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Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzbed眉rfnis bei vorl盲ufigem Steuerbescheid
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Leitsatz (NV)
1. Ist ein Steuerbescheid in einem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorl盲ufig ergangen, fehlt einer Klage das Rechtsschutzbed眉rfnis ausnahmsweise nicht, wenn besondere Gr眉nde materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht werden (Anschluss an den BFH-Beschluss vom 22. M盲rz 1996 III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506).
2. Die Unsicherheit, die nach den Beschl眉ssen des BVerfG vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97 (BVerfGE 1999, 246 und 273, BStBl II 1999, 174, 194) und vor Verabschiedung des FamF枚G vom 22. Dezember 1999 (BGBl I, 2552) in der Frage bestand, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen es zu einer verfassungsgem盲脽en Steuerentlastung kommen w眉rde, war ein besonderer Grund in diesem Sinne.
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Normenkette
AO 1977 搂 165 Abs. 1; EStG 搂听32 Abs. 6, 搂听53; FGO 搂 44
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Verfahrensgang
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Tatbestand
I. Streitig ist, ob eine mit verfassungsrechtlichen Einw盲nden begr眉ndete Klage gegen einen in diesem Punkt nach 搂 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorl盲ufig ergangenen Einkommensteuerbescheid zul盲ssig war.
Die verheirateten Kl盲ger und Revisionsbeklagten (Kl盲ger) haben einen im Jahr 1983 geborenen Sohn. Sie wurden im Streitjahr 1989 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Beklagte und Revisionskl盲ger (das Finanzamt --FA--) ber眉cksichtigte im Einkommensteuerbescheid f眉r 1989 vom 8. Januar 1991 einen Kinderfreibetrag in H枚he von 2 484 DM nach 搂 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der damals g眉ltigen Fassung. Der Bescheid war hinsichtlich der H枚he des Kinderfreibetrages wegen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. Juni 1990 gem盲脽 搂 165 Abs. 1 AO 1977 惫辞谤濒盲耻蹿颈驳.
Die Kl盲ger legten u.a. wegen des Kinderfreibetrages Einspruch ein und erkl盲rten sich insoweit mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden. Mit Einspruchsentscheidung vom 8. M盲rz 1999, die aus anderen Gr眉nden zu einer Herabsetzung der Einkommensteuer f眉hrte, wies das FA den Einspruch hinsichtlich des Kinderfreibetrages als unbegr眉ndet zur眉ck. Mit der dagegen erhobenen Klage machten die Kl盲ger die Verfassungswidrigkeit der Familienbesteuerung ab dem Jahr 1983 geltend und beantragten unter Hinweis auf die Beschl眉sse des BVerfG vom 10. November 1998听 2 BvL 42/93, 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97, BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194, das Verfahren auszusetzen bzw. ruhen zu lassen, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung der Familienbesteuerung vorgenommen habe.
Am 19. Oktober 2000 erlie脽 das FA einen aufgrund des 搂 53 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Familienf枚rderung --FamF枚G-- vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2552) ge盲nderten Einkommensteuerbescheid und ber眉cksichtigte einen Abzugsbetrag f眉r das Kind in H枚he von 4 752 DM.
Die Kl盲ger erkl盲rten daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache f眉r erledigt. Dem trat das FA entgegen. Die Klage sei wegen fehlenden Rechtsschutzbed眉rfnisses unzul盲ssig, da es den Kl盲gern darum gegangen sei, den Einkommensteuerbescheid nicht bestandskr盲ftig werden zu lassen und nach einer g眉nstigeren Neuregelung wegen der Entscheidungen des BVerfG in BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194 h枚here Freibetr盲ge in Anspruch nehmen zu k枚nnen. Diesem Zweck habe die Vorl盲ufigkeit in vollem Umfang gen眉gt. Die Klage k枚nne deshalb auch nicht in der Hauptsache erledigt sein.
