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Entscheidungsstichwort (Thema)
Offenbare Unrichtigkeit bei fehlerhafter Zusammenveranlagung
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Leitsatz (NV)
1. Die Entscheidung des FG bei der Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit, dass jede M枚glichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollst盲ndigen Sachaufkl盲rung bzw. fehlerhaften Tatsachenw眉rdigung auszuschlie脽en sei, ist im Wesentlichen eine Tatfrage, die revisionsrechtlich nur eingeschr盲nkt 眉berpr眉fbar ist (搂 118 Abs. 2 FGO).
2. 搂 129 AO ist nicht von Verschuldenserw盲gungen abh盲ngig; f眉r die Anwendbarkeit dieser Vorschrift kommt es daher nicht darauf an, ob der Bearbeiter bei geh枚riger Sorgfalt sein Versehen h盲tte erkennen und die offenbare Unrichtigkeit bei der Steuerfestsetzung h盲tte vermeiden k枚nnen.
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Normenkette
AO 搂 129; FGO 搂听76 Abs. 1, 搂听118 Abs. 2
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Verfahrensgang
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Tatbestand
Rz. 1
I. Die Kl盲gerin und Revisionsbeklagte (Kl盲gerin) ist seit dem Streitjahr 2000 in zweiter Ehe verheiratet. F眉r das Streitjahr reichte sie im Februar 2001 bei dem Beklagten und Revisionskl盲ger (Finanzamt --FA--) eine --nur von ihr unterzeichnete-- Einkommensteuererkl盲rung ein, in deren Mantelbogen sie in den mit "Steuerpflichtige Person (Stpfl.), bei Ehegatten: Ehemann" 眉berschriebenen Zeilen zun盲chst ihre eigenen pers枚nlichen Daten und in den mit "Ehefrau" 眉berschriebenen folgenden Zeilen die ihres Ehemannes eintrug. In der nur von Ehegatten auszuf眉llenden Zeile 12 kreuzte sie von den drei dort vorgesehenen Veranlagungsformen die Alternative "Besondere Veranlagung f眉r das Jahr der Eheschlie脽ung" an. Die Erkl盲rung enth盲lt im 脺brigen nur Angaben zu ihren eigenen Besteuerungsgrundlagen --u.a. eine Anlage N--, nicht hingegen zu solchen ihres Ehemannes. Ferner beantragte die Kl盲gerin die Festsetzung einer Arbeitnehmer-Sparzulage.
Rz. 2
Unter dem 18. April 2001 erging ein an "Herrn und Frau X und Y Z" gerichteter Bescheid, in dem das FA die Einkommensteuer f眉r das Streitjahr 2000 --unter Anwendung der Splittingtabelle-- auf Null sowie eine "Sparzulage Ehemann" festsetzte. Dabei wurden die von der Kl盲gerin erkl盲rten Eink眉nfte aus nichtselbst盲ndiger Arbeit als solche des Ehemannes aufgef眉hrt; die entsprechende Spalte f眉r Eink眉nfte der Ehefrau enth盲lt keine Eintragung. Der Bescheid wurde bestandskr盲ftig.
Rz. 3
Auch der Ehemann der Kl盲gerin reichte eine Einkommensteuererkl盲rung f眉r 2000 ein; f眉r ihn f眉hrte das FA antragsgem盲脽 eine Veranlagung nach 搂 26c des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch.
Rz. 4
Nachdem das FA die sich widersprechenden Veranlagungen der Kl盲gerin und ihres Ehemannes bemerkt hatte, hob es mit seinem an beide Ehegatten gerichteten Bescheid vom 8. November 2001 den Einkommensteuerbescheid vom 18. April 2001 nach 搂 129 der Abgabenordnung (AO) auf.
Rz. 5
Da in der Einkommensteuererkl盲rung das Kreuz f眉r die Wahl der besonderen Veranlagung im Jahr der Eheschlie脽ung mit Bleistift eingekreist war, nahm der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle laut Aktenvermerk zun盲chst an, der Bearbeiter der Einkommensteuererkl盲rung habe den Antrag auf Durchf眉hrung einer besonderen Veranlagung erkannt; ein Rechtsirrtum k枚nne deshalb nicht ausgeschlossen werden. Nach R眉cksprache mit seinem Vorgesetzten und nachdem der Bearbeiter auf Anfrage erkl盲rt hatte, er habe den Kreis erst nach Aufdeckung des Fehlers angebracht, ging der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle davon aus, der Antrag auf besondere Veranlagung sei 眉bersehen worden, sodass die Voraussetzungen f眉r eine Korrektur nach 搂 129 AO gegeben seien. Der Einspruch wurde als unbegr眉ndet zur眉ckgewiesen.
