Leitsatz
Hat eine Kapitalgesellschaft ihren gesamten Grundbesitz einen Tag vor Ablauf des Erhebungszeitraums ("zu Beginn des 31.12.") veräußert, kann sie die sogenannte erweiterte Kürzung nach §9 Nr.1 Satz2 des Gewerbesteuergesetzes nicht in Anspruch nehmen, da sie in diesem Fall nicht ausschließlich grundstücksverwaltend tätig war.
Normenkette
§ 9 Nr. 1 Sätze 1 und 2 GewStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine 2013 gegründete GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Grundbesitz einschließlich der Durchführung von Baumaßnahmen auf fremdem Grundbesitz ist. Sie erwarb im Jahr 2013 ein Immobilienobjekt, das sie im Folgejahr veräußerte. Ein weiteres im Jahr 2015 erworbenes Immobilienobjekt G veräußerte sie 2016. Im Vertrag war bestimmt, dass der Übergang von Nutzen und Lasten "am Beginn des 31.12.2016" erfolgt. Die Klägerin verfügte über zwei Bankkonten. Eines nutzte sie zur Verwaltung des Immobilienobjekts G, das andere als Geschäftskonto, auf das der Veräußerungspreis für das Immobilienobjekt G gezahlt wurde und von dem das damit zusammenhängende Darlehen einschließlich einer Vorfälligkeitsentschädigung getilgt wurde. Beide Konten wiesen am 31.12.2016 Guthaben aus. In der GuV 2016 erklärte die Klägerin Erlöse aus dem Objektverkauf. Zinserträge wurden nicht erzielt. Für den Gewinn aus Gewerbebetrieb machte die Klägerin die erweiterte Kürzung gemäß §9 Nr.1 Satz2 GewStG geltend, welche das FA versagte. Der dagegen erhobenen Klage gab das FG (FG Münster, Urteil vom 27.10.2022, 10K3572/18G, - Index 15563963) statt und setzte den Gewerbesteuermessbetrag auf 0EUR fest.
Entscheidung
Der BFH hob auf die Revision des FA die Entscheidung des FG auf, da die Klägerin am 31.12.2016 vor Ablauf des Erhebungszeitraums ("zu Beginn des 31.12.2016") das letzte Grundstück veräußert hatte, danach noch fortbestand und nur noch nicht begünstigte Tätigkeiten ausübte. Einer weiteren Ausweitung des Ausnahmefalls der juristischen Sekunde (technischen Minute) auf einen ganzen Tag erteilte der BFH eine Absage. Da das FA der Klägerin zu Unrecht auch die einfache Kürzung nicht gewährt hatte, gab der BFH der Klage insoweit statt.
Hinweis
1. Gemäß §9 Nr.1 Satz1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2% des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes gekürzt (sog. einfache Kürzung). Alternativ kann nach §9 Nr.1 Satz2 GewStG bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen, auf Antrag die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags gekürzt werden, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (sog. erweiterte Kürzung).
2. Voraussetzung für die Gewährung der erweiterten Kürzung ist, dass das Unternehmen – abgesehen von nach der Rechtsprechung als unschädlich angesehenen Nebentätigkeiten und den in §9 Nr.1 Satz2 und 3 GewStG zugelassenen Ausnahmen – ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt. Die Verwaltung eigenen Kapitalvermögens ist nur dann unschädlich, wenn sie neben der Verwaltung eigenen Grundbesitzes stattfindet. Wird ausschließlich Kapitalvermögen verwaltet, liegen die Voraussetzungen der erweiterten Kürzung nicht vor.
3. Der Ausschließlichkeitsgrundsatz hat eine qualitative, quantitative und zeitliche Dimension. Die zeitliche Dimension besagt, dass der Unternehmer der begünstigten Tätigkeit während des gesamten Erhebungszeitraums nachgehen muss.
4. Der Erhebungszeitraum für die GewSt ist grundsätzlich das Kalenderjahr (§14 Satz2 GewStG). Besteht die GewSt-Pflicht nicht während des ganzen Kalenderjahrs, so tritt nach §14 Satz3 GewStG an die Stelle des Kalenderjahrs der Zeitraum der Steuerpflicht (abgekürzter Erhebungszeitraum). Insoweit endet die Steuerpflicht der Kapitalgesellschaft jedoch erst, wenn sie jegliche Tätigkeit einstellt, also nicht nur die eigentliche (werbende) Tätigkeit, sondern auch die Verwertungstätigkeit im Rahmen der Abwicklung, die ihrerseits mit der letzten Abwicklungshandlung endet.
5. An der zeitlichen Ausschließlichkeit fehlt es, wenn ein Unternehmer das letzte oder einzige Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums veräußert und danach nur noch anderweitige Tätigkeiten ausübt. Insoweit hat der BFH nur eine "technisch bedingte" Ausnahme bei einer Veräußerung zum 31.12., 23:59 Uhr, zugelassen (BFH, Urteil vom 11.8.2004, I R 89/03, BFH/NV 2004, 1730, -Index 1252093).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.10.2024 – IIIR1/23