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Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerforderungen als Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung
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Leitsatz (NV)
Ein Steueranspruch ist dann eine Insolvenzforderung i.S. von 搂 38 InsO, wenn er vor der Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens in der Weise begr眉ndet worden ist, dass der zu Grunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung der Steuerforderung f眉hrt, bereits vor Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Auf die Entstehung des Steueranspruchs i.S. von 搂 38 AO kommt es nicht an.
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Normenkette
AO 搂 38; FGO 搂 69; InsO 搂搂听38, 129, 143
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Verfahrensgang
FG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 08.08.2007; Aktenzeichen 11 V 11178/07) |
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Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist die Insolvenzverwalterin 眉ber das Verm枚gen des X. Im Rahmen der Insolvenzverwaltung verfolgte sie Anfechtungsanspr眉che und zog das durch die anfechtbaren Rechtshandlungen Erlangte zur眉ck zur Masse.
Mit Bescheid vom 20. M盲rz 2007 setzte der Antragsgegner und Beschwerdef眉hrer (das Finanzamt --FA--) gegen眉ber der Antragstellerin die Einkommensteuer 2003 des X fest. Einen Betrag in H枚he von 鈥 鈧 behandelte das FA als Masseverbindlichkeit mit der Begr眉ndung, die Entstehung dieser Steuerbetr盲ge resultiere aus insolvenzbehafteten Eink眉nften und sei zeitlich nach Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Auch die Einkommensteuer 2004 forderte das FA mit Bescheid vom 8. Mai 2007 in H枚he von 鈥 鈧 als Masseverbindlichkeit.
Gegen diese Einkommensteuerfestsetzungen legte die Antragstellerin Einspr眉che ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das FA mit Bescheid vom 31. Mai 2007 f眉r beide Streitjahre ablehnte.
Das Finanzgericht (FG) gab dem AdV-Antrag statt. Im Streitfall w眉rden ernstliche Zweifel an der Rechtm盲脽igkeit der angegriffenen Einkommensteuerbescheide bestehen. Pers枚nliche Verbindlichkeiten, die der Schuldner vor Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens begr眉nde, seien Insolvenzforderungen i.S. von 搂 38 der Insolvenzordnung (InsO). Zu den Masseverbindlichkeiten geh枚rten hingegen Verbindlichkeiten, die durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begr眉ndet werden. Begr眉ndet i.S. des 搂 38 InsO sei ein Anspruch, wenn im Zeitpunkt der Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens das Schuldverh盲ltnis bereits bestehe und der schuldrechtliche Grund schon geschaffen sei; dann gehe die sp盲ter entstehende Forderung auf das vorinsolvenzrechtliche Verhalten des Schuldners zur眉ck und sei als Insolvenzforderung einzuordnen. Nur der "Schuldrechtsorganismus", der die Grundlage der Forderung bilde, nicht die Forderung selbst, m眉sse vor Er枚ffnung der Insolvenz geschaffen sein. F眉r die Behandlung von Steueranspr眉chen ergebe sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung sei, wenn der zu Grunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueranspr眉che f眉hre, vor Insolvenzer枚ffnung verwirklicht worden sei (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. September 1993 VII R 119/91, BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83; BFH-Beschluss vom 23. April 2007 VII B 310/06, BFH/NV 2007, 1452). Ohne Bedeutung sei, zu welchem Zeitpunkt hieraus Steueranspr眉che entst眉nden.
搂 38 InsO nehme die Zuordnung einzelner Anspr眉che zu dieser Schuldenmasse in der Weise vor, dass aufgrund wertender Betrachtung zu entscheiden sei, ob der Anspruch eine solche Beziehung zu dem vorinsolvenzrechtlichen Verm枚gen aufweise, dass es gerechtfertigt sei, diesen Anspruch (nur) aus diesem Verm枚gen als Haftungssumme zu befriedigen. Dies sei der Fall, wenn vor Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens ein Sachverhalt eingetreten sei, der eine sachliche und verm枚gensm盲脽ige Verbindung zwischen dem (sp盲ter) entstehenden Anspruch und der vorinsolvenzrechtlichen Verm枚gensmasse herstelle. Die vorinsolvenzrechtliche Verm枚gensmasse m眉sse wirtschaftlich schon mit dem sp盲ter entstehenden Anspruch "belastet" sein. Es komme nur auf diese wertende, sachlich-verm枚gensm盲脽ige Beziehung zu der vorinsolvenzrechtlichen Verm枚gensmasse an, nicht aber darauf, wann und aufgrund welcher Tatbestandsverwirklichung Steueranspr眉che entst眉nden.
