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Leitsatz (amtlich)
Die Finanzgerichte d眉rfen nach 搂 127 AO 1977 einen Verwaltungsakt nicht allein deshalb aufheben, weil er von einem 枚rtlich unzust盲ndigen Finanzamt erlassen wurde.
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Normenkette
AO 1977 搂 127; EGAO 1977 Art. 97 搂 1
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Tatbestand
Die Kl盲gerin und Revisionsbeklagte (Kl盲gerin) ist eine GmbH. Ihr Sitz ist nach dem Gesellschaftsvertrag B. Sie unterh盲lt eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung in L. Die Anschrift der Kl盲gerin in B stimmt mit der jeweiligen Anschrift ihres Proze脽bevollm盲chtigten 眉berein.
Im Anschlu脽 an eine Betriebspr眉fung im Jahre 1974 kam der Beklagte und Revisionskl盲ger (das Finanzamt - FA -) zu dem Ergebnis, da脽 sich die Gesch盲ftsleitung der Kl盲gerin nicht in B, sondern in L befinde. Das FA kam u. a. zu dem Ergebnis, da脽 von der Kl盲gerin in den Jahren 1968 und 1969 gebildete Proze脽kostenr眉ckstellungen nicht anzuerkennen seien und die Kl盲gerin ihrem Alleingesellschafter verdeckte Gewinnaussch眉ttungen zugewendet habe. Auf dieser Grundlage ergingen - zum Teil berichtigende, zum Teil erstmalige - Steuerbescheide. S盲mtliche Bescheide wurden vor Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) am 1. Januar 1977 erlassen. Die Einspr眉che der Kl盲gerin, 眉ber die gleichfalls vor Inkrafttreten der Abgabenordnung entschieden wurde, hatten keinen Erfolg. Die Klage, mit der sich die Kl盲gerin gegen die von der Betriebspr眉fung aufgegriffenen Punkte gewandt hatte, f眉hrte zur Aufhebung der angefochtenen Einspruchsentscheidung und der Steuerbescheide. Das Finanzgericht (FG) ging in seinem Urteil, das aufgrund m眉ndlicher Verhandlung vom 8. M盲rz 1977 erlassen wurde, auf die sachliche Richtigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte nicht ein. Es st眉tzte seine Entscheidung ausschlie脽lich auf die Erw盲gung, da脽 das beklagte FA bei Erla脽 der Bescheide nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) 枚rtlich unzust盲ndig gewesen sei.
Mit seiner Revision r眉gt das FA Verletzung von Art. 97 搂 1 des Einf眉hrungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) i. V. m. 搂 125 Abs. 3 Nr. 1 und 搂 127 AO 1977. Das FA macht geltend: Nach der Vorschrift des 搂 127 AO 1977, die nach Art. 97 搂 1 EGAO 1977 anzuwenden sei, k枚nne die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften 眉ber das Verfahren, die Form oder die 枚rtliche Zust盲ndigkeit zustande gekommen sei, wenn keine andere Entscheidung in der Sache h盲tte getroffen werden k枚nnen. Im Streitfall h盲tte das 枚rtlich zust盲ndige FA zu keiner anderen Entscheidung kommen d眉rfen. Die Kl盲gerin sei auch durch die von einem 枚rtlich unzust盲ndigen FA erlassenen Steuerbescheide nicht beschwert (搂 350 AO 1977) und nicht i. S. von 搂 40 Abs. 2 FGO in ihren Rechten verletzt. Das FG h盲tte die sachliche Richtigkeit der Steuerbescheide 眉berpr眉fen m眉ssen und die Bescheide nur bei sachlicher Unrichtigkeit aufheben d眉rfen.
Das FA beantragt (sinngem盲脽 unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung), die Sache an das FG zur眉ckzuverweisen.
Die Kl盲gerin beantragt, die Revision als unbegr眉ndet zur眉ckzuweisen, hilfsweise die Sache an das zust盲ndige Nieders盲chsische FG zu verweisen.
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Die Revision f眉hrt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zur眉ckverweisung der Sache an das FG (搂 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
I.
Das FG war f眉r die Entscheidung 枚rtlich zust盲ndig; denn in seinem Bezirk hatte die Beh枚rde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz (搂 38 Abs. 1 FGO). Die Klage ist auch zul盲ssig, da die Kl盲gerin geltend macht, durch die angefochtenen Verwaltungsakte in ihren Rechten verletzt zu sein (搂 40 Abs. 2 FGO). Die Kl盲gerin hat schl眉ssig ger眉gt, die Steuerbescheide seien materiell unrichtig.
II.
1. Zutreffend hat das FG auch erkannt, da脽 das beklagte FA 枚rtlich unzust盲ndig war. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die 枚rtliche Zust盲ndigkeit im Streitfall nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung oder der am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Abgabenordnung zu beurteilen ist. Die Merkmale, an welche die 枚rtliche Zust盲ndigkeit ankn眉pft, sind f眉r die hier in Betracht kommenden Steuerarten nach den Vorschriften beider Abgabenordnungen die gleichen (vgl. 搂搂 73 ff. AO, 搂搂 20 ff. AO 1977). 脺ber die 枚rtliche Unzust盲ndigkeit des beklagten FA besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Daher er眉brigt es sich, n盲her auf diese Frage einzugehen.