Mit Gerichtsbescheid vom 25. Januar 2001 entschied das Finanzgericht (FG), dass der Rechtsstreit sich in der Hauptsache erledigt habe, und legte dem FA die Kosten auf. Die Kl盲ger h盲tten "aus heutiger Sicht" ein Rechtsschutzbed眉rfnis gehabt. Das BVerfG habe zwar in den Beschl眉ssen in BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194 die Vorschrift des 搂 32 Abs. 6 EStG u.a. f眉r das jeweilige Streitjahr und die jeweilige Kinderzahl als mit dem Grundgesetz unvereinbar erkl盲rt, dem Bundesfinanzhof (BFH) aber aufgegeben, in den entschiedenen Verfahren und den Parallelverfahren die M枚glichkeit einer verfassungsrechtlich veranlassten Herabsetzung der Einkommensteuerschuld auch ohne Durchf眉hrung eines gesonderten Billigkeitsverfahrens zu pr眉fen und damit ggf. eine gesetzliche Neuregelung mit Wirkung f眉r zur眉ckliegende Veranlagungsjahre und f眉r "wenige F盲lle" 眉berfl眉ssig zu machen. Deshalb sei unsicher gewesen, ob ein blo脽er Vorl盲ufigkeitsvermerk in jedem Fall dieselbe Rechtsposition wie ein Rechtsbehelf vermitteln k枚nne.
Dagegen wendet sich das FA mit der Revision. Unter Berufung auf BFH-Rechtsprechung macht es geltend, die Klage sei mangels Rechtsschutzbed眉rfnisses abzuweisen. Zwar resultierten aus den Beschl眉ssen des BVerfG in BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194 Zweifel, ob den Unvereinbarkeitserkl盲rungen auch hinsichtlich der wegen eines Vorl盲ufigkeitsvermerks materiell nicht bestandskr盲ftigen Bescheide Wirkung f眉r die Vergangenheit beizumessen sei (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Januar 1999 VI R 176/90, BFHE 188, 48, BStBl II 1999, 233). Das FG verkenne aber, dass es auf die retrospektive Betrachtungsweise nicht ankommen k枚nne. Ma脽geblich m眉sse n盲mlich der Zeitpunkt des Ergehens der Sachentscheidung sein, wie der BFH herausgestellt habe (Urteil vom 13. April 2000 XI R 3, 4/99, BFH/NV 2001, 41, H枚chstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2001, 31). Die Kl盲ger h盲tten im Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses, also dem Datum des Abhilfebescheides vom 19. Oktober 2000, kein rechtlich schutzw眉rdiges Interesse an einer Sachentscheidung des Gerichts mehr gehabt. Sp盲testens ab dem In-Kraft-Treten des FamF枚G vom 22. Dezember 1999 h盲tte der prozesswirtschaftliche Effekt des 搂 165 Abs. 1 AO 1977 wieder in Rechnung gestellt werden m眉ssen, so dass ein zuvor etwa bestehendes Rechtsschutzbed眉rfnis entfallen sei.
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II. Die Revision ist nicht begr眉ndet. Der Rechtsstreit ist --wie das FG zutreffend entschieden hat-- in der Hauptsache erledigt, nachdem der angefochtene Einkommensteuerbescheid nach In-Kraft-Treten des FamF枚G vom 22. Dezember 1999 ge盲ndert wurde.
1. Die Klage wurde zul盲ssig erhoben. Die Kl盲ger hatten trotz des Vorl盲ufigkeitsvermerks (搂 165 AO 1977) ein Rechtsschutzbed眉rfnis.
a) Zwar fehlt --wie das FA vorgetragen hat-- nach der st盲ndigen Rechtsprechung des BFH das Rechtsschutzbed眉rfnis, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorl盲ufig ergangen ist, diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleich gelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anh盲ngig ist (BFH-Beschl眉sse vom 9. August 1994 X B 26/94, BFHE 174, 498, BStBl II 1994, 803; vom 10. November 1993 X B 83/93, BFHE 172, 197, BStBl II 1994, 119, und vom 18. Februar 1994 VI B 123/93, BFH/NV 1994, 548). Denn dann kann ein Steuerpflichtiger im Allgemeinen die Kl盲rung der Streitfrage in dem Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden (BFH-Beschluss in BFHE 172, 197, BStBl II 1994, 119). Etwas anderes kann ausnahmsweise aber dann gelten, wenn besondere Gr眉nde materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht werden (vgl. BFH-Beschl眉sse vom 22. M盲rz 1996 III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506, und vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/92, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408).
