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Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzug von Aufwendungen einer Ruhestandsbeamtin im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Gewerkschaftst盲tigkeit als Werbungskosten
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Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen einer Ruhestandsbeamtin im Zusammenhang mit ihrer ehrenamtlichen Gewerkschaftst盲tigkeit sind als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbez眉gen zu ber眉cksichtigen (Anschluss an das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28.11.1980 - VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368).
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Normenkette
EStG 搂听19 Abs.听1 S. 1 Nr. 2, Abs.听2, 搂听9 Abs. 1 S. 1
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Verfahrensgang
FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 03.08.2021; Aktenzeichen 12 K 12186/19) |
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Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 03.08.2021 - 12 K 12186/19 wird als unbegr眉ndet zur眉ckgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
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Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Kl盲gerin und Revisionsbeklagte (Kl盲gerin) bezieht als pensionierte Landesbeamtin Versorgungsbez眉ge. Bis zum Eintritt in den Ruhestand war sie hauptamtlich f眉r die Gewerkschaft 鈥 (Gewerkschaft X) im Deutschen Gewerkschaftsbund t盲tig und hierf眉r von ihrem Dienstherrn freigestellt. Seit dem Eintritt in den Ruhestand ist die Kl盲gerin f眉r verschiedene Gremien der Gewerkschaft X ehrenamtlich t盲tig.
Rz. 2
Mit ihrer Einkommensteuererkl盲rung f眉r das Streitjahr (2016) machte sie Aufwendungen f眉r diese T盲tigkeit in H枚he von 鈥μ偓 als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbez眉gen geltend.
Rz. 3
Dem folgte der Beklagte und Revisionskl盲ger (Finanzamt --FA--) nicht.
Rz. 4
Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.
Rz. 5
Mit der Revision r眉gt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Rz. 6
Es beantragt,
das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 03.08.2021听- 12听K听12186/19 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 7
Die Kl盲gerin beantragt,
die Revision zur眉ckzuweisen.
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II.
Rz. 8
Die Revision des FA ist unbegr眉ndet und zur眉ckzuweisen (搂听126 Abs.听2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die streitigen Aufwendungen der Kl盲gerin als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbez眉gen zu ber眉cksichtigen sind.
Rz. 9
1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (搂听9 Abs.听1 Satz听1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Sie liegen nach st盲ndiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang besteht (z.B. Senatsurteile vom 06.05.2010听- VI听R听25/09, BFHE 229, 297, BStBl II 2010, 851, Rz听9 und vom 14.01.2021听- VI听R听15/19, BFHE 272, 42, BStBl II 2021, 453, Rz听11, jeweils m.w.N.).
Rz. 10
a) Dabei ist die Frage, ob der Steuerpflichtige Aufwendungen aus beruflichem Anlass leistet oder ob es sich um Aufwendungen f眉r die Lebensf眉hrung im Sinne von 搂听12 Nr.听1 Satz听2 EStG handelt, anhand einer W眉rdigung aller Umst盲nde des Einzelfalls zu entscheiden. Nach dem Einkommensteuergesetz sind Aufwendungen dann als durch eine Einkunftsart veranlasst anzusehen, wenn sie mit ihr in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Ma脽gebend daf眉r, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen ausl枚senden Moments und zum anderen die Zuweisung dieses ma脽gebenden Besteuerungsgrunds zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssph盲re (z.B. Senatsurteil vom 06.05.2010听- VI听R听25/09, BFHE 229, 297, BStBl II 2010, 851, Rz听9, m.w.N.).
Rz. 11
b) Ob sich der streitige Aufwand konkret auf die H枚he des Arbeitslohns auswirkt, ist dabei ohne Belang (Senatsurteil vom 06.05.2010听- VI听R听25/09, BFHE 229, 297, BStBl II 2010, 851, Rz听9). Stehen Aufwendungen in einem objektiven Zusammenhang mit dem Beruf, so ist es f眉r den Begriff der Werbungskosten 眉berdies nicht von Bedeutung, ob die Vorstellungen des Steuerpflichtigen, den Beruf zu f枚rdern, der Wirklichkeit entsprechen, das hei脽t geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. Die Rechtsprechung hat daher die Anerkennung von Werbungskosten und Betriebsausgaben grunds盲tzlich nicht davon abh盲ngig gemacht, ob der mit den Aufwendungen erstrebte Erfolg eingetreten ist und ob die Aufwendungen nach objektiven Gesichtspunkten 眉blich, notwendig oder zweckm盲脽ig waren. Vielmehr hat der Steuerpflichtige einen Ermessensspielraum, ob und welche Aufwendungen er zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung seiner Einnahmen t盲tigt (so bereits Senatsurteil vom 28.11.1980听- VI听R听193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368, m.w.N.).
