urteil vom 18. April 2012听 II R 36/10, BFHE 237, 169, BStBl II 2012, 867; BVerfG-Beschluss in BVerfK 15, 89).
Rz. 16
Vorliegend ist auch keine der Fallgruppen gegeben, in denen der BFH dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die einem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschriften den Vorrang vor den 枚ffentlichen Interessen einr盲umt (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, m.w.N.). Insbesondere hat der BFH die die Grundbesitzbewertung betreffenden Vorschriften des BewG bislang nicht gem盲脽 Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur Pr眉fung der Verfassungsm盲脽igkeit vorgelegt.
Rz. 17
Da Gegenstand des Aussetzungsantrags nur der hier angefochtene Einheitswertbescheid ist, m眉ssen bei der Aussetzungsentscheidung die vom Antragsteller angef眉hrten Grundsteuerr眉ckst盲nde in Bezug auf seinen anderweitigen Grundbesitz unber眉cksichtigt bleiben.
Rz. 18
4. Die Kostenentscheidung beruht auf 搂 135 Abs. 2 FGO.
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Fundstellen
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BFH/NV 2015, 7 |