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Entscheidungsstichwort (Thema)
Bereitstellungsentgelte als pauschalierte Entsch盲digung nicht umsatzsteuerbar
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Leitsatz (amtlich)
So genannte Bereitstellungsentgelte, die ein Speditionsunternehmen erh盲lt, wenn eine Zwangsr盲umung kurzfristig von dem Gerichtsvollzieher abgesagt wird, stellen eine pauschalierte Entsch盲digung dar und unterliegen mangels eines Leistungsaustauschs nicht der Umsatzsteuer.
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Normenkette
UStG 搂听1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, 搂听3 Abs. 9 S. 1; HGB 搂 415 Abs. 2; EWGRL 388/77 Art. 2 Nr. 1
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Verfahrensgang
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Tatbestand
Rz. 1
I. Die Beteiligten streiten 眉ber die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von sog. Bereitstellungsentgelten bei Zwangsr盲umungen.
Rz. 2
Die Kl盲gerin und Revisionsbeklagte (Kl盲gerin) betreibt ein Speditionsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Sie f眉hrt u.a. im Auftrag von Gerichtsvollziehern Zwangsr盲umungen durch. Hierf眉r erh盲lt sie --gestaffelt nach der Anzahl der zu r盲umenden Zimmer-- ein Entgelt, das der Umsatzsteuer unterworfen wird. Werden Zwangsr盲umungen innerhalb von vier Tagen vor dem R盲umungstermin vom zust盲ndigen Gerichtsvollzieher abgesagt, so erh盲lt sie von diesem 30 % des f眉r eine tats盲chlich durchgef眉hrte R盲umung vereinbarten Entgelts. Die Kl盲gerin hat die sog. Bereitstellungsentgelte nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Bestimmte Vorbereitungshandlungen f眉r eine bevorstehende Wohnungsr盲umung, wie etwa Zurverf眉gungstellung von Personal, Fahrzeugen oder R盲umlichkeiten, erbringt sie bis zum K眉ndigungstermin nicht.
Rz. 3
Im Rahmen einer Au脽enpr眉fung f眉r die Streitjahre 1995 bis 1999 vertrat der Beklagte und Revisionskl盲ger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, dass auch die sog. Bereitstellungsentgelte der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Den Einspruch der Kl盲gerin wies das FA zur眉ck.
Rz. 4
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt; die Kl盲gerin habe keine steuerbaren Leistungen erbracht. Die Entscheidung ist ver枚ffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1073.
Rz. 5
Zur Begr眉ndung seiner Revision tr盲gt das FA vor, kennzeichnend f眉r einen nicht steuerbaren Schadensersatz sei, dass die Verg眉tung f眉r ein vertragswidriges Verhalten geschuldet und somit losgel枚st vom urspr眉nglichen Rechtsgrund gezahlt werde. Die sog. Bereitstellungsentgelte w眉rden dagegen nicht f眉r eine vertragswidrige Aufl枚sung gezahlt, sondern f眉r eine Leistung innerhalb des vereinbarten Leistungsaustausches, denn es handele sich bei der Zahlung um einen f眉r Zwangsr盲umungen typischen Vorgang und dieser beruhe nicht auf einem vom urspr眉nglichen Rechtsgrund losgel枚sten eigenen Rechtsgrund. Nach den Abrechnungen werde die von vornherein festgelegte Abstandspauschale f眉r eine bestimmte und nach Anzahl der Wagen und Arbeitskr盲fte genau bezeichnete Leistung bezahlt.
Rz. 6
Zu Unrecht sei das FG unter Verweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. August 1970 V R 159/66 (BFHE 100, 259, BStBl II 1971, 6) davon ausgegangen, dass die Kl盲gerin noch keine Leistung erbracht habe. Denn dort sei nicht, wie hier, eine sonstige Leistung Vertragsgegenstand gewesen, sondern eine Werklieferung, bei der der Liefervorgang im Vordergrund stehe und damit die Verschaffung der Verf眉gungsmacht an der bestellten Sache. Gegenstand der sonstigen Leistung im Streitfall sei hingegen nicht nur die eigentliche R盲umung, sondern seien auch etwaige "Vorleistungen", zu denen geh枚re, dass die Kl盲gerin durch organisatorische Ma脽nahmen sicherstelle, zum vereinbarten Termin 眉ber die notwendigen Kapazit盲ten zu verf眉gen.
Rz. 7
Das FA beantragt sinngem盲脽,die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 8
Die Kl盲gerin beantragt,die Revision zur眉ckzuweisen.
