Marketing und Nachhaltigkeit: Let’s change the narrative!

Welches nachhaltige Potenzial steckt eigentlich im Marketing? Zahlreiche Werkzeuge für zukunftsfähige Strategien in Zeiten der Krise und des Wandels liefert das Buch „Superpower Sustainable Marketing“. Im heutigen Auszug: Wie wir das Narrativ verändern.

A man who stops advertising to save money is like a man who stops a clock to save time.


Henry Ford

Kommunikation ist Teil unserer Gesellschaft und Teil unserer Kultur. Sie erschafft unsere Kultur und ist damit unsere Zukunft. Die gesamte Kreativwirtschaft prägt, was wir übergeordnet Zeitgeist und spezifische Popkultur nennen, und trägt uns vom Heute in unser Morgen: „Die schöpferischen und gestaltenden Menschen wie Autoren, Filmemacher, Musiker, bildende und darstellende Künstlerinnen und Künstler, Architekten, Designer und die Entwickler von Computerspielen schaffen künstlerische Qualität, kulturelle Vielfalt, kreative Erneuerung und stehen zugleich für die wirtschaftliche Dynamik einer auf Wissen und Innovation basierenden Ökonomie“, schreibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz über die Kultur- und Kreativwirtschaft. Und ja, auch wir Marketingexpert:innen gehören dazu.

Im Marketing haben wir die Macht, Menschen eine Zukunft vorzustellen. Ein guter Geschichtenerzähler spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Kooperationen und kollektivem Handeln sowie bei der Veränderung von Lebensstilen und Verhaltensweisen. Narrative beeinflussen unsere Konsumentscheidungen, die wiederum das Wohlergehen unserer Gesellschaft direkt beeinflussen – zum Guten oder Schlechten.

Nachhaltigkeit und die breite Masse

Schauen wir auf die Nachhaltigkeitskommunikation und ihren bisherigen Einfluss auf die Transformation unserer Gesellschaft, so sehen wir vor allem seit 2020 immer mehr Beispiele, die es geschafft haben, nicht nur die ökologische Nische zu bewegen – also nicht nur die Menschen, die ohnehin bereit sind, ihr Verhalten für eine nachhaltigere Lebensweise zu verändern und tiefer ins Portemonnaie zu greifen. Inzwischen erreicht die Kommunikation zum Glück auch die breite Masse, also diejenigen, für die Nachhaltigkeit eher nicht verhaltensprägend wichtig ist. Immerhin wissen die allermeisten von uns heute, dass Schokolade noch immer mit Ausbeutung verbunden ist (danke, Tony’s Chocolonelys!) oder Hafermilch die für das Klima bessere Alternative ist (danke, Oatly!).

Dieser kommunikative Marketing Shift der transformativen Themen aus der Ökonische in den Mainstream ist notwendig, um nötige gesellschaftliche Kipppunkte zu erreichen. Mainstream ist hier ausdrücklich positiv gemeint: Denn er meint Menschen wie dich und mich, die vielen rechtschaffenden Menschen, die die breite Masse und ihren kulturellen Geschmack repräsentieren, und nicht etwa jenen von Subkulturen.

Mit der Green Claims Directive klopft dazu eine neue EU-weite Richtlinie an unsere Tür, die „Greenwashing“ und „Purposewashing“ ab 2026 noch strikter vermeiden will, um einen gerechteren und transparenteren Markt zu schaffen, der wirklich guten Marken auch eine erkennbar gute Stimme gibt. Diese neuen rechtlichen Vorgaben beinhalten noch strengere Kommunikationsauflagen, als wir sie heute, zumindest in Deutschland, schon mit dem Gesetz für unlautere Werbung (UWG) haben, sodass sie wiederum Einfluss auf unsere Narrative der Zukunft haben werden.

Kurzum: Es ist viel passiert in den letzten Jahren und auch in den kommenden Jahren wird viel passieren. Schauen wir uns das Schritt für Schritt an, um die Kraft und Magie unserer Narrative für die nötige gesellschaftliche Wende mit allem, was wir heute wissen, richtig einsetzen zu können!

