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Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmereigenschaft im kommunalen Bereich
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Leitsatz (amtlich)
1. Eine juristische Person des 枚ffentlichen Rechts ist nur dann Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche T盲tigkeit im Sinne einer nachhaltigen T盲tigkeit zur Erzielung von Einnahmen gem盲脽 搂 2 Abs. 1 UStG aus眉bt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbet盲tigung heraushebt.
2. Fehlt es hieran, kann sie nicht gem盲脽 搂 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Organtr盲ger sein.
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Normenkette
UStG 搂 2 Abs.听1, 2 Nr. 2, Abs.听3 S. 1; EGRL 112/2006 Art.听9, 11, 13; EWGRL 388/77 Art. 4 Abs.听1-2
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Verfahrensgang
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Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des S盲chsischen Finanzgerichts vom 29. Oktober 2015听听6 K 1104/13 aufgehoben.
Die Sache wird an das S盲chsische Finanzgericht zur眉ckverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung 眉ber die Kosten des Revisionsverfahrens 眉bertragen.
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Tatbestand
Rz. 1
I. Die Kl盲gerin und Revisionsbeklagte (Kl盲gerin), eine Gemeinde, ist Alleingesellschafterin der K-GmbH, die ihrerseits Alleingesellschafterin der A-GmbH ist. Die Kl盲gerin errichtete im Zeitraum 2001 bis 2008 ein Sportzentrum in drei Bauabschnitten, bestehend aus einer Dreifeldturnhalle, einem Verbindungsbau und einem Freizeitbad. Mit "Vorvertrag" vom 20.听Dezember 2007 vermietete die Kl盲gerin die Dreifeldturnhalle mit Gastronomiekomplex und Inventar an die A-GmbH mit Wirkung ab 1.听Januar 2008 zu einem monatlichen Mietzins von 900听鈧. Die Kl盲gerin verpflichtete sich, den beim Betrieb des Sportzentrums entstehenden handelsrechtlichen Verlust auszugleichen. Mit Vertrag vom 28.听Oktober 2008 眉bertrug die Kl盲gerin r眉ckwirkend zum 1.听Januar 2008 den Betrieb des Sportzentrums auf die A-GmbH, die sich verpflichtete, das Sportzentrum im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu betreiben. F眉r die Festsetzung der Eintrittspreise bedurfte es der Zustimmung durch den Stadtrat der Kl盲gerin. Die Kl盲gerin verpflichtete sich wiederum zum Ausgleich der handelsrechtlichen Verluste. Der voraussichtliche Verlust f眉r 2008 sollte sich auf 350.400听鈧 belaufen. Bei dem Verlustausgleich sollte es sich um einen nicht r眉ckzahlbaren Zuschuss handeln. Nach Fertigstellung des Sportbades 眉bertrug die Kl盲gerin auch diesen Betriebsteil auf die A-GmbH. Nach dem Erg盲nzungsvertrag vom 30.听Juni 2009 belief sich das Nutzungsentgelt unter Ber眉cksichtigung von beweglichem Anlageverm枚gen ab 1.听Dezember 2008 auf monatlich 5.974,50听鈧. Aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen leistete die Kl盲gerin Verlustausgleichszahlungen in H枚he von 350.400听鈧 (2008), 663.582,69听鈧 (2009) und 639.084,95听鈧 (2010).
Rz. 2
F眉r die Errichtung des Sportzentrums machte die Kl盲gerin f眉r die Jahre 2006 bis 2010 einen Vorsteuerabzug von insgesamt ca. 1,8听Mio.听鈧 geltend. Die Mieten behandelte sie als Entgelt f眉r umsatzsteuerpflichtige Leistungen.
