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Entscheidungsstichwort (Thema)
Postalische Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsaktes an im Ausland ans盲ssigen Verfahrensbeteiligten
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Leitsatz (amtlich)
搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 ist entsprechend auch auf die Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsaktes an den im Ausland ans盲ssigen Verfahrensbevollm盲chtigten eines Beteiligten anzuwenden.
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Normenkette
AO 1977 搂 122 Abs. 2 Nr. 2
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Verfahrensgang
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Tatbestand
Das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt (HZA) hat von der Kl盲gerin und Revisionskl盲gerin (Kl盲gerin) mit Steuer盲nderungsbescheid vom 鈥 Zoll in H枚he von 鈥 DM nacherhoben. Den dagegen von den jetzigen Prozessbevollm盲chtigten und damaligen Verfahrensbevollm盲chtigten der Kl盲gerin, in Belgien ans盲ssigen Rechtsanw盲lten, eingelegten Einspruch wies das HZA mit Einspruchsentscheidung vom 9. Juni 1997 zur眉ck. Die Entscheidung wurde den Verfahrensbevollm盲chtigten in Belgien als Vertreter der Kl盲gerin mit einfachem Brief 眉bermittelt, der am 9. Juni 1997 zur Post aufgegeben wurde und der nach dem auf dem Brief aufgebrachten Eingangsstempel der Verfahrensbevollm盲chtigten diesen am 12. Juni 1997 zuging. Das Finanzgericht (FG) hat die am 8. August 1997 erhobene Klage als unzul盲ssig abgewiesen, weil sie nicht fristgem盲脽 erhoben worden sei. Wegen der Begr眉ndung im Einzelnen wird auf die in der Zeitschrift f眉r Z枚lle + Verbrauchsteuern (ZfZ) 1999, 315 ver枚ffentlichte Entscheidung Bezug genommen.
Mit ihrer Revision wendet sich die Kl盲gerin gegen die Abweisung der Klage durch Prozessurteil. Sie meint 鈥晍usammengefasst鈥, das FG habe 搂 122 der Abgabenordnung (AO 1977) falsch ausgelegt; hilfsweise r眉gt sie eine Verletzung des 搂 55 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
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Die Revision ist begr眉ndet. Der Senat vermag der Auffassung des FG nicht zu folgen, dass die Klage verfristet und damit unzul盲ssig sei.
1. a) Die Frist f眉r die Erhebung der Anfechtungsklage betr盲gt einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung 眉ber den au脽ergerichtlichen Rechtsbehelf (搂 47 Abs. 1 Satz 1 FGO). Gem盲脽 搂 366 AO 1977 ist die Einspruchsentscheidung den Beteiligten bekannt zu geben. F眉r die Bekanntgabe gilt 搂 122 AO 1977 entsprechend. Danach ist die Einspruchsentscheidung grunds盲tzlich demjenigen bekannt zu geben, f眉r den sie bestimmt ist (搂 122 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Sie kann 鈥晈ie im Streitfall geschehen鈥 auch gegen眉ber einem Bevollm盲chtigten bekannt gegeben werden (搂 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Sie ist regelm盲脽ig dem Bevollm盲chtigten bekannt zu geben, wenn dieser 鈥晈ie im Streitfall鈥 von der Kl盲gerin zu ihrer Vertretung im Verwaltungsverfahren bevollm盲chtigt wurde und in dieser Eigenschaft den Einspruch f眉r die Kl盲gerin eingelegt hat (vgl. Bundesfinanzhof 鈥旴FH鈥, Urteil vom 25. Oktober 1963 III 7/60 U, BFHE 77, 764, BStBl III 1963, 600).
