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Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Klagebegehrens als Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage
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Leitsatz (NV)
Die Klage gegen einen Bescheid, mit dem die Festsetzung von Kindergeld f眉r einen unbestimmten Zeitraum abgelehnt wird, ist eine Verpflichtungsklage. Wendet sich ein Kl盲ger in der Klageschrift gegen einen solchen Bescheid, so ist ein Klagebegehren als Verpflichtungsantrag zu beurteilen.
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Normenkette
FGO 搂搂听67, 96 Abs. 1 S. 2
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Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 23.04.2008; Aktenzeichen 2 K 3622/07) |
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Tatbestand
Rz. 1
I. Der Kl盲ger und Revisionskl盲ger (Kl盲ger) beantragte im Februar 2007 f眉r seine Tochter Kindergeld. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. Mai 2007 ab, weil nach ihrer Ansicht die Eink眉nfte und Bez眉ge der Tochter den Grenzbetrag nach 搂 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes 眉berschritten. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kl盲ger Klage, die am 20. Dezember 2007 beim Finanzgericht (FG) einging. Zun盲chst beantragte sein Prozessbevollm盲chtigter, den Ablehnungsbescheid aufzuheben. Mit Schreiben vom 24. Januar 2008 bat der zust盲ndige Berichterstatter, das Rechtsschutzinteresse an einer isolierten Anfechtung des Ablehnungsbescheids darzulegen. Dar眉ber hinaus wies er darauf hin, dass eine Umstellung des Anfechtungs- auf ein Verpflichtungsbegehren nicht in Betracht komme, weil dies bei fristgebundenen Klagen nur innerhalb der Klagefrist m枚glich sei. Der Prozessvertreter des Kl盲gers stellte daraufhin den Klageantrag um, zuletzt in der m眉ndlichen Verhandlung vom 25. Mai 2009, in der er nach entsprechendem richterlichen Hinweis beantragte, die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld ab dem Jahr 2005 in gesetzlicher H枚he zu gew盲hren.
Rz. 2
Das FG wies die Klage als unzul盲ssig ab. Zur Begr眉ndung f眉hrte es aus, der Kl盲ger habe innerhalb der Klagefrist eine Anfechtungsklage erhoben. Diese sei unzul盲ssig, weil effektiver Rechtsschutz nur durch Erhebung einer Verpflichtungsklage h盲tte erreicht werden k枚nnen. Bei der Anfechtung eines ablehnenden Verwaltungsakts bed眉rfe es der Darlegung eines Interesses des Kl盲gers, weshalb er sich mit der Aufhebung des Ablehnungsbescheids begn眉gen wolle. Ein derartiges Rechtsschutzinteresse habe der Kl盲ger nicht dargetan. Einen ausdr眉cklichen Verpflichtungsantrag habe er erst nach richterlichem Hinweis in der m眉ndlichen Verhandlung gestellt. Aber auch dann, wenn man sein Vorbringen dahin auslege, dass er neben der Kassation des Ablehnungsbescheids auch die Verpflichtung zum Erlass eines Festsetzungsbescheids begehrt habe, so sei dies erstmals mit dem am 4. Januar 2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz zum Ausdruck gekommen. Die damit einhergehende Klage盲nderung sei unzul盲ssig, sie w盲re nur innerhalb der Klagefrist m枚glich gewesen.
Rz. 3
Zur Begr眉ndung der Revision tr盲gt der Kl盲ger vor, das FG habe die Klage zu Unrecht als unzul盲ssig abgewiesen. Es h盲tte die Klage in diejenige Klageart umdeuten m眉ssen, die dem Klageziel entspreche, somit in eine Verpflichtungsklage.
Rz. 4
Der Kl盲ger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zur眉ckzuverweisen.
Rz. 5
Die Familienkasse beantragt, die Revision zur眉ckzuweisen.
Rz. 6
Der Kl盲ger habe in der Klageschrift ausdr眉cklich die Aufhebung des Ablehnungsbescheids beantragt. Sein Schreiben vom 3. Januar 2008 habe erstmals eine Auslegung des Klagebegehrens 眉ber eine Anfechtung hinaus erm枚glicht, die damit einhergehende Klage盲nderung sei jedoch nach 搂 67 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unzul盲ssig.
Rz. 7
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne m眉ndliche Verhandlung einverstanden (搂 90 Abs. 2 FGO).
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Rz. 8
II. Die Revision ist begr眉ndet. Sie f眉hrt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zur眉ckverweisung der Streitsache an das FG (搂 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat das Klagebegehren zu Unrecht als Anfechtungsklage beurteilt, die erst versp盲tet zu einer Verpflichtungsklage umformuliert worden sei. Es hat damit rechtsfehlerhaft ein Prozessurteil erlassen.
Rz. 9
1. Zwar hat das FG zutreffend entschieden, dass in einem Verfahren, in dem es um die Rechtm盲脽igkeit eines Bescheids geht, durch den ein Antrag auf Gew盲hrung von Kindergeld f眉r einen unbestimmten Zeitraum abgelehnt wird, die Verpflichtungsklage und nicht die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ist (Senatsurteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184). Es hat jedoch zu Unrecht den Klageantrag des Kl盲gers nicht als Verpflichtungsantrag behandelt.
Rz. 10
2. Nach 搂 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist das Gericht an die Fassung des Klageantrages nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umst盲nde zu ermitteln (Urteil des Bundesfinanzhofs 鈥-BFH- vom 12. Juni 1997 I R 70/96, BFHE 183, 465, BStBl II 1998, 38, m.w.N.). Dies ist auch noch in der Revisionsinstanz m枚glich und geboten. Das Wesen der Klage wird nicht durch den Klageantrag bestimmt, sondern durch den begehrten richterlichen Ausspruch. Hierbei ist zu ber眉cksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Ma脽st盲ben der Rechtsordnung vern眉nftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BFH-Urteil vom 29. April 2009 X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777, m.w.N.). Nur eine solche Auslegung tr盲gt dem Grundsatz der Rechtsschutz gew盲hrenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes Rechnung (BFH-Beschluss vom 22. Juni 2010 VIII B 12/10, BFH/NV 2010, 1846).
Rz. 11
3. Bei Anwendung dieser Grunds盲tze war das Klagebegehren von Anfang an als Verpflichtungsantrag zu beurteilen. Der Kl盲ger wendet sich in der Klageschrift gegen den Bescheid der Familienkasse vom 23. Mai 2007 sowie gegen die dazu ergangene Einspruchsentscheidung, durch die die Familienkasse abschl盲gig 眉ber seinen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld entschieden hat. Sein Begehren ist darauf gerichtet, Kindergeld zu erhalten. Die isolierte Aufhebung des Ablehnungsbescheids f眉hrt nicht zu diesem Klageziel. Der Interessenlage des Kl盲gers entspricht vielmehr der Antrag, die Familienkasse zur Zahlung von Kindergeld zu verpflichten. Der Klageantrag ist deshalb als Verpflichtungsbegehren zu behandeln. Die Frage einer (versp盲teten) Klage盲nderung stellt sich nicht.
Rz. 12
4. Das FG hat hiernach rechtsfehlerhaft ein Prozessurteil erlassen. Die Sache ist nicht spruchreif und wird an das FG zur眉ckverwiesen.
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Fundstellen
亿兆体育-Index 2669106 |
BFH/NV 2011, 991 |