Im Streitfall sei der Steueranspruch nicht erst durch die Anfechtungshandlung der Antragstellerin, sondern bereits vor der Insolvenzer枚ffnung begr眉ndet worden. Schon mit der Vollendung eines Anfechtungstatbestandes sei aufschiebend bedingt durch die Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters entstanden. Durch Aus眉bung der Anfechtungsbefugnis, die kein Gestaltungsrecht, sondern die Geltendmachung der Rechtsfolgen aus der Anfechtung bedeute, werde die R眉ckgew盲hrverbindlichkeit i.S. von 搂 143 InsO begr眉ndet, auf deren Grundlage das durch die anfechtbare Handlung des Schuldners Ver盲u脽erte, Weggegebene oder Aufgegebene zur眉ckgew盲hrt werden m眉sse; die R眉ckgew盲hr habe zur Insolvenzmasse zu erfolgen. Damit bestehe eine insolvenzrechtliche Verbindung der vorinsolvenzrechtlichen Verm枚gensmasse mit dem sp盲ter entstehenden Steueranspruch, der folglich nur die Insolvenzmasse belasten k枚nne.
Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA. Es beantragt, den FG-Beschluss aufzuheben und den Antrag auf AdV abzuweisen.
Der Einkommensteuer liege das Prinzip der Abschnittsbesteuerung zu Grunde. Daraus folge, dass f眉r jeden Steuerabschnitt die Grundlagen der Besteuerung neu festzustellen und damit Sachverhalt wie Rechtslage neu zu pr眉fen seien. Der Gewinn werde nach 搂 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt. F眉r diese Gewinnermittlungsart gelte das Zu- und Abflussprinzip nach 搂 11 EStG. In den Jahren 2003 und 2004 seien der Antragstellerin aufgrund der gegen眉ber den Insolvenzgl盲ubigern erkl盲rten Anfechtungen nach 搂搂 129 ff. InsO Einnahmen aus Anfechtungsanspr眉chen tats盲chlich zugeflossen. Folglich seien diese Betr盲ge in der Einnahmen-脺berschussrechnung als Ertrag zu erfassen. Der entsprechende Betriebsausgabenabzug sei im Rahmen der Gewinnermittlung nach 搂 4 Abs. 3 EStG zutreffend bereits im Jahr des tats盲chlichen Abflusses nach 搂 11 Abs. 2 EStG ber眉cksichtigt worden.
Der Rechtsgrund f眉r die Vereinnahmung von Anfechtungsanspr眉chen sei nicht bereits vor Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe im Urteil vom 1. Februar 2007 IX ZR 96/04 (BGHZ 171, 38) ausdr眉cklich klargestellt, dass Anfechtungsrechte erst mit der Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens entst眉nden. Dies f眉hre im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung im Streitfall zur Entstehung von Masseanspr眉chen.
Das FG f眉hre zutreffend aus, dass nach 搂 143 InsO die R眉ckgew盲hr des anfechtbar Erlangten an die Insolvenzmasse zu erfolgen habe und der entsprechende Steueranspruch nur die Insolvenzmasse belasten k枚nne. Aus dieser richtigen Feststellung ziehe das FG dann jedoch den falschen Schluss, wenn es meine, das FA habe die Steuerforderung zu Unrecht als Masseverbindlichkeit angesehen.
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II. Die gem盲脽 搂 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde ist zul盲ssig, aber unbegr眉ndet.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Pr眉fung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschlie脽ende Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtm盲脽igkeit der Einkommensteuerfestsetzungen 2003 und 2004 ernstliche Zweifel bestehen, so dass die AdV gem盲脽 搂 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO zu Recht erfolgt ist.
1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtm盲脽igkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (搂 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des BFH bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Pr眉fung des Bescheides neben den f眉r die Rechtm盲脽igkeit sprechenden Umst盲nden gewichtige, gegen die Rechtm盲脽igkeit sprechende Gr眉nde zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Entscheidungen vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372, und vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814, m.w.N.).