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Rz. 9
II. Die Revision ist unbegr眉ndet und daher zur眉ckzuweisen (搂 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zutreffend ist das FG zu dem Ergebnis gekommen, dass die sog. Bereitstellungsentgelte nicht im Rahmen eines Leistungsaustausches i.S. des 搂 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) gezahlt worden sind, weil ihnen keine Leistungen der Kl盲gerin gegen眉berstanden.
Rz. 10
1. Sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausf眉hrt, unterliegen gem盲脽 搂 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG der Umsatzsteuer. Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind (搂 3 Abs. 9 Satz 1 UStG).
Rz. 11
a) F眉r das Vorliegen einer entgeltlichen Leistung, die in 脺bereinstimmung mit Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten 眉ber die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) nach 搂 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar ist, sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europ盲ischen Union (EuGH), der sich der BFH angeschlossen hat, im Wesentlichen folgende unionsrechtlich gekl盲rten Grunds盲tze zu ber眉cksichtigen:
Rz. 12
Zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, wobei die gezahlten Betr盲ge die tats盲chliche Gegenleistung f眉r eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen eines zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempf盲nger bestehenden Rechtsverh盲ltnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, erbracht wurde (EuGH-Urteile vom 18. Juli 2007 Rs. C-277/05 --Societ茅 thermale d'Eug茅nie-les-Bains--, Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424, Rz 19; vom 21. M盲rz 2002 Rs. C-174/00 --Kennemer Golf & Country Club--, Slg. 2002, I-3293, BFH/NV Beilage 2002, 95, Rz 39, und vom 3. M盲rz 1994 Rs. C-16/93 --Tolsma--, Slg. 1994, I-743, Umsatzsteuer-Rundschau 1994, 399, Rz 13; BFH-Urteile vom 19. Februar 2004 V R 10/03, BFHE 205, 495, BStBl II 2004, 675; vom 5. Dezember 2007 V R 60/05, BFHE 219, 455, BStBl II 2009, 486, jeweils m.w.N.; Schlosser-Zeuner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., 搂 1 Rz 14 ff., 28, m.w.N.).
Rz. 13
Dabei bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverh盲ltnis, ob die Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung verkn眉pft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008 V R 38/06, BFHE 225, 155, BStBl II 2009, 749).
Rz. 14
Echte Entsch盲digungs- oder Schadensersatzleistungen sind demgegen眉ber kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht f眉r eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlungsempf盲nger erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag f眉r den Schaden und seine Folgen einzustehen hat (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1998 V R 58/97, BFH/NV 1999, 987).
Rz. 15
b) Entsprechend diesen Grunds盲tzen hat der EuGH in seinem Urteil Societ茅 thermale d'Eug茅nie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424) entschieden, dass die von einem Gast an einen Hotelbetreiber als Angeld geleisteten Betr盲ge in F盲llen, in denen der Erwerber von der ihm er枚ffneten M枚glichkeit des R眉cktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Betr盲ge einbeh盲lt, als pauschalierte Entsch盲digung zum Ausgleich des infolge des Vertragsr眉cktritts des Gastes entstandenen Schadens --ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen Dienstleistung-- und als solche nicht als mehrwertsteuerpflichtig anzusehen sind.
Rz. 16
Da die Zahlung des Angelds zum einen kein Entgelt f眉r eine eigenst盲ndige, bestimmbare Leistung darstelle, die der Hotelbetreiber seinem Gast erbracht habe, und die Einbehaltung des Angelds nach einer Stornierung zum anderen den Zweck habe, die Folgen der Nichterf眉llung des Vertrags auszugleichen, falle weder die Zahlung noch die Einbehaltung des Angelds unter Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (Rz 35 des Urteils). Das Angeld sei keine Gegenleistung f眉r eine der Mehrwertsteuer unterliegende Reservierungsleistung, die sich bereits direkt aus dem Beherbergungsvertrag ergebe, sondern eine pauschalierte Entsch盲digungszahlung, bei der es normal sei, dass der Betrag des entstandenen Schadens und das einbehaltene Angeld in den meisten F盲llen nicht 眉bereinstimmten (Rz 23 f. und 32 f. des Urteils).
Rz. 17
2. Unter Ber眉cksichtigung dieser Grunds盲tze stellen die sog. Bereitstellungsentgelte eine pauschalierte Entsch盲digung und kein Entgelt f眉r eine Dienstleistung dar.
