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Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Beibehalten des Wohnsitzes. mehrj盲hriger Schulaufenthalt mit der Mutter des Kindes
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Leitsatz (NV)
Die Beantwortung der Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise im Ausland zu Ausbildungszwecken aufh盲lt, seinen inl盲ndischen Wohnsitz bei den Eltern beibeh盲lt, liegt weitgehend auf tats盲chlichem Gebiet, wobei die objektiven Umst盲nde des jeweiligen Falles zu ber眉cksichtigen sind. Generelle Regeln lassen sich nicht aufstellen. Die Umst盲nde m眉ssen aber nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass das Kind die Wohnung innehat, um sie als solche zu nutzen.
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Normenkette
AO 搂 8; EStG 搂 63 Abs. 1
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Verfahrensgang
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Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 04.07.2018 - 3 K 3220/17 wird als unbegr眉ndet zur眉ckgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
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Tatbestand
Rz. 1
I. Die Beteiligten streiten 眉产别谤 den Anspruch auf Kindergeld bei l盲ngerem Schulbesuch der Kinder im Ausland.
Rz. 2
Die Kl盲gerin und Revisionsbeklagte (Kl盲gerin) und ihr Ehemann sind pakistanische Staatsangeh枚rige. Ihre vier in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) geborenen und aufgewachsenen Kinder sind deutsche Staatsangeh枚rige: D (Sohn, geboren 1995), K (Tochter, geboren 1997), A (Sohn, geboren 1999) und J (Sohn, geboren 2004).
Rz. 3
Die Kinder K, A und J sollten eine britische Schule besuchen. Da eine Aufnahme in die britische Schule in Deutschland nicht erreicht werden konnte, entschied die Familie, die Kinder ab Sommer 2010 f眉r sechs oder sieben Jahre in die britische Schule in Pakistan zu senden, wo die Familie 眉产别谤 ein Haus verf眉gte und Verwandte hatte. Die Kl盲gerin lebte in dieser Zeit mit den drei Kindern in Pakistan in dem Haus (sechs Schlafzimmer, Wohnzimmer und Fernsehzimmer). Der in Deutschland selbst盲ndig t盲tige Ehemann der Kl盲gerin blieb zusammen mit dem 盲ltesten Kind im Inland und kam unregelm盲脽ig, jedoch mindestens einmal, gelegentlich zweimal j盲hrlich f眉r ca. einen Monat nach Pakistan zu Besuch. In den Sommerferien flogen die Kl盲gerin und die drei j眉ngeren Kinder regelm盲脽ig Anfang Juni nach Deutschland und Anfang September zur眉ck nach Pakistan. W盲hrend der (kurzen) Winterferien blieben sie in Pakistan.
Rz. 4
Die Familie verf眉gte in X 眉产别谤 ein Einfamilienhaus (6听Zimmer, ca. 200听qm), in dem alle Kinder ihr eigenes Zimmer hatten. Da die Kl盲gerin und drei der vier Kinder sich in jedem Jahr f眉r neun Monate in Pakistan aufhielten, zog die Familie im Dezember 2009 in eine Eigentumswohnung (3听Zimmer, ca. 87听qm), das Einfamilienhaus in Deutschland wurde vermietet. Im Jahr 2012 zog die Familie wegen des Verkaufs der Eigentumswohnung vor眉产别谤gehend in eine Mietwohnung (2听陆 Zimmer, 68听qm), bis das Einfamilienhaus im November 2014 wieder zur Verf眉gung stand. A kam im Sommer 2016 endg眉ltig zur眉ck nach Deutschland, K, J und die Kl盲gerin im Sommer 2017.
Rz. 5
Die Kl盲gerin erhielt zun盲chst Kindergeld f眉r die drei Kinder. Anl盲sslich einer Vorsprache am 19.02.2016 erhielt die Beklagte und Revisionskl盲gerin (Familienkasse) Kenntnis vom Schulbesuch der Kinder im Ausland. Mit Bescheid vom 20.06.2017 hob sie die Kindergeldfestsetzung f眉r K ab August 2003 bis Oktober 2015, f眉r A ab August 2005 bis April 2016 und f眉r J ab Oktober 2010 bis Dezember 2016 auf. Durch 脛nderungsbescheide vom 10.08.2017 und vom 06.10.2017 wurde die Aufhebung teilweise zur眉ckgenommen, so dass es letztlich bei der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung f眉r K ab August 2010 bis Oktober 2015, f眉r A ab August 2010 bis April 2016 und f眉r J ab Oktober 2010 bis Dezember 2016 blieb. Die Familienkasse forderte das ausgezahlte Kindergeld von insgesamt 39.810听鈧 zur眉ck.
Rz. 6
Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Aufhebungs- und R眉ckforderungsbescheid auf. Hiergegen richtet sich die Revision der Familienkasse.
