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Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunds盲tzliche Bedeutung; Vollzugsdefizite bei der Besteuerung von Ums盲tzen im Inland und im Unionsgebiet
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Leitsatz (NV)
1. Eine Belastungsungleichheit durch Vollzugsm盲ngel bei der Steuererhebung f眉hrt erst dann zur Verfassungswidrigkeit der materiell-rechtlichen Norm, wenn sich eine Erhebungsregelung gegen眉ber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenl盲ufig auswirkt, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Dies setzt "wesentliche" Erhebungsdefizite bzw. "gravierende" Erhebungsm盲ngel f眉r den Regelfall des Besteuerungsverfahrens voraus.
2. Ein Versto脽 gegen den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz wird nicht hinreichend dargelegt, wenn der Kl盲ger lediglich behauptet, dass bestimmte Ums盲tze in mehreren Mitgliedstaaten nicht besteuert w眉rden, aber nicht (durch Bezeichnung von Rechtsgrundlagen und/oder Zitieren von Gerichtsentscheidungen) konkretisiert, worauf die Nichtbesteuerung beruht.
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Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; UStG 2005 搂 4 Abs. 14; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c; FGO 搂听115 Abs. 2 Nrn.听1-2, 搂听116 Abs.听1, 3
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Verfahrensgang
Nieders盲chsisches FG (Urteil vom 20.04.2009; Aktenzeichen 16 K 393/08) |
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Rz. 1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
Nach 搂 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision u.a. zuzulassen, wenn die Rechtssache grunds盲tzliche Bedeutung hat (搂 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (搂 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (搂 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegr眉ndung m眉ssen die Voraussetzungen des 搂 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (搂 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Rz. 3
1. Die vom Kl盲ger und Beschwerdef眉hrer (Kl盲ger) aufgef眉hrten Rechtsfragen haben keine grunds盲tzliche Bedeutung.
Rz. 4
Eine Rechtssache hat grunds盲tzliche Bedeutung, wenn die f眉r die Beurteilung des Streitfalls ma脽gebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts ber眉hrt. Die Zulassung der Revision kommt nur wegen einer kl盲rungsbed眉rftigen und kl盲rbaren Rechtsfrage in Betracht. An der Kl盲rungsbed眉rftigkeit fehlt es, wenn die streitige Rechtsfrage aufgrund der Rechtsprechung bereits gekl盲rt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 2. April 2009 V B 15/08, BFH/NV 2009, 1284, m.w.N.).
Rz. 5
a) Die vom Kl盲ger aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Steuer erhoben werden darf, wenn eine mangelhafte Durchsetzung die gleiche Steuerbelastung in Frage stellt, ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH bereits gekl盲rt:
Rz. 6
Danach verlangt der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) f眉r das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tats盲chlich gleich belastet werden. Eine Belastungsungleichheit, die durch Vollzugsm盲ngel bei der Steuererhebung hervorgerufen wird, wie sie immer wieder vorkommen k枚nnen und sich auch tats盲chlich ereignen, f眉hrt indes noch nicht zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung einzelner Steuerpflichtiger und damit zur Verfassungswidrigkeit der materiell-rechtlichen Norm. Etwas anderes gilt dann, wenn sich eine Erhebungsregelung gegen眉ber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenl盲ufig auswirkt, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist (vgl. BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991听 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654; BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2003 V B 45/03, BFH/NV 2004, 540). Dies setzt "wesentliche" Erhebungsdefizite bzw. "gravierende" Erhebungsm盲ngel voraus (BVerfG-Urteil vom 9. M盲rz 2004听 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56), wobei ma脽geblich auf den Regelfall des Besteuerungsverfahrens abzustellen ist (BVerfG-Urteile in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, und in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56).
Rz. 7
Der Kl盲ger hat hierzu lediglich behauptet, dass die Umsatzsteuer auf 盲rztliche Leistungen plastischer Chirurgen in einigen Gegenden Deutschlands --wozu auch X-Stadt geh枚re-- nicht erhoben werde, aber nicht substantiiert dargelegt, dass insoweit "wesentliche" Erhebungsdefizite bzw. "gravierende" Erhebungsm盲ngel vorliegen und nicht nur immer wieder vorkommende Vollzugsm盲ngel. Abgesehen davon ist weder ersichtlich noch vom Kl盲ger vorgetragen, dass eine Nichterhebung auf einer strukturell gegenl盲ufigen Erhebungsregel beruht. Schlie脽lich vermittelt der Gleichheitssatz keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis und damit auf "Gleichheit im Unrecht" (BFH-Beschluss vom 26. September 2007 V B 8/06, BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405, unter 2.d, m.w.N.).
Rz. 8
b) Mit der Rechtsfrage, ob die Berufung der Rechtsprechung auf den Gerichtshof der Europ盲ischen Union (EuGH) und die daraus folgende Umsetzung durch die Finanzverwaltung dann noch m枚glich ist, wenn die Rechtsprechung in anderen EU-Vertragsstaaten 眉berhaupt nicht umgesetzt wird, legt der Kl盲ger weder eine grunds盲tzliche Bedeutung der Rechtssache dar noch liegt eine solche vor.
