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Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot bei Erstattung der Grunderwerbsteuer nach 搂 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG
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Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Erstattung der Grunderwerbsteuer nach 搂 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG f眉r einen vor Insolvenzer枚ffnung geschlossenen Kaufvertrag entsteht im Fall der Ablehnung der Erf眉llung gem盲脽 搂 103 Abs. 2 InsO erst nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens i.S. des 搂 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
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Normenkette
InsO 搂听96 Abs. 1 Nr. 1, 搂听103 Abs. 2; GrEStG 搂 16 Abs. 1 Nr. 2
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Verfahrensgang
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Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des S盲chsischen Finanzgerichts vom 26. April 2017听听1 K 1596/15 wird als unbegr眉ndet zur眉ckgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
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Tatbestand
Rz. 1
I. Die Kl盲gerin und Revisionsbeklagte (Kl盲gerin) erwarb mit Bautr盲gervertrag vom 28.听Dezember 2005 f眉r 1.140.000听鈧 Miteigentumsanteile an vier noch fertigzustellenden Doppelhaush盲lften in A. Da sie nach dem Kaufvertrag die Grunderwerbsteuer zu tragen hatte, setzte der Beklagte und Revisionskl盲ger (das Finanzamt --FA--) mit Bescheid vom 28.听Februar 2006 Grunderwerbsteuer in H枚he von 39.900听鈧 gegen die Kl盲gerin fest. Der Bescheid wurde bestandskr盲ftig und die Kl盲gerin zahlte die festgesetzte Grunderwerbsteuer.
Rz. 2
Im M盲rz 2012 er枚ffnete das Amtsgericht 眉ber das Verm枚gen der Kl盲gerin das Insolvenzverfahren und ordnete Eigenverwaltung an. Mit Schreiben vom 1.听M盲rz 2013 erkl盲rte die Kl盲gerin gegen眉ber der Verk盲uferin die Nichterf眉llung des Bautr盲gervertrags vom 28.听Dezember 2005 gem盲脽 搂听103 Abs.听2 der Insolvenzordnung (InsO). Mit Schreiben vom 2.听April 2013 bat die Kl盲gerin das FA um Erstattung der Grunderwerbsteuer.
Rz. 3
Mit Bescheid vom 3.听Februar 2015 hob das FA den Grunderwerbsteuerbescheid vom 28.听Februar 2006 "wegen R眉ckg盲ngigmachung des Erwerbsvorgangs nach 搂听16 Abs.听1 Nr.听2" des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) auf und erkl盲rte die Aufrechnung mit Steuerschulden der Kl盲gerin wegen Lohnsteuer f眉r die Monate Dezember 2009 bis April 2010. Den Einspruch der Kl盲gerin vom 18.听M盲rz 2015 wertete das FA als Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids und stellte mit Bescheid vom 13.听April 2015 fest, dass das Guthaben aus der Grunderwerbsteuer durch Aufrechnung erloschen sei.
Rz. 4
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Aufrechnung sei nach 搂听96 Abs.听1 Nr.听1 InsO unzul盲ssig, da das FA das von ihm verrechnete Grunderwerbsteuerguthaben erst nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 187 ver枚ffentlicht.
Rz. 5
Mit seiner Revision tr盲gt das FA vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 17.听April 2007 VII听R听27/06 (BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589) entschieden, dass das FA die Erstattung von Grunderwerbsteuer gegen Insolvenzforderungen verrechnen k枚nne, wenn der Verk盲ufer nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens das ihm vorbehaltene Recht zum R眉cktritt von einem vor Verfahrenser枚ffnung geschlossenen Kaufvertrag aus眉be. An dieser Rechtsprechung sei festzuhalten. Die ge盲nderte Rechtsprechung des BFH zu 搂听17 Abs.听2 bzw. 搂听14c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) lasse sich wegen der besonderen Ausgestaltung des GrEStG nicht auf den vorliegenden Streitfall 眉bertragen. Die Grunderwerbsteuer sei im Unterschied zur Umsatzsteuer eine aperiodisch entstehende und festzusetzende Verkehrsteuer. Zwar wirke die Aufhebung einer Grunderwerbsteuerfestsetzung gem盲脽 搂听16 GrEStG --ebenso wie die 脛nderung der Steuerschuld gem盲脽 搂听17 UStG-- nicht auf den Zeitpunkt der urspr眉nglichen Steuerentstehung zur眉ck; jedoch sehe 搂听16 GrEStG die Beseitigung der Grunderwerbsteuerfestsetzung vor, w盲hrend 搂听17 Abs.听1 UStG die 脛nderung der Steuerschuld f眉r den Besteuerungszeitraum vorschreibe, in dem die 脛nderung eintrete, und somit keinen Bezug zum Besteuerungszeitraum der urspr眉nglichen Steuerfestsetzung herstelle. Auch werde durch das BFH-Urteil vom 18.听August 2015 VII听R听29/14 (BFH/NV 2016, 87) und ebenso durch den BFH-Beschluss vom 21.听M盲rz 2014 VII听B听214/12 (BFH/NV 2014, 1088) best盲tigt, dass der Zeitpunkt der Antragstellung --im Streitfall der auf Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung gerichtete Antrag-- f眉r die insolvenzrechtliche Entstehung des Erstattungsanspruchs unerheblich sei.