Rz. 18
a) Nach der zwischen der Kl盲gerin und den Gerichtsvollziehern getroffenen Vereinbarung erh盲lt sie 30 % der f眉r eine tats盲chlich durchgef眉hrte R盲umung vereinbarten Pauschale, wenn die Zwangsr盲umung innerhalb von vier Tagen vor dem R盲umungstermin vom zust盲ndigen Gerichtsvollzieher abgesagt wird.
Rz. 19
Wird ein Speditionsvertrag vorzeitig gek眉ndigt, so beh盲lt der Unternehmer grunds盲tzlich den Anspruch auf die vereinbarte Verg眉tung. Er muss sich jedoch gem盲脽 搂 649 Satz 2 des B眉rgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ersparte Aufwendungen oder dasjenige, was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erzielt oder zu erwerben b枚swillig unterl盲sst, anrechnen lassen (vgl. z.B. Beschluss des Landgerichts Frankfurt vom 19. September 2005听 2/9 T 614/05, Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung 2006, 115).
Rz. 20
F眉r den Fall der K眉ndigung eines Frachtvertrages ist in 搂 415 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) ausdr眉cklich geregelt, dass der Frachtf眉hrer entweder die vereinbarte Fracht unter Anrechnung bestimmter Betr盲ge oder "ein Drittel der vereinbarten Fracht (Fautfracht)" verlangen kann. Das Rechtsinstitut der "Fautfracht" (vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 22. Januar 1970 V R 118/66, BFHE 98, 225, BStBl II 1970, 363, und vom 27. August 1970 V R 130/66, BFHE 100, 150, BStBl II 1970, 856) versteht sich als eine gesetzlich festgelegte, pauschale K眉ndigungsentsch盲digung, die nach der Begr眉ndung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz) weder Leistungsentgelt noch Schadensersatz ist (BTDrucks 13/8445, S. 45; vgl. auch M眉nchKommHGB/Czerwenka, 搂 415 Rz 17). Die Bundesregierung hat den Vorteil der "Fautfracht" darin gesehen, dass auf diese Weise eine leicht handhabbare, zugleich streit- und prozessverhindernde Regelung geschaffen werden k枚nne (BTDrucks 13/8445, S. 45).
Rz. 21
Da ein Gerichtsvollzieher Nichtkaufmann ist, unterliegt der Speditionsvertrag nicht den Vorschriften des HGB, sondern des BGB. Es steht den Vertragspartnern jedoch frei, den Inhalt ihres Rechtsverh盲ltnisses einschlie脽lich der Folgen eines eventuellen R眉cktritts oder der etwaigen Nichterf眉llung ihrer Verpflichtungen unter Beachtung zwingender Vorschriften und der 枚ffentlichen Ordnung zu bestimmen (EuGH-Urteil Societ茅 thermale d'Eug茅nie-les-Bains in Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424, Rz 28 f.). Dabei muss es ihnen insbesondere gestattet sein, eine Rechtsfolge, die der Gesetzgeber f眉r Kaufleute f眉r den Fall der K眉ndigung als vorteilhaft angesehen und deshalb wahlweise vorgesehen hat, ausdr眉cklich zu vereinbaren.
Rz. 22
Die vertraglich vereinbarte pauschale K眉ndigungsentsch盲digung kann umsatzsteuerrechtlich nicht anders qualifiziert werden als die in 搂 415 Abs. 2 Nr. 2 HGB ausdr眉cklich geregelte (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 98, 225, BStBl II 1970, 363, und in BFHE 100, 150, BStBl II 1970, 856). Deshalb gilt f眉r beide F盲lle, dass es sich jedenfalls nicht um ein Leistungsentgelt handelt und die pauschale Entsch盲digung daher nicht der Umsatzsteuer unterliegt.
Rz. 23
b) Die Entscheidung, dass die sog. Bereitstellungsentgelte nicht als Leistungsentgelte zu beurteilen sind, steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in dem oben zitierten Urteil Societ茅 thermale d'Eug茅nie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424). Das "Angeld" und die Bereitstellungsentgelte sind vergleichbar, so dass es sich in beiden F盲llen um eine pauschalierte K眉ndigungsentsch盲digung ohne Entgeltcharakter handelt.
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Fundstellen
亿兆体育-Index 2452586 |
BFH/NV 2010, 2362 |
BFH/PR 2011, 25 |
BStBl II 2010, 1084 |
BFHE 231, 248 |
DB 2010, 2486 |
DStR 2010, 2184 |
DStRE 2010, 1338 |
DStZ 2010, 853 |
HFR 2011, 54 |
UR 2010, 941 |