搂 122 Abs. 2 AO 1977 begr眉ndet gesetzliche Bekanntgabevermutungen f眉r bestimmte F盲lle, in denen der Steuerverwaltungsakt (hier die Einspruchsentscheidung) durch die Post 眉bermittelt wird. Von den dort genannten beiden F盲llen kommt der in der Nr. 1 genannte nicht in Betracht, weil die Einspruchsentscheidung nicht im Geltungsbereich des Gesetzes, sondern durch die Post an die in Belgien ans盲ssigen Verfahrensbevollm盲chtigten 眉bermittelt worden ist.
b) Anders als das FG meint, ist 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 aber nicht nur auf den Fall anzuwenden, dass die Einspruchsentscheidung dem im Ausland ans盲ssigen Beteiligten durch die Post 眉bermittelt wird. Die Bestimmung muss vielmehr entsprechend auch auf den Fall angewendet werden, dass die Entscheidung den im Ausland ans盲ssigen Verfahrensbevollm盲chtigten des Beteiligten durch die Post 眉bermittelt wird. Dieser Bekanntgabeweg ist, wie das FG zutreffend ausgef眉hrt hat, zul盲ssig, wenn die Bevollm盲chtigten wie im Streitfall in Belgien ans盲ssig sind, weil sich u.a. Belgien damit einverstanden erkl盲rt hat, dass deutsche Steuerverwaltungsakte in seinem Gebiet durch die Post 眉bermittelt werden (vgl. Anwendungserlass zur Abgabenordnung (Zoll) Nr. 3 zu 搂 122, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung 鈥昖SF鈥 S 03 00).
Richtig ist zwar, dass der Wortlaut des 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 die postalische 脺bermittlung des Verwaltungsaktes an den im Ausland ans盲ssigen Verfahrensbevollm盲chtigten nicht erfasst. Auch aus dem Aufbau der Vorschrift ergibt sich, dass in 搂 122 Abs. 1 und 2 AO 1977 deutlich zwischen dem Beteiligten (搂搂 78, 359 AO 1977) einerseits und dem Bevollm盲chtigten (搂 80 AO 1977) andererseits unterschieden wird. So behandelt 搂 122 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 die Bekanntgabe an den Beteiligten, w盲hrend Satz 3 dieses Absatzes die M枚glichkeit der Bekanntgabe an den Bevollm盲chtigten vorsieht. 搂 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 regelt den Vermutungstatbestand im Falle der 脺bermittlung durch die Post im Geltungsbereich des Gesetzes ganz allgemein, ohne zwischen dem Beteiligten und dem Bevollm盲chtigten zu unterscheiden. Dagegen bezieht 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 den Vermutungstatbestand im Falle der 脺bermittlung der Einspruchsentscheidung au脽erhalb des Gesetzes ausdr眉cklich nur auf die Bekanntgabe der Entscheidung an den Beteiligten. Hinzu kommt, dass auch 搂 123 AO 1977, der eine Beweisregel f眉r den Zugang von Schriftst眉cken an im Ausland ans盲ssige Empf盲nger aufstellt, deutlich zwischen dem Beteiligten und dem (Empfangs-)bevollm盲chtigten unterscheidet.
Dies rechtfertigt aber nicht den Schluss, dass 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 im Streitfall nicht anzuwenden ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in Bezug auf die postalische 脺bermittlung eines Verwaltungsakts an im Ausland ans盲ssige Verfahrensbevollm盲chtigte eine Gesetzesl眉cke vorliegt, die durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auch auf diesen Fall zu schlie脽en ist.
Die Bestimmung ist durch Art. 1 Nr. 15 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 (BGBl I, 2436) in die AO 1977 eingef眉gt worden. Die Gr眉nde hierf眉r waren, dass einige Staaten die Zusendung von Steuerverwaltungsakten durch die Post zugelassen hatten und damit insoweit das sonst erforderliche aufwendige formelle Zustellungsverfahren zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Ausland durch die wesentlich einfachere postalische 脺bermittlung ersetzt werden konnte. Wegen der zu erwartenden l盲ngeren Postlaufzeiten bei Auslandssendungen sah der Gesetzgeber vor, dass diese Sendungen, anders als in 搂 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 geregelt, erst einen Monat nach der Aufgabe zur Post als zugegangen gelten (vgl. Begr眉ndung zu Art. 1 Nr. 11 des Gesetzentwurfs BTDrucks 10/1636 S. 40). Nur beil盲ufig erw盲hnt die Begr眉ndung, dass sich die Regelung auf im Ausland ans盲ssige Beteiligte bezieht, ohne aber eine etwa notwendige unterschiedliche Regelung f眉r im Ausland ans盲ssige Beteiligte einerseits und im Ausland ans盲ssige Verfahrensbevollm盲chtigte andererseits zu begr眉nden.