b) Im Streitfall hatte das BVerfG die Musterverfahren schon vor Erlass der Einspruchsentscheidung entschieden (Beschl眉sse vom 10. November 1998 in BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194). In diesen Verfahren hatte es die auch von den Kl盲gern geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der Familienbesteuerung festgestellt. Das FA hatte die Einspr眉che zur眉ckgewiesen, nachdem diese Beschl眉sse ergangen waren und bevor die Auswirkungen auf den Streitfall --durch das FamF枚G vom 22. Dezember 1999-- gekl盲rt waren.
c) Im Zeitpunkt der Klageerhebung war deshalb offen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Kl盲ger eine verfassungsgem盲脽e Steuerentlastung beanspruchen konnten. Denn auf Grund der Beschl眉sse des BVerfG in BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194 war unsicher, ob auch die wegen eines Vorl盲ufigkeitsvermerks materiell nicht bestandskr盲ftigen Bescheide wegen der Verfassungswidrigkeit der Familienbesteuerung ge盲ndert w眉rden. Das FamF枚G vom 22. Dezember 1999, das nach 眉bereinstimmender Auffassung der Beteiligten die Rechte der Kl盲ger gewahrt hat, wurde erst sp盲ter --nachdem die Kl盲ger bereits Klage erhoben hatten-- erlassen. Daher fehlte den Kl盲gern im Zeitpunkt der Klageerhebung das Rechtsschutzbed眉rfnis nicht. Davon ist offenbar auch die Revision ausgegangen.
2. Entgegen der Auffassung des FA steht der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ein Wegfall des Rechtsschutzbed眉rfnisses infolge des FamF枚G vom 22. Dezember 1999 nicht entgegen. Denn eine wirksame Erledigungserkl盲rung kann (erst) nach Rechtsh盲ngigkeit der Hauptsache bis zum Schluss der letzten m眉ndlichen Verhandlung oder --wenn eine m眉ndliche Verhandlung nicht stattfindet-- bis zur Entscheidung des Rechtsstreits abgegeben werden (Gr盲ber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 搂 138 Rz. 15).
Vorliegend wurde das FamF枚G --ebenso wie der darauf beruhende 脛nderungsbescheid-- erlassen, nachdem die Klage zul盲ssig erhoben worden war. Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, ob bereits der Erlass des FamF枚G --wie das FA meint-- oder erst der folgende 脛nderungsbescheid zu einer Erledigung des Rechtsstreits und damit zu einem Wegfall des Rechtsschutzbed眉rfnisses gef眉hrt hat. Denn die Kl盲ger haben ihren Klageantrag nach Erlass des FamF枚G und des 脛nderungsbescheides, aber noch vor dem Schluss der m眉ndlichen Verhandlung und damit rechtzeitig umgestellt.
3. Weder der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit noch der Zweck des Vorl盲ufigkeitsvermerks nach 搂 165 AO 1977 rechtfertigen angesichts der besonderen Ausgangslage im Streitfall eine andere Beurteilung. Denn das Rechtsschutzbed眉rfnis der Kl盲ger ergab sich aus der Unsicherheit, ob nach den Beschl眉ssen des BVerfG in BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194 und vor Verabschiedung des FamF枚G der Vorl盲ufigkeitsvermerk ausreichte, um ihrem Rechtsschutzbegehren zu gen眉gen. Im 脺brigen h盲tte sich das Klageverfahren vermeiden lassen, w盲re der Einspruch der Kl盲ger nicht abgewiesen worden, bevor diese Unsicherheit beseitigt war.
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Fundstellen
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BFH/NV 2005, 1323 |