Rz. 7
Mit der Revision r眉gt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
Rz. 8
Die Familienkasse beantragt, das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 9
Die Kl盲gerin hat sich nicht ge盲u脽ert und keinen Antrag gestellt.
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Rz. 10
II. Die Revision ist unbegr眉ndet (搂 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Denn die Entscheidung des FG, der Klage gegen den Aufhebungs- und R眉ckforderungsbescheid stattzugeben, weil sowohl die Kinder K, A und J als auch die Kl盲gerin in den streitigen Zeitr盲umen einen Wohnsitz im Inland beibehielten, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 11
1. Die Grunds盲tze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (搂 8 der Abgabenordnung --AO--) im Inland hat, sind durch langj盲hrige Rechtsprechung im Wesentlichen gekl盲rt (z.B. Senatsurteile vom 23.06.2015 - III R 38/14, BFHE 250, 381, BStBl II 2016, 102; vom 25.09.2014 - III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655; vom 18.12.2013 - III R 44/12, BFHE 244, 344, BStBl II 2015, 143; vom 08.05.2014 - III R 21/12, BFHE 246, 389, BStBl II 2015, 135, und vom 20.11.2008 - III R 53/05, BFH/NV 2009, 564).
Rz. 12
a) Nach 搂 8 AO, der auch im Rahmen der Pr眉fung des 搂 63 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 眉产别谤 搂 1 Abs. 1 AO i.V.m. 搂 31 Satz 3 EStG Anwendung findet, hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umst盲nden innehat, die darauf schlie脽en lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Damit kn眉pft der Wohnsitzbegriff des 搂 8 AO ausschlie脽lich an die tats盲chliche Gestaltung und nicht an subjektive Vorstellungen an (Senatsurteil in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 14, m.w.N.).
Rz. 13
Ein Wohnsitz nach 搂 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten R盲umen das Innehaben der Wohnung in dem Sinn voraus, dass der Steuerpflichtige tats盲chlich 眉产别谤 sie verf眉gen kann und sie als Bleibe entweder st盲ndig benutzt oder sie mit einer gewissen Regelm盲脽igkeit --wenn auch in gr枚脽eren Zeitabst盲nden-- aufsucht (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23.11.2000 - VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, unter II.2.a). Der Wohnsitzbegriff setzt zwar nicht voraus, dass die Wohnung dauernd durch ihren Inhaber genutzt wird oder der Steuerpflichtige sich dort w盲hrend einer Mindestzeit aufh盲lt. Die Wohnung im Inland muss auch nicht den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen bilden. Er kann deshalb mehrere Wohnsitze haben (BFH-Urteil vom 12.01.2001 - VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231); erforderlich ist aber eine Nutzung, die 眉产别谤 blo脽e Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH-Urteil vom 10.04.2013 - I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, Rz 16, m.w.N.).
Rz. 14
b) Die Beurteilung, ob bei Auslandsaufenthalten objektiv erkennbare Umst盲nde auf eine Beibehaltung und Nutzung der Wohnung im Inland schlie脽en lassen, obliegt im Wesentlichen dem FG. Dies gilt namentlich f眉r die Abw盲gung der Faktoren, die f眉r und gegen ein Innehaben der Wohnung und die Absicht der weiteren Benutzung sprechen. Das FG hat dabei die gesamten Umst盲nde des Einzelfalls zu ber眉cksichtigen. An diese Tatsachenw眉rdigung ist der BFH gem盲脽 搂 118 Abs. 2 FGO gebunden, soweit keine zul盲ssigen und begr眉ndeten Verfahrensr眉gen erhoben werden. Im 脺brigen kann das Revisionsgericht die W眉rdigung des FG nur auf Rechtsfehler und auf Verst枚脽e gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungss盲tze hin 眉产别谤pr眉fen (Senatsurteile in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 27; in BFHE 246, 389, BStBl II 2015, 135, Rz 16, 17; in BFH/NV 2009, 564, unter II.1.b.; BFH-Urteil vom 23.11.2000 - VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, unter II.3.b).
Rz. 15
c) Welche Faktoren f眉r und gegen ein Innehaben der Wohnung und die Absicht der weiteren Benutzung sprechen und welche Umst盲nde des Einzelfalls durch das FG insbesondere zu ber眉cksichtigen sind, hat der Senat im Urteil in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655 im Einzelnen dargelegt.
Rz. 16
aa) Danach liegt die Beantwortung der Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise au脽erhalb des elterlichen Haushalts im Ausland zu Ausbildungszwecken aufh盲lt, seinen inl盲ndischen Wohnsitz bei den Eltern beibeh盲lt oder aber zun盲chst aufgibt und bei einer sp盲teren R眉ckkehr wieder neu begr眉ndet, weitgehend auf tats盲chlichem Gebiet unter Ber眉cksichtigung der objektiven Umst盲nde des jeweiligen Falles. Generelle Regeln lassen sich nicht aufstellen. Die Umst盲nde m眉ssen aber nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass das Kind die Wohnung innehat, um sie als solche zu nutzen (Senatsurteil in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 19).