Rz. 3
Mit den 脛nderungsbescheiden vom 1. und vom 5.听Oktober 2012 hob der Beklagte und Revisionskl盲ger (das Finanzamt --FA--) die f眉r die Kl盲gerin ergangenen Umsatzsteuerbescheide f眉r die Streitjahre 2006 bis 2010 auf, da diese keinen Betrieb gewerblicher Art unterhalten habe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Rz. 4
Demgegen眉ber gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 940 ver枚ffentlichten Urteil ist die Kl盲gerin aus den Errichtungskosten f眉r das Sportzentrum zum Vorsteuerabzug nach 搂听15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) berechtigt. Die Kl盲gerin habe mit der Verpachtung des Sportzentrums einen Betrieb gewerblicher Art unterhalten. Dem stehe der Verlustausgleich nicht entgegen, da er weder zu einem Entfallen der Einnahmeerzielungsabsicht noch zu einer Unentgeltlichkeit gef眉hrt habe.
Rz. 5
Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Die Kl盲gerin habe nur geringe Pachteinnahmen von 15.874听鈧 (2008), 71.694听鈧 (2009) und 71.684听鈧 (2010) vereinnahmt. Verlustausgleich und Pachtzahlungen seien miteinander zu saldieren, da es auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ankomme. Kl盲gerin und A-GmbH seien auch nahestehende Personen. F眉r die umsatzsteuerrechtliche Unternehmereigenschaft sei unter Ber眉cksichtigung von Art.听9 der Richtlinie 2006/112/EG 眉ber das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.听November 2006 --MwStSystRL-- (zuvor: Art.听4 Abs.听1 und 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.听Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten 眉ber die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG--) eine wirtschaftliche T盲tigkeit erforderlich. Diese Bestimmung sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachten. Das Urteil des FG stehe auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europ盲ischen Union (EuGH). F眉r die Unternehmereigenschaft reiche danach eine T盲tigkeit auf privatrechtlicher Grundlage nicht aus. Vielmehr komme es auch auf die allgemeine Unternehmerdefinition an. Die Verpachtung des Sportkomplexes stelle eine nichtsteuerbare Beistellung dar und begr眉nde keine Unternehmereigenschaft der Kl盲gerin. Auch bei Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art sei der allgemeine Unternehmerbegriff zu beachten. Eine Organschaft komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kl盲gerin in keiner Weise unternehmerisch t盲tig sei. Ein Entgelt von dritter Seite k枚nne nicht vorliegen, da die Stadt auf eine an sich erbrachte Leistung zahle.
Rz. 6
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 7
Die Kl盲gerin beantragt, die Revision zur眉ckzuweisen.
Rz. 8
Bei der vom FA geforderten wirtschaftlichen Betrachtungsweise sei zu ber眉cksichtigen, dass die Kosten des B盲derbetriebs nicht durch die Eintrittsgelder gedeckt werden konnten. Ein wirtschaftlich unabh盲ngiger P盲chter w眉rde auf Dauer keine Verluste erwirtschaften. Die A-GmbH k枚nne die Eintrittspreise aber nicht anheben, da diese ihr von der Kl盲gerin vorgegeben werden. Kl盲gerin und A-GmbH handelten hinsichtlich des Betriebs des Sportkomplexes nicht wie wirtschaftlich orientierte Marktteilnehmer. Die Verlustausgleichszahlungen seien als Entgelt von dritter Seite zu behandeln. Die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage komme bei Leistungen an zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer wie die A-GmbH nicht in Betracht. Eine unentgeltliche 脺berlassung im Rahmen einer Beistellung liege nicht vor. Die Rechtsauffassung des FA f眉hre dazu, dass die Kl盲gerin als Betreiber des Sportkomplexes anzusehen sei. Durch die Versagung des Vorsteuerabzugs f眉r den Betrieb eines Schwimmbades werde die 枚ffentliche Hand im Vergleich zu privaten Unternehmern benachteiligt. Die A-GmbH sei auch nicht als Gesch盲ftsbesorger t盲tig. Sie sei zudem unternehmerisch t盲tig, da eine Betriebsaufspaltung und damit ein Betrieb gewerblicher Art vorliege. Sie sei zumindest organschaftlich nach 搂听2 Abs.听2 Nr.听2 UStG mit der A-GmbH verbunden. Es komme auch in Betracht, ihre Zahlungen an die GmbH als Drittentgelt anzusehen. Die Verlust眉bernahme sei aus Gr眉nden der Daseinsvorsorge, nicht aber aus nichtunternehmerischen Gr眉nden erfolgt. Damit handele es sich um ein Auff眉llungsentgelt. Ohne Verlust眉bernahme habe der GmbH 脺berschuldung gedroht.
