Der Koalitionsvertrag aus arbeitsrechtlicher Sicht

In der Präambel versprechen die Regierungsparteien, die strukturellen Rahmenbedingungen für Unternehmen und Beschäftigte verbessern zu wollen, sie kündigen an, Innovationen zu fördern und Leistungsgerechtigkeit zu einem Leitprinzip zu machen. Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs sei eine starke Sozialpartnerschaft. Mehr Chancengleichheit, Mitbestimmung und gute Löhne sollen den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken.
Die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft nennt das Koalitionspapier als zentrales Anliegen. Die künftige Regierung verspricht, Arbeitsanreize zu verbessern und die Bürokratie umfassend abzubauen.
Koalitionsvertrag: Startup-Gründung in 24 Stunden
Um Bürokratie für Unternehmensgründer zu reduzieren, wird eine Gründerschutzzone angekündigt. Notarielle Vorgänge sollen vereinfacht werden und man plant, digitale Beurkundungsprozesse sowie den automatischen Datenaustausch zwischen Notariat, Finanzamt und Gewerbeamt zu ermöglichen. Es soll ein "vollständiger One-Stop-Shop" geschaffen werden, der alle Anträge und Behördengänge auf einer Plattform digital bündelt und eine Unternehmensgründung innerhalb von 24 Stunden ermöglicht. Ergänzend dazu möchte man die vor allem bei Startups gängige und beliebte Mitarbeiterkapitalbeteiligung durch eine praxisnahe Ausgestaltung von Steuer- und Sozialversicherungsrecht weiter stärken.
Bürokratieabbau im Arbeitsrecht
Den bereits von der Vorgängerregierung eingeschlagenen Weg, Schriftformerfordernisse abzubauen, will die neue Regierung insbesondere im Arbeitsrecht fortführen. Als Beispiel, wo man dies umzusetzen gedenkt, ist das Thema Befristungen genannt, wo in § 14 Abs. 4 TzBfG derzeit noch die Schriftform vorgeschrieben ist.
Auch das Statusfeststellungsverfahren, in dem geklärt wird, ob eine selbstständige Beschäftigung oder ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, soll zügig im Interesse von Selbstständigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Unternehmen schneller, rechtssicherer und transparenter gemacht werden, zum Beispiel auch mit Blick auf die Auswirkungen des Herrenberg-Urteils. Scheinselbstständigkeit soll verhindert werden. Zur Beschleunigung soll eine Genehmigungsfiktion eingeführt werden, die im Zuge der Reform der Alterssicherung für Selbstständige umgesetzt werden soll.
Auf europäischer Ebene will man die Entsendemeldung durch die Reform der eDeclaration technisch erleichtern und strebt eine Bündelung mit dem sogenannten A1-Verfahren an.
An der bürokratieabbauenden Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung möchte man festhalten, sie aber so verändern, dass Missbrauch zukünftig ausgeschlossen ist. So soll beispielsweise eine Online-Krankschreibung über private Online-Plattformen ausgeschlossen werden.
Arbeits- und Fachkräftesicherung
Die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen sehen CDU und SPD als einen entscheidenden Faktor zur Fachkräftesicherung. Geprüft werden soll die Einführung eines jährliches Familienbudgets für Alltagshelfer für Familien mit kleinen Kindern und/oder pflegebedürftigen Angehörigen mit kleinen und mittleren Einkommen. Dieses Budget soll digital zugänglich gemacht werden. Damit soll die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei haushaltsnahen Dienstleistungen gefördert werden und Schwarzarbeit bekämpft werden. Zur Attraktivitätssteigerung der Berufsbilder in diesem Bereich soll eine Anerkennungsoffensive gestartet werden und Quereinstiege möglich gemacht werden. Zur Stärkung der qualifizierten Einwanderung soll es eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung unter Mitwirkung der Bundesagentur für Arbeit geben, die "Work-and-stay-Agentur". Hier soll eine bessere Arbeitgeberbeteiligung und ein einheitliches Anerkennungsverfahren innerhalb von acht Wochen inklusive Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung die Fachkräfteeinwanderung verbessern. Außerdem wollen die Regierungskoalitionäre die schnelle und nachhaltige Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt mit einer Verbindung aus früherer Arbeitserfahrung, berufsbegleitendem Spracherwerb und berufsbegleitender Weiterbildung/Qualifizierung dauerhaft voranbringen.