Rz. 17
bb) Neben der voraussichtlichen Dauer der ausw盲rtigen Unterbringung, der Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, dem Zweck des Auslandsaufenthalts, den pers枚nlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits, kommt auch der Dauer und H盲ufigkeit der Inlandsaufenthalte Bedeutung zu (Senatsurteil in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 20).
Rz. 18
cc) Minderj盲hrige Kinder teilen zwar nicht stets --gleichsam automatisch-- s盲mtliche Wohnsitze ihrer Eltern, wenn diese 眉产别谤 mehrere Wohnsitze verf眉gen (Senatsurteil vom 07.04.2011 - III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351; Senatsbeschl眉sse vom 15.05.2009 - III B 209/08, BFH/NV 2009, 1630, und vom 27.08.2010 - III B 30/09, BFH/NV 2010, 2272). Jedoch gibt es umgekehrt auch keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Kind, das bei den Eltern oder einem Elternteil im Ausland wohnt und zur Schule geht, immer nur diesen einen Wohnsitz hat und keinen weiteren Wohnsitz der Eltern teilt (vgl. Senatsurteil in BFHE 244, 344, BStBl II 2015, 143, Rz 8).
Rz. 19
2. Das FG ist bei seiner Entscheidung von diesen Grunds盲tzen ausgegangen. Es hat nach W眉rdigung aller ma脽geblichen Umst盲nde des Streitfalls festgestellt, dass sowohl die Kinder als auch die Kl盲gerin einen Wohnsitz im Inland beibehalten haben.
Rz. 20
a) Das FG hat in seiner Gesamtw眉rdigung fehlerfrei ber眉cksichtigt, dass f眉r die Kinder im Haus/in der Wohnung in Deutschland jederzeit ein eigenes Bett bereit stand und damit die M枚glichkeit zu 眉产别谤nachten. Weiterhin hat es ber眉cksichtigt, dass der Aufenthalt in Pakistan von vornherein nur f眉r die Zeit des Schulbesuchs gedacht, eine dauerhafte Auswanderung zu keiner Zeit beabsichtigt war und die Kinder ihre sozialen Beziehungen in Deutschland nie aufgegeben haben.
Rz. 21
b) Das FG hat dabei nicht verkannt, dass die Verh盲ltnisse in Deutschland teilweise beengt waren, da in Deutschland zeitweise lediglich eine kleine Wohnung zur Verf眉gung stand und hat dies in seine Gesamtw眉rdigung einflie脽en lassen. Es hat ber眉cksichtigt, dass die Kinder sich in Deutschland ein Zimmer teilen mussten, jedoch keine Mindestgr枚脽e der Wohnung vorgeschrieben ist, solange die Eignung zum Wohnen nicht beeintr盲chtigt ist (BFH-Urteil vom 13.11.2013 - I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046). Beim zeitweisen Umzug in eine kleine 2 陆-Zimmer-Wohnung ber眉cksichtigte es auch, dass das Einfamilienhaus f眉r eine 脺bergangszeit noch vermietet war. Ebenso hat es weiterhin in die Gesamtw眉rdigung in ausreichendem Ma脽e die Aufenthalte in Deutschland einbezogen und auch ber眉cksichtigt, dass die minderj盲hrigen Kinder nicht bei Verwandten im Heimatland der Eltern zum Zwecke des dortigen Schulbesuchs untergebracht waren, sondern bei der Mutter der Kinder, der Kl盲gerin. Der mehrj盲hrige Schulbesuch im Ausland unter Anwesenheit eines Elternteils der Kinder f眉hrte gerade nicht dazu, dass sich die Kinder l盲ngerfristig in die dortigen Lebensverh盲ltnisse einlebten und damit die famili盲re Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern f眉r die Dauer der Ausbildung aufgegeben wurde. Vielmehr blieb die famili盲re Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen Elternteil und Kindern erhalten.
Rz. 22
c) In Ermangelung erhobener Verfahrensr眉gen ist der Senat an die Beurteilung durch das FG gem盲脽 搂 118 Abs. 2 FGO gebunden. Denn ist die tats盲chliche W眉rdigung des FG verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und verst枚脽t sie auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungss盲tze, ist sie f眉r den BFH als Revisionsgericht nach 搂 118 Abs. 2 FGO auch dann bindend, wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich m枚glich ist (z.B. Senatsurteile vom 22.02.2017 - III R 20/15, BFHE 257, 274, BStBl II 2017, 913, Rz 22; vom 22.12.2011 - III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, Rz 18, und in BFH/NV 2009, 564, unter II.1.b).
Rz. 23
3. Die Kostenentscheidung folgt aus 搂 143 Abs. 1, 搂 135 Abs. 2 FGO.
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Fundstellen
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BFH/NV 2020, 208 |
HFR 2020, 240 |