Rz. 12
c) Nach diesen Grunds盲tzen ist auch der Abzug von Werbungskosten bei den Versorgungsbez眉gen zu beurteilen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08.03.2006听- IX听R听78/01, BFHE 212, 514, BStBl II 2006, 448, unter II.1. sowie Senatsurteile vom 24.03.2011听- VI听R听59/10, Rz听17 und vom 17.06.2010听- VI听R听33/08, Rz听12).
Rz. 13
d) Die Beurteilung, ob Aufwendungen beruflich oder privat veranlasst sind, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen W眉rdigung des FG (Senatsurteil vom 06.03.2008听- VI听R听68/06, BFH/NV 2008, 1316, unter II.2.). Diese ist f眉r das Revisionsgericht bindend (搂听118 Abs.听2 FGO), wenn sie verfahrensrechtlich ordnungsgem盲脽 durchgef眉hrt wurde und nicht gegen Denkgesetze verst枚脽t oder Erfahrungss盲tze verletzt (st盲ndige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 08.07.2015听- VI听R听77/14, BFHE 250, 518, BStBl II 2016, 60, Rz听24, m.w.N.).
Rz. 14
2. Die W眉rdigung des FG, die streitigen Aufwendungen der Kl盲gerin st眉nden in einem hinreichenden Veranlassungszusammenhang mit ihren Versorgungsbez眉gen und seien daher als Werbungskosten bei ihren Eink眉nften aus 搂听19 Abs.听1 Satz听1 Nr.听2 und Abs.听2 EStG zu ber眉cksichtigen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 15
a) Das FG ist ohne Versto脽 gegen Denkgesetze oder Erfahrungss盲tze zu dem Schluss gelangt, der erforderliche Veranlassungszusammenhang mit den Versorgungsbez眉gen liege im Streitfall vor, weil die Gewerkschaftsarbeit der Kl盲gerin und die dadurch bedingten Aufwendungen auch auf die Verbesserung ihrer Eink眉nfte als Ruhestandsbeamtin zielten.
Rz. 16
aa) Gewerkschaften sind dauernde freie Vereinigungen von Arbeitnehmern zum Zwecke der Erlangung und Erhaltung g眉nstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen. Sie sind solidarische Interessenvertretungen der ihnen angeschlossenen Besch盲ftigten (Mitglieder), deren Zweck unter anderem auf die Verbesserung der beruflichen Bedingungen ihrer angeschlossenen Besch盲ftigten (Mitglieder), im Besonderen auch deren Einnahmen, gerichtet ist. Art und Organisation der Interessenvertretung stellen somit die Gewerkschaften --auch sofern sie Industrieverband sind-- an die Seite der echten Berufsverb盲nde, die ebenfalls objektiv in einem engen, durch ihre Aufgabenstellung und ihre t盲gliche Arbeit sichtbaren Zusammenhang mit den Berufen der in ihnen vereinigten Mitglieder stehen. Unter diesen Gesichtspunkten sind auch Ma脽nahmen der Mitglieder selbst zur St盲rkung, Erhaltung und F枚rderung des sie vertretenden Berufsverbands zu sehen. Da die Arbeit eines Berufsverbands auf dem Gedanken beruht, dass nur die Solidarit盲t der Mitglieder zur Ver盲nderung der beruflichen Bedingungen zugunsten der angeschlossenen Mitglieder f眉hrt, ist es folgerichtig, bei den Aufwendungen eines Mitglieds zwecks F枚rderung der solidarischen Gemeinschaft ebenfalls einen objektiven, durch Aufgabenstellung und Arbeit des Berufsverbands sichtbar werdenden Zusammenhang mit seiner Berufst盲tigkeit zu bejahen. Dieser Zusammenhang reicht aus, den Werbungskostenbegriff zu erf眉llen, obwohl die Aufwendungen des einzelnen Mitglieds in der Regel nicht unmittelbar und allein auf dessen eigene berufliche Bedingungen, sondern nur mittelbar durch die Arbeit der Gemeinschaft auf die Verh盲ltnisse s盲mtlicher betroffener Mitglieder des Berufsverbands einwirken k枚nnen. Denn der Werbungskostenbegriff erfordert nicht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der F枚rderung der Berufst盲tigkeit (Senatsurteil vom 28.11.1980听- VI听R听193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368).