Der Wandel der Narrative hat längst begonnen

Nachhaltigkeitsnarrative befinden sich auf einer ähnlichen Reise wie die Nachhaltigkeit selbst – aus einer Nische und Subkultur in den Mainstream. Die folgende vereinfachte Abbildung beginnt mit den 1990er Jahren, da die Gründung von Bündnis 90/Die Grünen, so wie wir sie heute kennen, am 14.05.1993 in Leipzig einen markanten gesellschaftlichen Anker- und Startpunkt abbildet (auch wenn die westdeutsche grüne Partei bereits auf das Jahr 1980 zurückgeht, das ostdeutsche Bündnis auf das Jahr 1989). In den 1970er und 1980er Jahren wuchs allmählich die wissenschaftliche Erkenntnis, dass natürliche Ressourcen begrenzt sind und dass ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Umdenken stattfinden muss. Das war augenscheinlich für die Subkulturen, die damals jedoch noch bekämpft und als Müslifresser, Ökospinner und Birkenstock-Träger verlacht wurden. Sie kauften in den 1990er Jahren die Produkte von Marken, die heute als „Ökopioniere“ gelten: demeter, Alnatura, Weleda und dm, Bioland oder Birkenstock. 

Damals ging es in den Narrativen um die neue, eigene Identität der ökologischen Nische, die sich aus einer gemeinsamen Überzeugung und echtem Interesse nährte. Daher sahen wir Kommunikation mit großer Informationstiefe, den „typischen“ Ökofarben grün und braun und einem gemeinsamen Vorsatz, die Welt neu zu denken und die bedrohte Natur zu retten.

Aufbruchstimmung mit Fridays for Future

Machen wir einen Sprung zum nächsten markanten Zeitgeschehen, und zwar ins Jahr 2019: dem Höhepunkt der Fridays-for-Future-Bewegung. Wir demonstrieren freitags mit unseren Kindern mit dem Spruch „there is no planet B“ für den Klimaschutz. In den 26 Jahren seit 1993 hat sich die ökologische Nische zum Mainstream entwickelt, die breite Masse hat dazugelernt. In der Kommunikation werden nun einfache, starke Bilder wie der „Earth Overshoot Day“ verwendet, die uns sehr deutlich machen, dass die biologischen Ressourcen unserer Erde jedes Jahr früher aufgebraucht sind, und wir dieses metaphorische Konto regelmäßig überziehen. 

Es geht immer noch darum, dass wir gemeinsam eine bessere Welt schaffen wollen, aber die Narrative werden emotionaler, plakativer und weniger belehrend. Auch diese Entwicklung spiegelt sich in der Kommunikation bzw. wird von ihr getrieben. Es ist die Zeit, in der große Kommunikationspioniere wie Oatly mit ihrem Superbowl-Spot 2021 („Wow no cow!“), Tony’s Chocolonely’s mit ihrer bunten, lebendigen, plakativen und humorvollen Marke und Chipotle Mexican Grill mit ihrer „Food with Integrity“-Story ökologische und soziale Nachhaltigkeit neu und mitreißend erzählen.

Dank dieser Pioniere wurde Nachhaltigkeitskommunikation weniger erklärend, dafür humorvoller, leichter und bunter. Sie setzt mehr Wissen voraus und möchte unterhalten oder – noch treffender – umwerben und berühren. Es sind diese Marken, die früh die Trends aus der Nische erkennen und sie mit dieser neuen Leichtigkeit bewusst in den Mainstream skalieren wollen, um zu wachsen. Was sie auch tun: Oatly gewinnt im Verdrängungswettbewerb mit seinen breiten Narrativen in kürzester Zeit überall Regalflächen und Tony’s wird schnell Marktführer in seinem Heimatland Niederlande gegen die großen Konzernen Mars, Mondelez und Nestlé. In diesen Jahren ist es beeindruckend zu sehen, wie sie den richtigen Zeitpunkt abpassen, um mit der „Mainstreamisierung“ neuer ökologischer und sozialer Werte in kürzester Zeit Marktanteile von alten Platzhirschen zu gewinnen.

Die Kommunikation der Ökopioniere

Aber betrachten wir noch einmal die Anfänge: Erste Ökopionier-Beispiele aus den 1970ern zeigen zum Beispiel Birkenstock mit dem Launch der ersten Kork-Clocks oder spätere internationalere Anzeigen aus den 80ern – gemein sind ihnen sehr viele Hintergrundinformationen. 