Arbeitsschutz im Koalitionsvertrag
Beim Thema Arbeitsschutz wird viel guter Wille bekundet. "Wir wollen die Prävention vor psychischen Erkrankungen stärken" liest man da und "Wir sorgen für gute Arbeitsbedingungen für körperlich stark belastete Berufsgruppen". Eine Verbesserung der Arbeitsschutzstandards der Berufskraftfahrer sowie verbesserte Arbeitsbedingungen in der Kurier-, Express- und Paketdienstbranche werden als Ziel betont. Wie auch immer das dann konkret aussehen wird.
Mindestlohn und Stärkung der Tarifbindung
Hier macht die SPD ihre Wahlkampfversprechen wahr und ebnet den Weg zu 15 Euro Mindestlohn. Zwar wird betont, an einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission festhalten zu wollen. Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Auf diesem Weg sei ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.
Als Ziel wird auch eine höhere Tarifbindung genannt. Dazu soll – wie es schon die Ampelregierung geplant hatte - ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg gebracht werden. Dieses Bundestariftreuegesetz soll für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Startups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro gelten. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen will man dabei auf ein absolutes Minimum begrenzen.
Koalitionsvertrag: Arbeitszeit und Mehrarbeit
Union und SPD hatten sich schon im Sondierungspapier darauf verständigt, statt einer täglichen zukünftig auch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit möglich machen zu wollen. Zur konkreten Ausgestaltung dieser wöchentlichen Höchstarbeitszeit will man nun einen Dialog mit den Sozialpartnern durchführen. Die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten soll unbürokratisch geregelt werden und für kleine und mittlere Unternehmen sollen dabei angemessene Übergangsregeln vorgesehen werden. Vertrauensarbeitszeit soll ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich bleiben. Dabei sollen die hohen Standards im Arbeitsschutz gewahrt bleiben und die geltenden Ruhezeitregelungen beibehalten werden. Kein Beschäftigter darf gegen seinen Willen zu höherer Arbeitszeit gezwungen werden.
Gleichwohl möchte man Mehrarbeit erleichtern. Damit sich Mehrarbeit auszahlt, sollen Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte Vollzeitarbeit hinausgeht, steuerfrei gestellt werden. Als Vollzeitarbeit soll dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden gelten. Bei der konkreten Ausgestaltung will die Koalition eine praxisnahe Lösung in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern entwickeln. In eine ähnliche Richtung zielt das Vorhaben, einen neuen steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten schaffen zu wollen. Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, soll auch diese Prämie steuerlich begünstigt sein.
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Angesichts einer zunehmend von Digitalisierung und KI geprägten Arbeitswelt, soll auch die Mitbestimmung weiterentwickelt werden. Es sollen Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen zusätzlich als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten ermöglicht werden. Zusätzlich soll die Option, online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden. Das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe soll um einen digitalen Zugang, der den bereits vorhandenen analogen Rechten entspricht, erweitert werden. Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften soll durch steuerliche Anreize attraktiver werden.
Betriebliche Altersvorsorge
Zusätzlich zu ihren Rentenplänen will die Regierungskoalition die betriebliche Altersversorgung stärken und deren Verbreitung besonders in kleinen und mittleren Unternehmen und bei Geringverdienern weiter vorantreiben. Die Geringverdienerförderung soll verbessert werden. Außerdem ist geplant, die betriebliche Altersvorsorge zu digitalisieren, zu vereinfachen, transparenter zu machen und zu entbürokratisieren. Die Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeberwechsel soll erhöht werden.
Erleichterte Beschäftigung für Rentner
Union und SPD planen zusätzliche finanzielle Anreize, damit sich freiwilliges längeres Arbeiten mehr lohnt. Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters will man mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente erreichen. Arbeiten im Alter soll mit einer Aktivrente attraktiver gemacht werden. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt künftig bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei. Außerdem ist geplant, die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu erleichtern, indem das Vorbeschäftigungsverbot aufgehoben und dadurch befristetes Weiterarbeiten ermöglicht wird. Darüber hinaus sollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente und die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentnerinnen und Rentner in der Grundsicherung im Alter verbessert werden.
Inklusion im Koalitionsvertrag
Auch im Arbeitsmarkt sollen Menschen mit Behinderung ihr Recht auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe verwirklichen können.
Dazu ist geplant, die Aufnahme einer Arbeit für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verstärkt zu fördern. Die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) sollen mit Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und der Vermittlungstätigkeit der Bundesagentur für Arbeit besser vernetzt werden und die Schwerbehindertenvertretungen sollen gestärkt werden.
Die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Rehabilitation, Werkstätten für behinderte Menschen, Inklusionsbetrieben und allgemeinem Arbeitsmarkt soll erhöht werden.
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