Rz. 17
bb) An diesen Grunds盲tzen, die f眉r Aufwendungen im Zusammenhang mit der ehrenamtlichen T盲tigkeit f眉r die zust盲ndige Gewerkschaft eines berufst盲tigen Steuerpflichtigen gelten, h盲lt der Senat fest und 眉bertr盲gt diese auch auf die ehrenamtliche T盲tigkeit eines nicht mehr im aktiven Dienst befindlichen Steuerpflichtigen, der Versorgungsbez眉ge erh盲lt. Denn Gewerkschaften --hier die Gewerkschaft X-- vertreten nicht nur die beruflichen Interessen der berufst盲tigen Arbeitnehmer und Beamten, sondern auch die Erwerbsinteressen von Pension盲ren. Sie streben regelm盲脽ig an, die Ergebnisse einer Tarifrunde im 枚ffentlichen Dienst zeitgleich und systemgerecht beziehungsweise wirkungsgleich auf den Bereich Besoldung und Versorgung zu 眉bertragen (z.B. Pressemitteilung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft vom 07.06.2023, 脺berschrift: "Bundesinnenministerium legt Entwurf eines Besoldungsanpassungsgesetzes vor", zur zeit- und wirkungsgleichen 脺bertragung des Tarifabschlusses Bund/Kommunen auf die Beamtinnen und Beamten des Bundes, die Richterinnen und Richter sowie die Soldatinnen und Soldaten, abrufbar im Zeitpunkt der Entscheidung unter www.verdi.de/presse/pressemitteilungen).
Rz. 18
b) Ausgehend von diesen Grunds盲tzen ist die W眉rdigung des FG, dass die Aufwendungen der Kl盲gerin, die ihr im Rahmen ihrer Gewerkschaftst盲tigkeit entstanden sind, in einem Veranlassungszusammenhang mit dem Erhalt und der Sicherung ihrer Versorgungsbez眉ge stehen, jedenfalls m枚glich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 19
c) Dem steht das Senatsurteil vom 05.11.1993听- VI听R听24/93 (BFHE 172, 478, BStBl II 1994, 238) nicht entgegen. Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung Aufwendungen einer emeritierten Professorin f眉r eine gegenw盲rtig ausge眉bte Forschungst盲tigkeit nicht als Werbungskosten bei den Emeritenbez眉gen und damit bei den Eink眉nften aus fr眉heren Dienstleistungen im Sinne des 搂听19 Abs.听1 Satz听1 Nr.听2 und Abs.听2 EStG anerkannt. Tragend hierf眉r war die Wertung des Senats, dass zwischen den gegenw盲rtigen Aufwendungen eines entpflichteten Hochschulprofessors f眉r Forschungszwecke und seinen (Versorgungs-)Bez眉gen nach 搂听19 Abs.听1 Satz听1 Nr.听2 EStG kein steuerrechtlich anzuerkennender wirtschaftlicher Zusammenhang bestehe. Denn ebenso wie ein in den Ruhestand versetzter Beamter erhalte ein entpflichteter Professor seine Bez眉ge unabh盲ngig davon, ob er eine T盲tigkeit aus眉bt oder nicht.
Rz. 20
F眉r die hier zu entscheidende Frage, ob Aufwendungen eines Versorgungsempf盲ngers im Zusammenhang mit einer ehrenamtlichen Gewerkschaftst盲tigkeit bei wertender Betrachtung in einem erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang vergleichbar einem Arbeitnehmer, der Eink眉nfte f眉r eine gegenw盲rtige Besch盲ftigung im Sinne des 搂听19 Abs.听1 Satz听1 Nr.听1 EStG erzielt, stehen und deshalb (ebenfalls) als Werbungskosten bei den Eink眉nften aus fr眉heren Dienstleistungen im Sinne des 搂听19 Abs.听1 Satz听1 Nr.听2 und Abs.听2 EStG abzugsf盲hig sind, l盲sst sich die vorgenannte Entscheidung daher nicht fruchtbar machen.
Rz. 21
3. Die H枚he der geltend gemachten Werbungskosten steht zwischen den Beteiligten nicht in Streit. Das FG hat der Klage nach alledem zu Recht stattgegeben.
Rz. 22
4. Die Kostenentscheidung beruht auf 搂听135 Abs.听2 FGO.
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Fundstellen
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BFH/NV 2023, 1439 |
BFH/PR 2024, 5 |
BStBl II 2024, 274 |
BB 2023, 2324 |
DStR 2023, 2213 |
DStRE 2023, 1266 |