2. Die 枚rtliche Unzust盲ndigkeit des beklagten FA berechtigte das FG noch nicht ohne weiteres, die angefochtenen Verwaltungsakte ersatzlos aufzuheben.
Die Frage der Rechtswidrigkeit eines von einer 枚rtlich unzust盲ndigen Finanzbeh枚rde erlassenen Verwaltungsakts und ihre m枚glichen Folgen sind im Streitfall nach den Vorschriften der Abgabenordnung zu beurteilen. Gem盲脽 Art. 97 搂 1 EGAO 1977 sind Verfahren, die am 1. Januar 1977 anh盲ngig sind, nach den Vorschriften der Abgabenordnung zu Ende zu f眉hren, soweit in den nachfolgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Februar 1977 VIII R 50/74 (BFHE 121, 379, BStBl II 1977, 516) soll sich die Vorschrift zwar unmittelbar nur auf die Abwicklung begonnener Verwaltungsverfahren beziehen. Der VIII. Senat des BFH hat jedoch zutreffend dargelegt, da脽 die Ber眉cksichtigung von Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung in einem anh盲ngigen Gerichtsverfahren dem in Art. 97 搂 1 EGAO 1977 zum Ausdruck kommenden allgemeinen Grundsatz entspricht, neues Verfahrensrecht solle auch f眉r schwebende Verfahren gelten, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist (vgl. die Begr眉ndung zu Art. 97 EGAO 1977 搂 1, Bundestags-Drucksache 7/261, zu Art. 79 搂 1). Dies bedeutet, da脽 die Vorschriften der Abgabenordnung jedenfalls dann anzuwenden sind, wenn ein nach urspr眉nglichem Verfahrensrecht aufzuhebender Verwaltungsakt nach den Vorschriften des neuen Verfahrensrechts nicht mehr aufgehoben werden darf (vgl. auch BFH-Beschlu脽 vom 7. Dezember 1977 I B 16/77, BFHE 124, 19, BStBl II 1978, 265).
3. Das FG h盲tte im Streitfall die 搂搂 125 und 127 AO 1977 beachten m眉ssen.
a) Nach 搂 125 Abs. 3 Nr. 1 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt nicht schon deshalb nichtig, weil Vorschriften 眉ber die 枚rtliche Zust盲ndigkeit nicht eingehalten worden sind. Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der (obgleich rechtswidrig) nicht nach 搂 125 AO 1977 nichtig ist, kann nach 搂 127 AO 1977 nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften 眉ber die 枚rtliche Zust盲ndigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache h盲tte getroffen werden k枚nnen. Diese Vorschrift ist auch im gerichtlichen Verfahren zu beachten (K眉hn-Kutter, Abgabenordnung [AO 1977], Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., 搂 127 AO 1977 Anm. 3; Hofmann, Abgabenordnung 1977, 2. Aufl., 搂 127 Anm. 4; Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, 搂 127 Anm. 6). Nur diese Rechtsauffassung stellt sicher, da脽 die dem 搂 127 AO zugrunde liegende Willensentscheidung des Gesetzgebers folgerichtig zur Geltung kommt. Sie w眉rde - mindestens teilweise - ins Leere gehen, wenn zwar der Steuerpflichtige aufgrund der 枚rtlichen Unzust盲ndigkeit der einen Verwaltungsakt erlassenden Beh枚rde allein die Aufhebung dieses Aktes nicht begehren k枚nnte, das Gericht den Verwaltungsakt aber lediglich aus diesem Grunde gleichwohl aufheben d眉rfte.
b) Der erkennende Senat vermag der gegenteiligen Auffassung von Tipke-Kruse (Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., Anm. zu 搂 127 AO 1977) und von R枚脽ler (Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A 1977 S. 372 ff. - DStZ A 1977, 372 -) nicht zu folgen (wie diese aber auch FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5. Oktober 1977 I 36/77, Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 618 - EFG 1977, 618 -).
aa) Die Ansicht, 搂 127 AO 1977 sei im gerichtlichen Verfahren ohne Wirkung, beruht zum Teil auf der Annahme, 搂 127 AO 1977 sei ausschlie脽lich ein Mittel, dem Aufhebungsbegehren des Steuerpflichtigen zu begegnen, ohne das Gericht oder das FA zu binden. Diese 脺berlegung geht fehl. Auch wenn es dem FA freisteht, einen lediglich wegen 枚rtlicher Unzust盲ndigkeit rechtswidrigen Verwaltungsakt bestehenzulassen oder ihn (im Rahmen seiner allgemeinen Befugnis zur R眉cknahme rechtswidriger Verwaltungsakte) zur眉ckzunehmen, so besagt dies nichts 眉ber die Entscheidungsbefugnis des Gerichts in dem Fall, da脽 das FA - wie hier - den Verwaltungsakt nicht zur眉cknehmen will. Das rechtm盲脽ige Verhalten der Verwaltung, an einem Verwaltungsakt festzuhalten, kann nicht zur Korrektur dieser Entscheidung durch das Gericht f眉hren.