2. Im Streitfall begegnet es nach Auffassung des beschlie脽enden Senats keinen rechtlichen Bedenken, dass das FG ernstliche Zweifel an der Rechtm盲脽igkeit der angegriffenen Einkommensteuerfestsetzungen 2003 und 2004 bejaht hat.
a) Zu Recht hat das FG bei der Pr眉fung der Frage, ob die Einkommensteuerfestsetzungen 2003 und 2004 zu Insolvenzforderungen i.S. des 搂 38 InsO f眉hren, darauf abgestellt, ob das FA einen im Zeitpunkt der Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens begr眉ndeten Verm枚gensanspruch gegen den Schuldner hatte. Begr眉ndet in diesem Sinne ist ein Anspruch, wenn das Schuldverh盲ltnis vor Verfahrenser枚ffnung bestand, selbst wenn sich hieraus eine Forderung erst nach Verfahrenser枚ffnung ergibt (vgl. BGH-Beschluss vom 7. April 2005 IX ZB 129/03, Zeitschrift f眉r das gesamte Insolvenzrecht 2005, 537, m.w.N. aus der Rechtsprechung und Literatur).
b) Schon die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung nach den Vorschriften der Insolvenzordnung und nicht erst die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter begr眉ndet --bereits nach dem Wortlaut der Regelung in 搂 143 Abs. 1 Satz 1 InsO-- ein Recht auf R眉ckgew盲hr, f眉r die nach 搂 143 Abs. 1 Satz 2 InsO grunds盲tzlich die Vorschriften 眉ber die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empf盲nger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, entsprechend gelten (Beermann in H眉bschmann/Hepp/Spitaler, 搂 251 AO Rz 358). Das Anfechtungsrecht nach 搂搂 129 ff. InsO entsteht ohne Weiteres mit der Vollendung des Anfechtungstatbestandes (M眉nchKommInsO-Kirchhof, 搂 129 Rz 186), jedoch als spezielle Insolvenzanfechtung aufschiebend bedingt durch die Insolvenzer枚ffnung (M眉nchKommInsO-Kirchhof, 搂 143 Rz 9). Die --nicht formbed眉rftige-- Willensentscheidung des Insolvenzverwalters macht den R眉ckgew盲hranspruch durchsetzbar (搂 143 InsO). Die Aus眉bung der Anfechtungsbefugnis ist kein Gestaltungsrecht, sondern bedeutet lediglich das Geltendmachen der Rechtsfolgen, die sich im jeweiligen Einzelfall aus der von selbst bestehenden Anfechtbarkeit ergeben (M眉nchKommInsO-Kirchhof, 搂 129 Rz 194).
c) F眉r die Frage, ob Steuerforderungen Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten sind, ist entscheidend, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Es kommt nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden ist, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grunds盲tzen der Rechtsgrund f眉r den Anspruch bereits gelegt war (BFH-Beschluss vom 6. Oktober 2005 VII B 309/04, BFH/NV 2006, 369; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. Dezember 1998 IV A 4 -S 0550- 28/98, BStBl I 1998, 1500 Tz 4.2). Damit sind Steuerforderungen Insolvenzforderungen, die im Zeitpunkt der Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens zwar noch nicht i.S. des 搂 38 der Abgabenordnung entstanden, wohl aber insolvenzrechtlich begr眉ndet sind. Hierf眉r k枚nnen auch zivilrechtliche Umst盲nde ma脽gebend sein. Daher ist ein Steueranspruch immer dann Insolvenzforderung i.S. des 搂 38 InsO, wenn er vor Er枚ffnung des Verfahrens in der Weise begr眉ndet worden ist, dass der zu Grunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung der Steuerforderung f眉hrt, bereits vor Er枚ffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Rechtsgrund f眉r die Entstehung einer Forderung ist der sie begr眉ndende Tatbestand, der sog. Schuldrechtsorganismus (Waza/Uhl盲nder/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 7. Aufl. 2007, Rz 484; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 55).
d) Da bereits die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung den R眉ckgew盲hranspruch begr眉ndet (vgl. oben II.2.b), ist in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grunds盲tzen auch der Rechtsgrund f眉r den Steueranspruch gelegt. Nicht die Anfechtungshandlung der Antragstellerin begr眉ndet den Steueranspruch. Vielmehr ist dieser bereits vor Insolvenzer枚ffnung begr眉ndet worden und --wie das FG zutreffend darlegt-- lediglich aufschiebend bedingt abh盲ngig von der Eink眉nfteerzielung in Gestalt der insolvenzrechtlichen R眉ckgew盲hr. Das FG hat damit zutreffend ernstliche Zweifel an der Rechtm盲脽igkeit der angefochtenen Steuerfestsetzungen bejaht.
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Fundstellen
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BFH/NV 2008, 925 |