Rz. 6
Das Finanzgericht (FG) hob den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf.
Rz. 7
Eine Berichtigung nach 搂 129 AO sei zwar auch durch Aufhebung eines Steuerbescheids m枚glich. Im Streitfall scheide eine auf 搂 129 AO gest眉tzte Aufhebung aber aus, da der angegriffene Bescheid (auch) auf Bearbeitungsfehlern beruhe, die nicht mehr als blo脽e "盲hnliche offenbare Unrichtigkeiten" i.S. des 搂 129 AO beurteilt werden k枚nnten.
Rz. 8
Zwar habe der Bearbeiter der Einkommensteuererkl盲rung offensichtlich das Kreuz 眉bersehen, mit dem die Kl盲gerin die besondere Veranlagung f眉r das Jahr der Eheschlie脽ung beantragt habe. Er sei anscheinend davon ausgegangen, mit der ihm vorliegenden Erkl盲rung sei --wie in den weitaus meisten F盲llen der Veranlagung von Ehegatten-- die Zusammenveranlagung beantragt worden. Hierf眉r spreche insbesondere, dass der Bearbeiter auch f眉r den Ehegatten Eintragungen zum Alter und zur Religionszugeh枚rigkeit vorgenommen und mit diesen und anderen Eingaben maschinell einen Zusammenveranlagungsbescheid erzeugt habe. Das 脺bersehen einer Eintragung in einem Erkl盲rungsformular beruhe regelm盲脽ig auf einer von Bewusstseinsprozessen weitgehend unbeeinflussten Unachtsamkeit und nicht auf rechtlichen 脺berlegungen oder Schlussfolgerungen. Daf眉r, dass im Streitfall andere Gr眉nde f眉r die Nichtbeachtung der Eintragung ausschlaggebend gewesen sein k枚nnten, gebe es keinerlei Anhaltspunkte.
Rz. 9
Dieses nach 搂 129 AO korrigierbare Versehen sei allerdings nicht allein urs盲chlich daf眉r gewesen, dass die Steuer fehlerhaft festgesetzt worden sei. Bei der unzutreffenden Annahme, es sei eine Zusammenveranlagung durchzuf眉hren, h盲tten sich dem Bearbeiter vielmehr weitere 脺berlegungen aufdr盲ngen m眉ssen, denen er entweder bewusst ausgewichen sei bzw. nicht in der gebotenen Weise Rechnung getragen habe. Anlass zu n盲herer 脺berpr眉fung h盲tte ihm insbesondere geben m眉ssen, dass es an der f眉r eine gemeinsame Steuererkl盲rung erforderlichen Unterschrift beider Ehegatten gefehlt habe und dass trotz der Berufsangabe "Beamter" f眉r den Ehemann keine Anlage N vorgelegt worden sei. Jedenfalls diese weitere Nachl盲ssigkeit bei der Fallbearbeitung lasse sich nicht mehr auf eine mechanische Fehlleistung 盲hnlich einem Schreib- oder Rechenfehler zur眉ckf眉hren. Vielmehr handele es sich um eine jenseits des Anwendungsbereichs des 搂 129 AO anzusiedelnde Verletzung der Pflicht, bei der Bearbeitung eines Steuerfalles mit der gebotenen Sorgfalt vorzugehen. H盲tte der Bearbeiter die gebotene Sorgfalt beachtet, w盲re ihm im 脺brigen auch der von der Kl盲gerin mit der "Anlage Kinder" gestellte Antrag auf Gew盲hrung eines Haushaltsfreibetrages aufgefallen.
