Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütungsansprüche in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Aussetzung des Rechtsstreits in Abwägung zwischen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und dem Beschleunigungsgebot des gerichtlichen Verfahrens
Leitsatz (redaktionell)
Ist in einem Parallelverfahren eine Verfassungsbeschwerde anhängig, kann in entsprechender Anwendung des § 148 Absatz 1 ZPO eine Aussetzung der Verhandlung erfolgen, wenn dies in Abwägung zwischen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und dem Beschleunigungsgebot des § 9 Absatz 1 ArbGG sowie zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des Verfahrens der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Absatz 1 Nr. 4a GG unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien und der Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint.
Erzeugt die vereinsrechtliche Dienstpflicht gemessen am Maßstab des § 611a Absatz 1 BGB eine Verbindlichkeit, die einer arbeitsvertraglichen Pflicht gleichkommt, steht der zwingende Charakter des Arbeitsrechts der Annahme entgegen, das Vereinsmitglied werde außerhalb eines Arbeitsverhältnisses tätig. Das daraus abzuleitende Gebot zur Nutzung der arbeitsrechtlichen Form führt grundsätzlich zu einem Verbot, die Pflicht zur Erbringung fremdbestimmter, weisungsgebundener Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit in anderer rechtlicher Form als der eines Arbeitsvertrags unter Anwendung des arbeitsrechtlichen Schutzregimes zu vereinbaren. Durch rechtliche Gestaltung darf nicht eine arbeitsvertragsgleiche Verpflichtung zur Arbeitsleistung geschaffen werden, ohne dem Dienstleistenden den arbeitsrechtlichen Schutz einzuräumen.
Normenkette
MiLoG §§1, 22; BGB § 611a; EFZG § 3; BUrlG § 11; GG Art.4, 140; WRV Art. 137; BGB §§387, 389; ZPO §§148, 253, 394
Verfahrensgang
ArbG Detmold (Entscheidung vom 11.10.2023; Aktenzeichen 2 Ca 906/22) |
Tenor
1. Der Aussetzungsantrag des Beklagten wird abgelehnt.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des ArbG Detmold vom 11.10.2023, Az. 2 Ca 906/22 teilweise - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.648,25 Euro brutto und 16.253,57 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.12.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 32 % und der Beklagte zu 68 %.
3. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen der Kläger zu 16% und der Beklagte zu 84%.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 19.09.2021.
Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in B, der unter anderem C-Kurse verschiedener Richtungen des C sowie Meditations- und D-Seminare anbietet, C lehrer ausbildet, ca. 80 (nach Beklagtenvortrag) bzw. 100 (nach Klägervortrag) Stadtcenter betreibt und vier E (in B, im F, an der G und im H) unterhält. Er nimmt für sich in Anspruch, eine Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 4 und 140 des Grundgesetzes zu sein, was zwischen den Parteien streitig ist.
Die Satzung des Beklagten lautete im streitgegenständlichen Zeitraum auszugsweise wie folgt:
"ʰä
"A", die "Wissenschaft des C", hat sich in Indien in vielen Jahrhunderten entwickelt.
Die Weisheit, Übungen und Techniken des C können gerade im Leben des modernen westlichen Menschen sehr wertvoll sein. Die Wissenschaft des C in ihrem gesamten Spektrum umfasst Techniken auf den Gebieten der Gesundheitsvorsorge, Heilung, Körper- und Energie-Arbeit, Psychologie, Selbstfindung, Selbstverwirklichung und der spirituellen und religiösen Entwicklung für ein Leben in Harmonie mit den kosmischen Gesetzen.
Der A e.V. steht in der Tradition des indischen Arztes und C Meisters J und bezieht in seiner Arbeit C in seinem ganzen Spektrum sowohl klassischer wie auch moderner Entwicklungen, mit ein. C ist ein ganzheitliches, offenes Übungssystem, das mit Techniken, Weisheitslehren, Philosophiesystemen und Praktiken aus Indien und anderen östlichen und westlichen Kulturen verbunden werden kann und wird. Dazu gehören insbesondere, aber nicht nur, D, Vastu (indische Wohnraumlehre) und andere vedische Wissenschaften; tibetische Medizin, Thai Medizin, Shiatsu, Tai Chi, westliche Schulmedizin, Naturheilkunde und andere Medizinsysteme; Ernährungskunde; Massage, Wellness-Wissenschaften; westliche Psychotherapie und Psychologie einschl. Sterbebegleitung; westliche und östliche Philosophie; Tanz, bildende Kunst, Literatur, Theater und Musik aus verschiedenen Kulturen; spirituelle Praktiken aus Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Taoismus und anderen Weltreligionen; Sport, fernöstliche Selbstverteidigungskünste; Ethnologie, Anthropologie, Geschichtswissenschaft und andere universitäre Wissenschaften. Durch diese Verbindungen kann C auch einen wertvollen Beitrag zur Völkerverständigung und zum Dialog der Kulturen leisten. Im...