Rz. 6
Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 7
Die Kl盲gerin beantragt, die Revision zur眉ckzuweisen.
Rz. 8
Die Kl盲gerin erwidert, es treffe zwar zu, dass das BFH-Urteil vom 25.听Juli 2012 VII听R听29/11 (BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36) zur Umsatzsteuer ergangen sei; es m眉sse aber gleicherma脽en auch f眉r die Grunderwerbsteuer gelten, denn letztlich seien die gesetzlichen Regelungen des 搂听17 UStG und des 搂听16 GrEStG in ihren Aussagen deckungsgleich: W眉rden die urspr眉nglichen Vertragsbedingungen nicht erf眉llt, seien die zun盲chst erstellten Voranmeldungen bzw. der zun盲chst erlassene Bescheid zu korrigieren. Ebenso habe auch der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass eine Forderung im Insolvenzverfahren nur dann aufrechenbar sei, wenn sie vor der Verfahrenser枚ffnung in ihrem rechtlichen Kern so gesichert sei, dass es einer weiteren Rechtshandlung des Anspruchsinhabers nicht bed眉rfe (BGH-Urteil vom 3.听M盲rz 2016 IX听ZR听132/15, BGHZ 209, 179, Neue Juristische Wochenschrift 2016, 2118). Es liege auf der Hand, dass im Fall der Aus眉bung des Wahlrechts nach 搂听103 InsO aus Sicht dieser Entscheidung eine Aufrechnung nicht m枚glich sei; denn die Grunderwerbsteuerforderung entstehe erst, nachdem der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht --also eine Rechtshandlung-- ausge眉bt habe. Zudem sei das BFH-Urteil aus dem Jahr 2007 (in BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589) f眉r den vorliegenden Sachverhalt ohne Aussagekraft; denn es behandele einen Fall, in dem die Vertragsparteien bereits im urspr眉nglichen notariellen Kaufvertrag ein R眉cktrittsrecht vereinbart h盲tten. Demgegen眉ber sei die Erkl盲rung des Insolvenzverwalters nach 搂听103 InsO eine einseitige, empfangsbed眉rftige Willenserkl盲rung; sie sei also nicht schon im urspr眉nglichen Vertrag angelegt gewesen.
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Rz. 9
II. Die Revision ist unbegr眉ndet und daher gem盲脽 搂听126 Abs.听2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur眉ckzuweisen. Das angefochtene Urteil entspricht Bundesrecht (搂听118 Abs.听1 Satz听1 FGO).
Rz. 10
Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Aufrechnung nach 搂听96 Abs.听1 Nr.听1 InsO unzul盲ssig war.
Rz. 11
1. Nach 搂听96 Abs.听1 Nr.听1 InsO ist die Aufrechnung unzul盲ssig, wenn ein Insolvenzgl盲ubiger erst nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.
Rz. 12
Ob ein Insolvenzgl盲ubiger vor oder nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begr眉ndet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzer枚ffnung vollst盲ndig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Entscheidend ist, ob s盲mtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen f眉r die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens bereits erf眉llt waren (st盲ndige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteile vom 12.听Juni 2018 VII听R听19/16, BFHE 261, 463, und vom 8.听November 2016 VII听R听34/15, BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, m.w.N.).
Rz. 13
2. Das FA ist das hier streitige Guthaben aus der Grunderwerbsteuer erst nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden.
Rz. 14
a) Gem盲脽 搂听16 Abs.听1 Nr.听2 GrEStG wird auf Antrag die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen nicht erf眉llt werden und der Erwerbsvorgang deshalb aufgrund eines Rechtsanspruchs r眉ckg盲ngig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundst眉ck auf den Erwerber 眉bergegangen ist.