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Rz. 9
II. Die Revision des FA ist begr眉ndet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zur眉ckzuverweisen (搂听126 Abs.听3 Satz听1 Nr.听2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat im Streitfall die Unternehmereigenschaft der Kl盲gerin zu Unrecht bejaht.
Rz. 10
1. Eine juristische Person des 枚ffentlichen Rechts ist bei richtlinienkonformer Auslegung von 搂听2 Abs.听3 Satz听1 UStG i.V.m. 搂听4 des K枚rperschaftsteuergesetzes (KStG) entsprechend Art.听13 MwStSystRL nur dann Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche T盲tigkeit im Sinne einer nachhaltigen T盲tigkeit zur Erzielung von Einnahmen gem盲脽 搂听2 Abs.听1 UStG aus眉bt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbet盲tigung heraushebt (st盲ndige BFH-Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 13.听Februar 2014 V听R听5/13, BFHE 245, 92, unter II.1.a unter Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom 10.听November 2011 V听R听41/10, BFHE 235, 554, und vom 1.听Dezember 2011 V听R听1/11, BFHE 236, 235).
Rz. 11
2. An der f眉r die Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des 枚ffentlichen Rechts erforderlichen Grundvoraussetzung der wirtschaftlichen (unternehmerischen) T盲tigkeit fehlt es nach dem EuGH-Urteil Gemeente Borsele vom 12.听Mai 2016 C-520/14 (EU:C:2016:334), wenn eine Gemeinde 眉ber die von ihr vereinnahmten Beitr盲ge nur einen kleinen Teil ihrer Kosten deckt. Werden die Kosten nur zu 3听% aus Einnahmen und im 脺brigen mit 枚ffentlichen Mitteln finanziert, deutet diese Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung erhaltenen Betr盲gen darauf hin, dass kein Leistungsentgelt und auch keine wirtschaftliche T盲tigkeit vorliegen (EuGH-Urteil Gemeente Borsele, EU:C:2016:334, Rz听33听f.).
Rz. 12
3. Nach diesen Ma脽st盲ben ist das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Kl盲gerin als Unternehmerin zum Vorsteuerabzug nach 搂听15 UStG berechtigt ist. Das Urteil des FG ist materiell-rechtlich mit den bei der Auslegung des nationalen Rechts zu ber眉cksichtigenden Vorgaben des EuGH, die das FG teilweise nicht ber眉cksichtigen konnte, unvereinbar. Es kommt dabei entgegen der Auffassung der Kl盲gerin nicht darauf an, ob eine juristische Person des 枚ffentlichen Rechts im Rahmen einer gesetzlichen Pflichtaufgabe oder "freiwillig" t盲tig ist. Das Urteil des FG ist daher aufzuheben.
Rz. 13
Soweit die Kl盲gerin demgegen眉ber auf das Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art im Sinne des K枚rperschaftsrechts abstellt, l盲sst sie au脽er Betracht, dass der erkennende Senat in st盲ndiger Rechtsprechung 搂听2 Abs.听3 Satz听1 UStG i.V.m. 搂听4 KStG richtlinienkonform entsprechend Art.听13 MwStSystRL auslegt (s. oben II.1.) und zudem entsprechend der 眉bereinstimmenden Systematik von nationalem Recht und Unionsrecht vor Anwendung dieser Vorschriften zun盲chst der Grundtatbestand des Unternehmerbegriffs in 搂听2 Abs.听1 UStG erf眉llt sein muss.
