KG Berlin: Kein Mitverschulden bei fehlendem Fahrradhelm

Eine Fahrradfahrerin trifft bei einem von einem Kfz-Fahrer verschuldeten Verkehrsunfall kein Mitverschulden an ihren schweren Kopfverletzungen wegen eines fehlenden Fahrradhelms.

Diese Auffassung hat das KG Berlin in Übereinstimmung mit der bisher überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in einem Fall vertreten, dem ein Unfallereignis aus dem Jahr 2022 zu Grunde lag. Die Begründung deutet allerdings an, dass sich diese Bewertung in Zukunft ändern könnte.

Schwere Kopfverletzungen einer Radfahrerin ohne Helm

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass das Tragen von Fahrradhelmen bei einem Sturz mit dem Rad die Gefahr von gefährlichen Kopfverletzungen deutlich reduzieren kann. Eine Radfahrerin in Berlin musste die Richtigkeit dieser Feststellung auf schmerzliche Weise am eigenen Leib erfahren. Im Bereich eines Fußgängerüberwegs wurde sie von einem Kfz angefahren und stürzte. Die Unfallfolgen waren schwer: Schädelfraktur mit Schädel-Hirn-Trauma sowie Frakturen der Oberschenkelknochen und des Schlüsselbeins. Das Tragen eines Helms hätte die Schwere der Verletzungen am Kopf deutlich mindern können.

Führt fehlender Helm zu Mitverschulden der Radfahrerin?

Das im Berufungsverfahren mit dem Fall befasste KG Berlin hatte sich mit der Frage zu befassen, ob der Radfahrerin infolge des fehlenden Helms ein Mitverschulden an den eingetretenen Verletzungsfolgen im Kopfbereich zuzurechnen und ihre Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche insoweit der Höhe nach zu reduzieren seien.

Verkehrsbewusstsein der Bevölkerung ist entscheidend

Das KG verneinte - wie schon das erstinstanzliche LG - ein Mitverschulden. Die Richter bezogen sich auf ein Urteil des BGH aus dem Jahr 2011. Dort hatte der BGH entschieden, dass es angesichts einer fehlenden gesetzlichen Verpflichtung zum Tragen eines Helms auf das allgemeine „Verkehrsbewusstsein“ der Bevölkerung ankomme. Nur wenn sich in der Bevölkerung eine allgemeine Überzeugung gebildet habe, dass das Tragen eines Helms beim Radfahren zum Schutz vor Verletzungen erforderlich sei, könne bei Unterlassen dieser Schutzmaßnahme eine Verletzung der gemäß § 254 BGB bestehenden Schadensminderungspflicht des betreffenden Radfahrers angenommen werden (BGH, Urteil v. 17.6.2014, VI ZR 281/13).

BGH lehnte Mitverschulden wegen fehlenden Helms ab

In seiner Entscheidung kam der BGH zu dem Ergebnis, dass sich im Jahre 2011 eine allgemeine Überzeugung der Erforderlichkeit, beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen, noch nicht herausgebildet hatte. Der BGH lehnte also ein Mitverschulden aus dem Gesichtspunkt eines fehlenden Fahrradhelms ab.

Kein allgemeines Bewusstsein für Helmpflicht

Nach Einschätzung des KG gilt diese Bewertung auch noch für das Jahr 2022, in dem sich der streitgegenständliche Unfall ereignet hatte. Das KG bezog sich auf eine repräsentative Verkehrsstudie der Bundesanstalt für Straßenwesen. Danach trugen im Jahr 2022 innerorts lediglich 34 % der Fahrer einfacher - also nicht elektrisch unterstützter - Fahrräder keinen Helm. Daraus zog das KG den Schluss, dass auch im Jahr 2022 noch kein allgemeines Verkehrsbewusstsein dahingehend feststellbar sei, dass das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren zum eigenen Schutz erforderlich ist. Ähnlich hatte auch das OLG Nürnberg im Fall von schweren Kopfverletzungen einer Fahrradfahrerin (für einen etwas früheren Zeitraum) entschieden (OLG Nürnberg, Urteil v. 20.8.2020, 13 U 1187/20).

Keine Herabsetzung der Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche

Da im Übrigen das alleinige Verschulden des beklagten Kfz-Führers für das Unfallereignis feststand, hatte bereits das LG erstinstanzlich der Klage der Radfahrerin auf Schadenersatz und Schmerzensgeld weitgehend stattgegeben, ebenso der Klage auf Feststellung der Eintrittspflicht des Beklagten Fahrzeugführers und seiner Haftpflichtversicherung für zukünftige weitere Schäden. In seinem ausführlich begründeten Hinweisbeschluss wies das KG darauf hin, dass sich an diesem Ergebnis in der Berufungsinstanz nichts ändern werde.

Hintergrund:

Der Beschluss des KG und auch die Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte lassen den Schluss zu, dass sich die Beurteilung der Frage des Mitverschuldens im Fall eines fehlenden Fahrradhelms in Zukunft ändern könnte, wenn in der Allgemeinheit das Bewusstsein wächst, dass das Tragen eines Fahrradhelms zum Schutz vor Verletzungen unbedingt erforderlich ist.

Vorsicht bei Pedelecs und E-Bikes

Bei Pedelecs und E-Bikes könnte eine gerichtliche Entscheidung möglicherweise schon heute anders ausfallen, da die Mehrzahl der Pedelec- und E-Bike-Fahrer inzwischen mit Helm unterwegs ist. Hier ist auch zu beachten, dass S-Pedelecs und E-Bikes mit einer möglichen Höchstgeschwindigkeit über 20 km/h als Krafträder gelten, für die schon heute eine Helmpflicht existiert. Auch existieren in einzelnen Bundesländern Sonderregelungen für spezielle Situationen. So schreibt Baden-Württemberg für Schüler bei Radausflügen eine Helmpflicht vor.


(KG Berlin, Beschluss v. 16.10.2024, 25 U 52/24)