VSME: Ohne Wesentlichkeitsanalyse leidet die Vergleichbarkeit

Der neue VSME-Standard für die freiwillige Nachhaltigkeitsberichterstattung von KMU verzichtet auf die Wesentlichkeitsanalyse. Laut Marius Hasenheit stiftet dies Verwirrung. Er meint: Die Überarbeitung ist eher ein politischer Kompromiss als an den Bedürfnissen der Unternehmen orientiert. Ohne (doppelte) Wesentlichkeitsanalyse leide die Vergleichbarkeit der Berichte.  

Im Januar 2024 veröffentlichte die EFRAG einen Vorschlag für den freiwillig anwendbaren Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von KMU: den Voluntary ESRS for non-listed small and medium-sized enterprises (VSME ESRS). Vorgeschlagen war in diesem Entwurf ein modularer Aufbau, Grundlage stellte das Basis-Modul mit seinen zwölf Nachhaltigkeitsaspekten dar. Darüber hinaus sollten entweder das sogenannte PAT-Modul (Beschreibungen von Leitlinien, Maßnahmen oder Zielen) und/oder Geschäftspartner-Modul ergänzt werden. 

Die Rolle der Wesentlichkeitsanalyse für den VSME

Grundsätzlich war die Wesentlichkeitsanalyse als Grundstein für den VSME vorgesehen. Diese durfte dem Entwurf zufolge nur entfallen, wenn das Basis-Modul lediglich durch vereinzelte Angaben anderer Module ergänzt wurde.

Dieser VSME-Entwurf stand bis zum 21.05.24 zur Konsultation. Am 13.11.24 wurde die finale Version der VSME-Standards von der EFRAG verabschiedet und am 20.12.24 an die EU-Kommission übergeben.

Von der Struktur und dem Ambitionsniveau des VSME war fortan nicht mehr viel erkennbar: Die neue Struktur umfasst die beiden Module „Basis-Modul“ und „Umfassendes Modul“, welche zusätzliche Datenpunkte für Investoren oder B2B-Großkunden umfassen. Die Wesentlichkeitsanalyse entfiel komplett.

Es drängt sich der starke Eindruck auf, dass die Überarbeitung des VSME nicht nur die Bedürfnisse der KMU-Zielgruppen und Anforderungen wirkungsvoller Nachhaltigkeitsberichterstattung im Fokus hatte – sondern den politischen Gegenwind im Bereich dieser Berichterstattung.

Verbände und Beratungen empfehlen Wesentlichkeitsanalyse

Tatsächlich empfehlen viele Verbände und Beratungen, weiterhin eine Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen. Sie gibt die für Unternehmen dringend erforderliche Grundlage der Berichterstattung: die Listung und das Verstehen eigener wesentlicher Nachhaltigkeitsaspekte inklusive ihrer finanziellen Auswirkungen auf das Unternehmen. Eine etwa durch die EFRAG mittelfristig erstellte, generelle Liste von Nachhaltigkeitsaspekten kann diese Zwecke und Funktionen nicht erfüllen. Es ist von zentraler Bedeutung, dass sich Vertretende von Organisationen selbst mit den Auswirkungen von und auf ihre Organisation, einschließlich der entsprechenden Chancen und Risiken, befassen.

Die Umsetzung dieser doppelten Wesentlichkeitsanalyse war im VSME-Entwurf pragmatisch und effizient angelegt. Auch der bisher im DACH-Raum vorherrschende Standard für Nachhaltigkeitsberichterstattung, der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) machte deutlich (auch wenn der Umfang hier im Vergleich zum VSME kleiner war): Eine sinnvolle Wesentlichkeitsanalyse muss nicht zwingenderweise mit dem Umfang einer Wesentlichkeitsanalyse gemäß CSRD einhergehen.

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Fazit: nur eingeschränkte Vergleichbarkeit der VSME-Berichte

Interessant ist auch: Obwohl eine Wesentlichkeitsanalyse gemäß DNK nicht verpflichtend war, nutzte eine Vielzahl der Anwendenden diese als Instrument, um sich auf Wesentliches zu fokussieren.

Dies zeichnet sich nun auch für die VSME-Anwendenden ab: Viele, wenn nicht gar die meisten, werden eine (vermutlich oftmals doppelte) Wesentlichkeitsanalyse durchführen, um zu Beginn den Rahmen ihrer Berichterstattung und Nachhaltigkeitsstrategie zu definieren. In einer Umfrage hielten 88 Prozent der DNK-Anwender:innen eine Wesentlichkeitsanalyse als Grundlage für den VSME sinnvoll.

Da der VSME nun jedoch keinen pragmatischen Prozess zur Durchführung dieser zentralen Analyse beschreibt, wird es eine Flut unterschiedlicher Methoden geben. Es fehlen nicht nur konkrete Hilfestellungen für die Unternehmen im VSME, auch die Vergleichbarkeit der Berichte ist eingeschränkt.

Das ist fatal: In einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der Ordnungsrecht und Sektorvorgaben Ausnahmen darstellen sollen, sind Transparenzrichtlinien von zentraler Bedeutung. Andernfalls können sich Großkunden und Investoren nicht für nachhaltigere Anbieter entscheiden – wo sie doch aber durch eigene Berichtspflichten, einschließlich der Green-Asset-Ratio, dazu aufgefordert sind.

Aufgrund der Widerstände gegen die CSRD, zu einem Zeitpunkt als diese bereits beschlossen war, der VSME sich aber noch in der Konsultationsphase befand, entkernte man diesen wichtigen Standard freiwilliger Berichterstattung und sorgte so für Orientierungslosigkeit auf KMU-Seite und schränkte die Vergleichbarkeit der Berichte und letztlich die gewünschte Lenkungswirkung massiv ein.

Weitere Informationen zur Entwicklung der VSME finden Sie im .


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