Rz. 14
4. Die Sache ist nicht spruchreif.
Rz. 15
a) In einem zweiten Rechtsgang wird zu pr眉fen sein, ob entsprechend dem EuGH-Urteil Gemeente Borsele (EU:C:2016:334) von einer Asymmetrie zwischen den Pachteinnahmen und den Kosten, f眉r die die Gemeinde den Vorsteuerabzug geltend macht, auszugehen ist. Hierf眉r k枚nnte auch sprechen, dass die Kl盲gerin selbst vortr盲gt, dass sie und die A-GmbH nicht wie wirtschaftlich orientierte Marktteilnehmer handelten. Insoweit sind insbesondere Feststellungen zu den einzelnen Kosten zu treffen, die bei der Kl盲gerin f眉r unbewegliches und bewegliches Anlageverm枚gen angefallen sind.
Rz. 16
b) Vor allem wird das FG zu pr眉fen haben, ob Pacht und Verlustausgleich, die auf einer einheitlichen vertraglichen Grundlage beruhen, nicht entsprechend dem Vorbringen des FA miteinander zu saldieren sind. Dann scheitert die Annahme einer Unternehmereigenschaft der Kl盲gerin bereits daran, dass der Nutzungs眉berlassung an die A-GmbH keinerlei Entgelt gegen眉bersteht, so dass von einer unentgeltlichen 脺berlassung an die A-GmbH auszugehen w盲re.
Rz. 17
Dabei k枚nnte auch von einer Beistellung der Kl盲gerin (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 15.听April 2010 V听R听10/08, BFHE 229, 406, BStBl II 2010, 879, unter II.2.b听bb) zu einer von der A-GmbH bezogenen Leistung auszugehen sein, wenn die A-GmbH Betriebsf眉hrungsleistungen an die Kl盲gerin erbracht h盲tte (zur Betriebsf眉hrung f眉r juristische Personen des 枚ffentlichen Rechts BFH-Urteil vom 19.听November 2009 V听R听29/08, BFH/NV 2010, 701). Derartige Beistellungen begr眉nden keine unternehmerische T盲tigkeit des Beistellenden (BFH-Urteil vom 20.听August 2009 V听R听30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863, unter II.2.c听cc听(2), so dass die Kl盲gerin nur steuerpflichtige Leistungen bezogen, solche aber nicht selbst erbracht h盲tte. Die Zahlung von Nutzungsentgelten durch die A-GmbH an die Kl盲gerin w盲re dann ein blo脽er Verrechnungsposten f眉r die Leistungen der A-GmbH an die Kl盲gerin.
Rz. 18
c) Vorsorglich weist der Senat zudem darauf hin, dass die Kl盲gerin auf der Grundlage des 眉bereinstimmenden Beteiligtenvortrags in der m眉ndlichen Verhandlung vor dem Senat mangels eigener Unternehmerstellung nicht gem盲脽 搂听2 Abs.听2 Nr.听2 UStG Organtr盲gerin der A-GmbH sein kann (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 12.听Oktober 2016 XI听R听30/14, Leitsatz听2, juris; BFH-Urteile vom 9.听Oktober 2002 V听R听64/99, BFHE 200, 119, BStBl II 2003, 375, unter II.2., und vom 2.听Dezember 2015 V听R听67/14, BFHE 251, 547, unter II.3.a).
Rz. 19
5. Die 脺bertragung der Kostenentscheidung beruht auf 搂听143 Abs.听2 FGO.
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Fundstellen
亿兆体育-Index 10479827 |
BFH/NV 2017, 707 |
BFH/PR 2017, 191 |
BFHE 2017, 557 |
BB 2017, 1507 |
BB 2017, 726 |
DB 2017, 1005 |
DB 2017, 6 |
DStR 2017, 656 |
DStRE 2017, 507 |
HFR 2017, 347 |
UR 2017, 302 |