Eine Rechtfertigung f眉r eine solch unterschiedliche Behandlung ist 鈥昷edenfalls aus heutiger Sicht鈥 nicht erkennbar. Es mag sein, dass zu dem Zeitpunkt, als die Vorschrift in die AO 1977 eingef眉gt worden ist, F盲lle einer 脺bermittlung von Steuerverwaltungsakten an im Ausland ans盲ssige Bevollm盲chtigte nicht praktisch wurden, weil damals noch zur Hilfeleistung in Steuersachen befugte Bevollm盲chtigte wie Steuerberater oder Rechtsanw盲lte ihren Sitz im Inland haben mussten. Deswegen hat der Gesetzgeber aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht daran gedacht und auch nicht daran denken m眉ssen, Bevollm盲chtigte in der gleichen Weise in die Regelung des 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 einzubeziehen, wie er dies in Absatz 2 Nr. 1 der selben Vorschrift f眉r die postalische Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Inland getan hat. Inzwischen kommt es jedoch infolge des zunehmenden Zusammenwachsens der Mitgliedstaaten der Europ盲ischen Gemeinschaft (EG) und der darin garantierten Niederlassungsfreiheit (Art. 52 ff. des Vertrages zur Gr眉ndung der Europ盲ischen Gemeinschaft; vgl. auch Gerichtshof der Europ盲ischen Gemeinschaften 鈥旹uGH鈥, Urteil vom 12. Juli 1984 Rs 107/83, EuGHE 1984, 2971) immer h盲ufiger vor, dass in Deutschland zur Hilfeleistung in Steuersachen befugte Bevollm盲chtigte ihre Kanzlei bzw. berufliche Niederlassung im Ausland, insbesondere einem anderen Mitgliedstaat der EG haben. Dieser Entwicklung hat der Gesetzgeber z.B. mit der Einf眉gung des 搂 29a in die Bundesrechtsanwaltsordnung durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur 脛nderung des Berufsrechts der Rechtsanw盲lte und Patentanw盲lte vom 13. Dezember 1989 (BGBl I, 2135) und mit der 脛nderung des 搂 40 des Steuerberatungsgesetzes durch Art. 1 Nr. 19 des vierten Gesetzes zur 脛nderung des Steuerberatungsgesetzes vom 9. Juni 1989 (BGBl I, 1062) Rechnung getragen. Dabei hat er aber wohl nicht bedacht, dass nunmehr auch die postalische 脺bermittlung von Steuerverwaltungsakten an im Ausland ans盲ssige Bevollm盲chtigte praktisch werden und eine Regelung wie die f眉r im Ausland ans盲ssige Beteiligte getroffene auch f眉r Verfahrensbevollm盲chtigte notwendig w盲re.