Rz. 10
Mit seiner Revision r眉gt das FA eine Verletzung des 搂 129 AO. Es liege eine offenbare Unrichtigkeit vor, da der Sachbearbeiter den Antrag der Kl盲gerin auf die besondere Veranlagung nach 搂 26c EStG schlichtweg 眉bersehen habe. Die Anwendbarkeit des 搂 129 AO h盲nge nicht davon ab, ob der Bearbeiter vorwerfbar nachl盲ssig gehandelt habe; vielmehr sei eine solche Vorgehensweise f眉r den Anwendungsbereich des 搂 129 AO gerade typisch.
Rz. 11
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 12
Die Kl盲gerin beantragt, die Revision zur眉ckzuweisen.
Rz. 13
Das FG h盲tte untersuchen m眉ssen, 眉ber welche individuelle Erfahrung der Sachbearbeiter verf眉gt habe und ob er m枚glicherweise einem Rechtsirrtum unterlegen sei. Die besondere Veranlagung im Jahr der Eheschlie脽ung sei eine selten vorkommende Veranlagung. Die vom FA aufgestellte und vom FG ungepr眉ft 眉bernommene Behauptung, der Verursacher des strittigen Steuerbescheids habe selbstverst盲ndlich Kenntnis der Rechtsfolgen eines Antrags auf besondere Veranlagung im Jahr der Eheschlie脽ung gehabt, sei nach den Umst盲nden nicht glaubhaft.
Rz. 14
Im Streitfall sei nach Aktenlage keinesfalls erkennbar, dass der Antrag auf besondere Veranlagung 眉bersehen worden sei. Das Einkreisen des Kreuzes, mit dem in der Einkommensteuererkl盲rung die besondere Veranlagung beantragt worden sei, weise vielmehr darauf hin, dass dieser Kreis bei der Bearbeitung der Steuererkl盲rung angebracht worden sei, um quasi ein Zeichen f眉r die weitere Bearbeitung zu setzen. Hiervon sei auch der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsentscheidung bei seiner vorl盲ufigen Einsch盲tzung ausgegangen und habe deshalb f眉r wahrscheinlich gehalten, dass ein Rechtsirrtum zu dem fehlerhaften Bescheid gef眉hrt habe. Dies sei in der m眉ndlichen Verhandlung vorgetragen, aber vom FG nicht beachtet worden. Hierin liege eine Verletzung der Sachaufkl盲rungspflicht durch das FG.
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Rz. 15
II. Die Revision ist begr眉ndet. Sie f眉hrt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Abweisung der Klage (搂 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Rz. 16
Entgegen der Auffassung des FG liegen im Streitfall die Voraussetzungen f眉r eine Berichtigung nach 搂 129 AO vor.
Rz. 17
1. Nach 搂 129 AO kann die Finanzbeh枚rde Schreibfehler, Rechenfehler und 盲hnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verj盲hrungsfrist) berichtigen. Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts f眉r jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist, der Fehler auf blo脽es mechanisches Versehen zur眉ckzuf眉hren und die M枚glichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen ist (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Juni 2008 X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801, m.w.N.). Ob jede M枚glichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollst盲ndigen Sachaufkl盲rung bzw. fehlerhaften Tatsachenw眉rdigung auszuschlie脽en ist, beurteilt sich nach den Verh盲ltnissen des Einzelfalles, vor allem nach Aktenlage. Die Entscheidung dar眉ber ist im Wesentlichen eine Tatfrage, die revisionsrechtlich nur eingeschr盲nkt 眉berpr眉fbar ist (搂 118 Abs. 2 FGO; z.B. BFH-Urteil vom 19. M盲rz 2009 IV R 84/06, BFH/NV 2009, 1394, m.w.N.).
Rz. 18
Eine oberfl盲chliche Behandlung des Steuerfalles durch die Finanzbeh枚rde hindert eine Berichtigung nach 搂 129 AO nicht. Denn die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist nicht von Verschuldenserw盲gungen abh盲ngig und damit auch nicht von einem eventuellen Organisationsverschulden (z.B. BFH-Urteil vom 11. Juli 2007 XI R 17/05, BFH/NV 2007, 1810, m.w.N.).