bb) Auch die weitere Erw盲gung, da脽 f眉r das gerichtliche Verfahren eine dem 搂 127 AO 1977 entsprechende Vorschrift fehle, trifft nicht den Kern der Sache. Einer entsprechenden Vorschrift f眉r das finanzgerichtliche Verfahren bedurfte es nicht. Nach 搂 100 Abs. 1 FGO kann das Gericht nicht schlechterdings jeden rechtswidrigen Verwaltungsakt aufheben. Zur Rechtswidrigkeit mu脽 hinzukommen, da脽 der Kl盲ger in seinen Rechten verletzt ist. Aus 搂 127 AO 1977 folgt aber gerade, da脽 der Betroffene nicht schon deshalb in seinen Rechten verletzt sein soll, weil ein gegen ihn ergangener Verwaltungsakt mit dem Rechtsfehler der 枚rtlichen Unzust盲ndigkeit behaftet ist.
c) Diese aus dem Zweck des 搂 127 AO 1977 und dem Sinnzusammenhang dieser Vorschrift mit 搂 100 Abs. 1 FGO gewonnene Erkenntnis wird durch die Entstehungsgeschichte des 搂 127 AO 1977 best盲tigt. Diese Vorschrift entspricht 搂 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vom 25. Mai 1976 (BGBl I, 1253). Sie dient der Proze脽枚konomie und soll verhindern, da脽 ein Verwaltungsakt allein wegen formaler M盲ngel aufgehoben wird, wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden m眉脽te (Begr眉ndung zum Entwurf einer Abgabenordnung - AO 1974 -, Bundestags-Drucksache VI/1982, zu 搂 132). Diese 脺berlegungen m眉ssen auch im gerichtlichen Verfahren beachtet werden. Deutlich wird der Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahren und gerichtlichem Verfahren in der Begr眉ndung der Bundesregierung zu 搂 46 VwVfG betont (Bundestags-Drucksache 7/910, zu 搂 42). Danach entspricht diese Vorschrift "den proze脽枚konomischen Regelungen in 搂 563 ZPO und 搂 144 Abs. 4 VwGO, nach denen die Revision trotz Gesetzesverletzung zur眉ckzuweisen ist, wenn die Entscheidung sich als richtig darstellt". Was f眉r das Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Revisionsverfahren gelten soll (vgl. 搂 126 Abs. 4 FGO), mu脽 auch von den FG bei der Rechtskontrolle der Finanzbeh枚rden beachtet werden. Folgerichtig ist daher zu der 搂 100 Abs. 1 FGO entsprechenden Vorschrift des 搂 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anerkannt, da脽 die (blo脽e) Verletzung der Vorschriften 眉ber die 枚rtliche Zust盲ndigkeit durch die Verwaltungsbeh枚rde im gerichtlichen Verfahren nicht zur Aufhebung des Verwaltungsakts berechtigt (Kopp, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 1976, 搂 46 Anm. 1; derselbe, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., 搂 113 Anm. 30b aa; Meyer/Borgs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 1976, 搂 46 Anm. 6; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 1978, 搂 46 Anm. 3; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1979, 搂 58 II 2 S. 282; Bettermann in Festschrift f眉r Ipsen, 1977, 271, 287f.; anderer Ansicht G枚tz, Neue Juristische Wochenschrift 1976 S. 1425, 1428f.).
d) Allerdings kann im Verfahren vor dem FG 搂 127 AO 1977 nicht unmittelbar zur Anwendung kommen, wenn - wie hier - die Klage auf sachliche M盲ngel eines Verwaltungsakts, nicht (auch) auf die R眉ge der 枚rtlichen Unzust盲ndigkeit gest眉tzt wurde. Dies schlie脽t jedoch die Beachtung der 枚rtlichen Unzust盲ndigkeit als eines Rechtsfehlers nicht aus, wenn eine andere Entscheidung in der Sache h盲tte getroffen werden k枚nnen. Denn in diesem Fall erkennt 搂 127 AO 1977 auch dem Betroffenen ausdr眉cklich das Recht zu, die Aufhebung des von der 枚rtlich unzust盲ndigen Beh枚rde erlassenen Verwaltungsakts zu verlangen.
Dazu, ob eine andere Entscheidung in der Sache h盲tte getroffen werden k枚nnen, fehlen bisher tats盲chliche Feststellungen. Die Sache ist daher nicht spruchreif. Das FG wird auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Senats erneut 眉ber die Klage entscheiden m眉ssen.
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Fundstellen
亿兆体育-Index 73630 |
BStBl II 1980, 684 |
BFHE 1981, 180 |