Rz. 9
aa) Zu den nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten 眉ber die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) steuerfreien "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" hat der EuGH entschieden, dass diese der Diagnose, Behandlung und, soweit m枚glich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsst枚rungen dienen (vgl. EuGH-Urteile vom 6. November 2003 C-45/01, Dornier, Slg. 2003, I-12911, BFH/NV Beilage 2004, 40 Rdnr. 48; vom 27. April 2006 C-443/04 und C-444/04, Solleveld, Slg. 2006, I-3617, BFH/NV Beilage 2006, 299 Rdnr. 24, und vom 8. Juni 2006 C-106/05, LuP, Slg. 2006, I-5123, BFH/NV Beilage 2006, 442 Rdnr. 26). Sie m眉ssen einen therapeutischen Zweck haben (EuGH-Urteil vom 20. November 2003 C-307/01, Peter D'Ambrumenil, Slg. 2003, I-13989, BFH/NV Beilage 2004, 115 Rdnr. 58). Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sind dagegen 盲rztliche Leistungen, Ma脽nahmen oder medizinische Eingriffe, die zu anderen Zwecken erfolgen (EuGH-Urteile vom 14. September 2000 C-384/98, D., Slg. 2000, I-6795, BFH/NV Beilage 2001, 31 Rdnr. 18; vom 10. September 2002 C-141/00, K眉gler, Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30 Rdnr. 38; vom 20. November 2003 C-212/01, Unterpertinger, Slg. 2003, I-13859, BFH/NV Beilage 2004, 111 Rdnrn. 39 und 41; Peter D'Ambrumenil in Slg. 2003, I-13989, BFH/NV Beilage 2004, 115 Rdnr. 57). Aus diesen Entscheidungen hat der Senat gefolgert, dass Sch枚nheitsoperationen nicht unter die Steuerbefreiung fallen, wenn deren Zweck nicht der Schutz der menschlichen Gesundheit ist (BFH-Urteil vom 15. Juli 2004 V R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862).
Rz. 10
bb) Sofern in anderen Mitgliedstaaten die Ums盲tze von 脛rzten aus chirurgisch-plastischen Operationen stets steuerfrei w盲ren, k盲me zwar ein Versto脽 gegen den gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Betracht. Ein solcher liegt vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewendet wird (vgl. EuGH-Urteil vom 23. April 2009 C-460/07, Sandra Puffer, Slg. 2009, I-3251 Rdnr. 52, m.w.N.). Der Kl盲ger hat hierzu lediglich behauptet, dass Sch枚nheitsoperationen in mehreren Mitgliedstaaten nicht besteuert w眉rden, aber nicht --durch Bezeichnung von Rechtsgrundlagen und/oder Zitieren von Gerichtsentscheidungen-- konkret dargelegt, worauf dies beruht.
Rz. 11
cc) Im 脺brigen ist es auch nach der Rechtsprechung des EuGH einem Steuerpflichtigen versagt, sich zu eigenen Gunsten auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung bei anderen zu berufen (vgl. EuGH-Urteile vom 9. Oktober 1984 C-188/83, Witte/Europ盲isches Parlament, Slg. 1984, 03465 Rdnr. 15; vom 31. M盲rz 1993 C-89/85, A. Ahlstr枚m Osakeyhti枚 u.a., Slg. 1993, I-01307 Rdnr. 197).
Rz. 12
c) Die Rechtsfrage, welcher Gesundheitsbegriff der Feststellung zur Erhebung der Umsatzsteuer zugrunde zu legen ist und wer (behandelnder Arzt, Gutachter, Patient) diese Feststellung zu treffen hat, ist nicht kl盲rungsbed眉rftig.
Rz. 13
Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH sind die Steuerbefreiungen des Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen (st盲ndige Rechtsprechung, vgl. EuGH-Urteile Unterpertinger in Slg. 2003, I-13859, BFH/NV Beilage 2004, 111 Rdnr. 34; vom 14. Juni 2007 C-445/05, Haderer, BFH/NV Beilage 2007, 394, Rdnr. 17). Ob ein bestimmter Umsatz der Mehrwertsteuer zu unterwerfen oder von ihr zu befreien ist, kann folglich nicht davon abh盲ngen, wie der Begriff der Gesundheit durch die Weltgesundheitsorganisation definiert wird (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Februar 2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001, unter 4.a, bb).
Rz. 14
Die Feststellung, ob bei chirurgisch-plastischen Operationen steuerpflichtige oder --wegen medizinischer Indikation-- steuerfreie Leistungen vorliegen, hat der behandelnde Arzt unter Ber眉cksichtigung der einschl盲gigen Rechtsprechung zu treffen. Dabei kann im Regelfall von einer medizinischen Indikation ausgegangen werden, wenn die Kosten der Operation von den Sozialversicherungstr盲gern getragen werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862, unter 3.).
Rz. 15
2. Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts (搂 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) zuzulassen, um die vom Kl盲ger bezeichneten Rechtsfragen zu kl盲ren.
Rz. 16
Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts ist nur erforderlich, wenn 眉ber bisher ungekl盲rte abstrakte Rechtsfragen zu entscheiden w盲re (vgl. BFH-Beschluss vom 10. November 2009 V B 68/09, Zeitschrift f眉r Steuern und Recht 2010, R 164; Gr盲ber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., 搂 115 Rz 41, m.w.N.).
Rz. 17
Die erste und die dritte der vom Kl盲ger aufgeworfenen Rechtsfragen sind, wie sich den Ausf眉hrungen unter 1. a) und 1. c) entnehmen l盲sst, als gekl盲rt anzusehen. Hinsichtlich der zweiten Rechtsfrage scheitert eine Revisionszulassung bereits daran, dass der Kl盲ger die Kl盲rungsbed眉rftigkeit der Rechtsfrage nicht i.S. von 搂 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt hat.
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Fundstellen
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BFH/NV 2010, 2136 |
UR 2011, 13 |