Rz. 19
2. Das FG ist aufgrund der Vermerke auf der Einkommensteuererkl盲rung zu der 脺berzeugung gelangt, dass der Sachbearbeiter das Kreuz 眉bersehen hat, mit dem die Kl盲gerin eine besondere Veranlagung f眉r das Jahr der Eheschlie脽ung beantragt hatte. Es hat dieses 脺bersehen als eine nicht auf rechtlichen 脺berlegungen oder Schlussfolgerungen beruhende blo脽e Unachtsamkeit beurteilt. Anhaltspunkte daf眉r, dass andere Gr眉nde f眉r die Nichtbeachtung des Kreuzes ausschlaggebend gewesen sein k枚nnten, lagen nach Auffassung des FG nicht vor. Da die tats盲chliche W眉rdigung des FG verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungss盲tze verst枚脽t, ist sie f眉r den BFH als Revisionsgericht nach 搂 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich m枚glich ist (z.B. Senatsurteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BFH/NV 2009, 638, unter II.2.).
Rz. 20
3. Zu Unrecht hat das FG eine Korrektur des Bescheids nach 搂 129 AO deshalb abgelehnt, weil die fehlerhafte Festsetzung auch darauf beruhe, dass der Bearbeiter dar眉ber hinaus seine Sorgfaltspflichten bei der Bearbeitung der Einkommensteuererkl盲rung verletzt habe. Insoweit 眉bersieht das FG, dass 搂 129 AO nicht von Verschuldenserw盲gungen abh盲ngig ist und es f眉r die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht darauf ankommt, ob der Bearbeiter bei geh枚riger Sorgfalt sein Versehen h盲tte erkennen und die offenbare Unrichtigkeit bei der Steuerfestsetzung h盲tte vermeiden k枚nnen.
Rz. 21
4. Die erst nach Ablauf der Revisionsbegr眉ndungsfrist erhobene Sachaufkl盲rungsr眉ge der Kl盲gerin hat keinen Erfolg.
Rz. 22
Im Revisionsverfahren k枚nnen nur solche Verfahrensfehler ber眉cksichtigt werden, die innerhalb der Revisionsbegr眉ndungsfrist erhoben werden (z.B. BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 VI R 11/07, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933).
Rz. 23
Abgesehen davon ist bei der R眉ge eines Versto脽es gegen die Sachaufkl盲rungspflicht (搂 76 Abs. 1 FGO) nach der Rechtsprechung unter anderem darzulegen, welche Tatsachen das FG h盲tte aufkl盲ren und welche Beweise es auch ohne Beweisantrag h盲tte erheben m眉ssen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, BFH/NV 2000, 1435). Der Vortrag, das FG h盲tte untersuchen m眉ssen, ob ein Rechtsirrtum im Bereich des M枚glichen liege und 眉ber welche individuelle Erfahrung der Bearbeiter der Einkommensteuererkl盲rung verf眉gt habe, reicht nicht aus. Im 脺brigen f眉hrt die Kl盲gerin selbst aus, dass insoweit Feststellungen kaum m枚glich seien. Zudem ist nach der Rechtsprechung aufgrund des Akteninhalts zu entscheiden, ob der Fehler auf einer offenbaren Unrichtigkeit oder einem m枚glichen Rechtsirrtum beruht. Der Bearbeiter, der den Fehler verursacht hat, braucht dazu nicht als Zeuge vernommen zu werden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1810).
Rz. 24
Mit ihrem Vortrag, das FG habe den "Kringel" des Bearbeiters auf der Einkommensteuererkl盲rung und den Aktenvermerk des Rechtsbehelfssachbearbeiters sowie ihren m眉ndlichen Vortrag nicht beachtet, r眉gt die Kl盲gerin im Kern keine mangelnde Sachaufkl盲rung, sondern die nach ihrer Auffassung fehlerhafte W眉rdigung des Sachverhalts durch das FG. Sie macht geltend, das FG h盲tte aus dem Umkreisen des Kreuzes folgern m眉ssen, dass der Bearbeiter den Antrag erkannt habe und die fehlerhafte Veranlagung deshalb auf einem Rechtsirrtum beruhen k枚nne. Dabei l盲sst die Kl盲gerin aber au脽er Acht, dass der Bearbeiter der Einkommensteuererkl盲rung laut Aktenvermerk in der Rechtsbehelfsakte auf Anfrage erkl盲rt hat, er habe das Kreuz erst eingekreist, nachdem die Fehlerhaftigkeit des Einkommensteuerbescheids bemerkt worden sei.
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Fundstellen
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BFH/NV 2010, 1410 |