Rz. 15
aa) Der nach dieser Regelung entstehende Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung eines bereits ergangenen Grunderwerbsteuerbescheids f眉hrt nach der Rechtsprechung des BFH nicht zum Erl枚schen des einmal wirksam entstandenen urspr眉nglichen Steueranspruchs. Der Anspruch nach 搂听16 GrEStG ist vielmehr ein weiterer (gegenl盲ufiger), eigenst盲ndiger Anspruch aus dem Steuerschuldverh盲ltnis i.S. des 搂听37 Abs.听1 der Abgabenordnung (AO), der selbst盲ndig neben den Steueranspruch tritt (vgl. BFH-Urteil vom 16.听Januar 2002 II听R听52/00, BFH/NV 2002, 1053, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 9.听September 2015 II听B听28/15, BFH/NV 2015, 1668; s.a. Loose in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 19.听Aufl., 搂听16 Rz听12听ff.; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6.听Aufl., 搂听16 Rz听3). Es handelt sich nicht um einen Erstattungsanspruch i.S. des 搂听37 Abs.听2 AO (BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 1668, Rz听7). Dementsprechend l盲sst der Anspruch aus 搂听16 GrEStG die Rechtm盲脽igkeit der f眉r den urspr眉nglichen Erwerbsvorgang vorgenommenen Besteuerung unber眉hrt (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1053).
Rz. 16
Damit gew盲hrt 搂听16 Abs.听1 GrEStG --ebenso wie 搂搂听14c Abs.听2 und 17 Abs.听2 UStG (vgl. Senatsurteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, m.w.N.)-- einen eigenst盲ndigen Berichtigungsanspruch.
Rz. 17
bb) "R眉ckg盲ngig gemacht" i.S. des 搂听16 Abs.听1 GrEStG ist ein Erwerbsvorgang, wenn 眉ber die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erf眉llenden Rechtsgesch盲fts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die M枚glichkeit zur Verf眉gung 眉ber das Grundst眉ck nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Ver盲u脽erer seine urspr眉ngliche Rechtsstellung wiedererlangt (st盲ndige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 5.听September 2013 II听R听16/12, BFHE 242, 181, BStBl II 2014, 42, und vom 16.听Februar 2005 II听R听53/03, BFHE 209, 158, BStBl II 2005, 495). Erst zu diesem Zeitpunkt entsteht materiell-rechtlich der Anspruch aus 搂听16 GrEStG (vgl. auch Loose in Boruttau, a.a.O., 搂听16 Rz听53; Pahlke, a.a.O., 搂听16 Rz听134).
Rz. 18
Dementsprechend ist der Anspruch aus 搂听16 Abs.听1 GrEStG auch erst zu diesem Zeitpunkt im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu 搂听96 Abs.听1 Nr.听1 InsO vollst盲ndig verwirklicht und damit abgeschlossen.
Rz. 19
b) Im Streitfall ist der Erwerb der mit Bautr盲gervertrag vom 28.听Dezember 2005 verkauften Miteigentumsanteile nach den Feststellungen des FG erst nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens r眉ckg盲ngig gemacht worden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des 搂听16 Abs.听1 GrEStG sind damit --insoweit unstreitig-- erst nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens erf眉llt gewesen. Dementsprechend ist auch der Anspruch aus 搂听16 GrEStG materiell-rechtlich erst nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens entstanden mit der Folge, dass das FA das hier streitige Guthaben aus der Grunderwerbsteuer erst nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist.
Rz. 20
c) Soweit der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589 von anderen Grunds盲tzen ausgegangen ist, h盲lt er daran im Hinblick auf die oben (unter II.1.) dargestellte Rechtsprechung --insbesondere im Hinblick auf die ge盲nderte Senatsrechtsprechung zu 搂听17 Abs.听2 UStG (Senatsurteil in BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36) und zu 搂听14c Abs.听2 UStG (Senatsurteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496; Senatsbeschluss vom 25.听April 2018 VII听R听18/16, BFH/NV 2018, 1289)-- nicht mehr fest.
Rz. 21
d) Aus dem Senatsurteil in BFH/NV 2016, 87 und dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2014, 1088 l盲sst sich kein anderes Ergebnis herleiten; denn auch nach diesen beiden Entscheidungen kommt es f眉r die Anwendung des 搂听96 Abs.听1 Nr.听1 InsO darauf an, ob die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des jeweiligen Anspruchs vor oder nach der Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens erf眉llt sind.
Rz. 22
3. Die Kostenentscheidung beruht auf 搂听135 Abs.听2 FGO.
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Fundstellen
亿兆体育-Index 13001538 |
BFH/NV 2019, 493 |
BFH/PR 2019, 144 |
BStBl II 2019, 329 |
BFHE 2019, 305 |
BB 2019, 724 |
BB 2019, 866 |
DB 2019, 6 |
DB 2019, 769 |
DStR 2019, 10 |
DStRE 2019, 577 |
HFR 2019, 394 |