Prägende Beispiele der Nachhaltigkeitskommunikation der nachfolgenden Ära sind die Kampagnen von Alnatura, demeter und dm: Mit seiner Biobauern-Initiative unterstützt Altnatura deutschlandweit Bauern bei der Umstellung auf ökologischen Landbau. Für „Gemeinsam Boden gut machen“ wurde 2015 eine Anzeigenkampagne mit Themen-Highlights wie Wasser, Bienen/Artenvielfalt und Klima beworben. Die Kampagne spielt mit den damals dominanten Codes grün-braun, einem Produkt-/Naturfokus und aufklärenden Long Copies, die viel Interesse voraussetzen. Die demeter-Anzeigen des Jahres 2017 sollen den Menschen die Vorteile der biodynamischen Wertschöpfungskette mit 20 Fakten zur biologischen Landwirtschaft näherbringen – eine sehr rationale, erklärende Kampagne, die sich auch noch der grün-braunen Farbwelt der Ökopioniere bedient. Und ein dm-Anzeigenmotiv aus dem Jahr 2010 gehört zur Kampagne „dm, weil…“ und spielt mit der Selfieoptik der Kund:innen der Drogeriekette und ist im damals kategorietypischen rationalen, erklärenden Framework konzipiert.

Ganz anders die Schlüsselszene in der Nachhaltigkeitskommunikation, die aus dem Superbowl Spot der Hafermilch-Marke Oatly aus dem Jahr 2021 stammt: Hier sitzt CEO Tony Peterson in einem Haferfeld und tut nichts, außer aus tiefstem Herzen und extra schief „Wow no cow!“ auf seinem Keyboard zu schmettern. 30 Sekunden lang. Ohne zu erklären, aufzuklären oder zu erziehen, warum Hafermilch eigentlich besser ist als Kuhmilch. Stattdessen herrlich schräg und kombiniert mit einem realtime Social-Media-Stunt. Oatly läutet hiermit für einige Jahre eine neue Ära der Nachhaltigkeitskommunikation ein, die mit viel Leichtigkeit und Humor arbeitet und erstmals Wissen voraussetzt, statt aufzuklären.


Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Superpower Sustainable Marketing“, das 2025 bei erschienen ist.


Über die Autorinnen

Birgit Berthold-Kremser ist Chief Marketing Officer und Sustainability Executive und revitalisierte erfolgreich globale Premium-Brands wie Siemens, Swarovski und die Omnichannel-Retailer-Gruppe Peek&Cloppenburg. Sie gilt als anerkannte Purpose-Expertin und Transformatorin und ist eine der Anchorwomen des Institute for Sustainable Leadership (CISL Alumni Network) der University of Cambridge. Ihr gepaartes Wissen in Marketing und Nachhaltigkeit macht sie zu einer gefragten Expertin und Speakerin.

Stefanie Kuhnhen ist Chief Strategy Officer bei Serviceplan und ausgewiesene Expertin für Marketing und Nachhaltigkeit. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. als Frau des Jahres 2016 beim Horizont Award. Mit ihrer strategischen Vision prägte sie Marken wie IKEA und EDEKA über Jahrzehnte. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Förderung nachhaltiger Unternehmensführung. Bei Serviceplan entwickelte sie „TheGoodLine“, ein wegweisendes Angebot im Bereich nachhaltiges Marketing. Zudem publiziert sie regelmäßig zu diesen Themen.

Franziska Mozart berichtet seit vielen Jahren über die Marketing- und Medien-Branche. Die freie Journalistin beschäftigt sich am liebsten mit Nachhaltigkeit und Digitalisierung und am allerliebsten mit der Schnittstelle dieser beiden Bereiche. Ihr journalistisches Handwerkszeug lernte sie bei der Fachzeitschrift Werben & Verkaufen (W&V), für die sie aktuell den Green CMO Award betreut. Sie betreibt einen Newsletter zum Thema Green Marketing und gilt als Expertin zum Thema Nachhaltigkeitsmarketing.



Schlagworte zum Thema:  Marketing, Nachhaltigkeit, Unternehmen