Nachdem rechtlich und praktisch die M枚glichkeit besteht, dass im Ausland ans盲ssige Verfahrensbevollm盲chtigte bestellt werden, ist kein Grund mehr ersichtlich, weshalb bei der postalischen 脺bermittlung von Steuerverwaltungsakten ins Ausland zwischen der 脺bermittlung an Beteiligte und Verfahrensbevollm盲chtigte unterschiedliche Regelungen gerechtfertigt sein k枚nnten. Denn die postalische 脺bermittlung von Steuerverwaltungsakten in die L盲nder, die dem zugestimmt haben, ist ohne Unterschied sowohl an Beteiligte wie an Verfahrensbevollm盲chtigte m枚glich. Abgesehen von l盲ngeren Postlaufzeiten besteht deshalb insoweit kein Unterschied mehr zwischen der postalischen 脺bermittlung von Steuerverwaltungsakten im Inland und im Ausland. Da der Gesetzgeber aber im Falle der postalischen 脺bermittlung solcher Verwaltungsakte im Inland (搂 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) zwischen Beteiligten und Verfahrensbevollm盲chtigten keinen Unterschied gemacht hat, ist davon auszugehen, dass er einen solchen Unterschied auch im Falle der postalischen 脺bermittlung ins Ausland nicht gemacht h盲tte, wenn damals schon die Bestellung von im Ausland ans盲ssigen Bevollm盲chtigten praktisch vorgekommen w盲re, denn der die Sonderregelung rechtfertigende Grund, die l盲ngeren Postlaufzeiten, trifft bei im Ausland ans盲ssigen Beteiligten und Bevollm盲chtigten gleicherma脽en zu. Darin, dass die im Ausland ans盲ssigen Verfahrensbevollm盲chtigten von der Regelung des 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 nicht erfasst werden, liegt somit eine Gesetzesl眉cke (vgl. dazu grunds盲tzlich Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., 搂 4 AO 1977 Rdnr. 116), f眉r die der Gesetzgeber, h盲tte er diese Fallgestaltung in Betracht gezogen, vern眉nftigerweise eine entsprechende Regelung, wie sie f眉r die am Verfahren Beteiligten besteht, getroffen h盲tte. Der Senat sieht sich daher befugt, diese L眉cke im Wege der Rechtsfortbildung durch entsprechende Anwendung des 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 auch auf den Fall der postalischen 脺bermittlung von Steuerverwaltungsakten an im Ausland ans盲ssige Verfahrensbevollm盲chtigte zu schlie脽en (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., Rdnr. 120).
Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei den in 搂 122 Abs. 2 AO 1977 geregelten Zugangsvermutungen um Ausnahmevorschriften zu der allgemeinen Regel handelt, dass der Absender den Zugang seiner Mitteilungen beim Empf盲nger nachweisen muss. Auch Ausnahmevorschriften sind grunds盲tzlich der Rechtsfortbildung zug盲nglich (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., Rdnr. 122). Sie kann durch Analogie geschehen, wenn sich wie im Streitfall aus der bestehenden Regelung entnehmen l盲sst, dass sie auch auf den nicht geregelten Fall ausgedehnt worden w盲re, wenn der Gesetzgeber diesen Fall in Betracht gezogen h盲tte. Davon ist wie schon gesagt auszugehen, weil 搂 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 keinen Unterschied zwischen der postalischen 脺bermittlung an Beteiligte und Bevollm盲chtigte macht und f眉r eine solche Unterscheidung im Falle der postalischen 脺bermittlung von Steuerverwaltungsakten ins Ausland ebenfalls kein Grund ersichtlich ist.
2. Da die Einspruchsentscheidung am 9. Juni 1997 zur Post aufgegeben wurde, ist in entsprechender Anwendung von 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 zu vermuten, dass sie den in Belgien ans盲ssigen Bevollm盲chtigten der Kl盲gerin am 9. Juli 1997 zugegangen ist (搂 108 Abs. 1 AO 1977, 搂 187 Abs. 1, 搂 188 Abs. 2 des B眉rgerlichen Gesetzbuchs) und damit die am 8. August 1997 beim FG eingegangene Klage innerhalb der in 搂 47 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen Monatsfrist erhoben worden ist. Unbeachtlich ist, dass die Einspruchsentscheidung den Bevollm盲chtigten der Kl盲gerin laut dem darauf angebrachten Eingangsstempel bereits am 12. Juni 1997 zugegangen ist. Denn 搂 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gilt auch wenn die Einspruchsentscheidung fr眉her als einen Monat nach Aufgabe der Sendung zur Post zugegangen ist. Insoweit enth盲lt die Vorschrift eine (unwiderlegliche) Fiktion, weil sie nur die Darlegung zul盲sst, dass der Verwaltungsakt nicht oder zu einem sp盲teren Zeitpunkt zugegangen ist.
3. Da das FG zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt ist und durch Prozessurteil ohne Pr眉fung der Sache entschieden hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zur眉ckzuverweisen (搂 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
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Fundstellen
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BFH/NV 2000, 1006 |
BStBl II 2000, 334 |
BFHE 191, 202 |
BFHE 2001, 202 |
BB 2000, 1283 |
DStRE 2000, 720 |
HFR 2000, 625 |
StE 2000, 368 |