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Entscheidungsstichwort (Thema)
脺bergehen eines Beweisantrags
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Leitsatz (NV)
1. Das FG darf auf die von einem Beteiligten beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel 鈥 nach dem insoweit ma脽geblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des FG 鈥 f眉r die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zu Gunsten des Beweisf眉hrenden als wahr unterstellt werden kann, oder wenn das Beweismittel unerreichbar, unzul盲ssig oder absolut untauglich ist.
2. Eine Wahr-Unterstellung rechtfertigt den Verzicht auf die beantragte Zeugenvernehmung nur dann, wenn das FG nicht lediglich die erwartete Aussage, sondern die behauptete Tatsache als wahr unterstellt.
3. Das FG verst枚脽t gegen das Verbot vorweggenommener Beweisw眉rdigung, wenn es die beantragte Zeugenvernehmung ablehnt, weil es aufgrund bestimmter (Indiz-)Tatsachen schon vor Durchf眉hrung der Vernehmung zu der 脺berzeugung gelangt ist, die unterstellte Aussage des Zeugen sei als nicht glaubhaft anzusehen.
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Normenkette
AO 1977 搂 367 Abs. 2 S. 2; FGO 搂听76 Abs. 1 S. 1, 搂听155; ZPO 搂 295 Abs. 1
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Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 13.11.1998; Aktenzeichen 10 K 5253/96) |
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Tatbestand
I. Die Kl盲ger und Revisionskl盲ger (Kl盲ger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Ehegatten. Sie legten, vertreten durch ihren jetzigen Prozessbevollm盲chtigten (A), gegen den Einkommensteuerbescheid f眉r das Streitjahr 1993 Einspruch ein. Mit einem an A adressierten Schreiben vom 7. August 1996 wies der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) auf die M枚glichkeit einer verb枚sernden Einspruchsentscheidung hin. In dieser erh枚hte das FA die Einkommensteuer von 鈥 DM auf 鈥 DM.
Mit ihrer Klage begehrten die Kl盲ger zun盲chst, den Kinderfreibetrag und den Behinderten-Pauschbetrag zu erh枚hen. Am Tag der m眉ndlichen Verhandlung ging beim Finanzgericht (FG) ein Schreiben ein, in dem A mitteilte, er beabsichtige in der m眉ndlichen Verhandlung anstelle der bisher angek眉ndigten Klageantr盲ge die Aufhebung der Einspruchsentscheidung zu beantragen. Das FA habe eine Verb枚serung vorgenommen, ohne den Kl盲gern vorab rechtliches Geh枚r zu gew盲hren, wie es 搂 367 der Abgabenordnung (AO 1977) vorschreibe. Das FA habe in der Einspruchsentscheidung zwar ein Schreiben vom 7. August 1996 erw盲hnt. Dieses Schreiben sei aber weder A noch den Kl盲gern zugegangen. Hierf眉r wurde Beweis durch Zeugnis des A und Vernehmung der Kl盲ger angeboten.
Zur m眉ndlichen Verhandlung erschien f眉r die Beteiligten niemand. Das FG wies die Klage ab. Das Gericht sei 眉berzeugt, dass das Hinweisschreiben vom 7. August 1996, das ausweislich der Steuerakte an diesem Tag zur Post gegeben worden sei, A zugegangen sei. Die beantragte Beweiserhebung durch Parteivernehmung oder durch Vernehmung des A sei nicht erforderlich. Es k枚nne unterstellt werden, dass die Kl盲ger selbst das Schreiben nicht erhalten h盲tten, da es an A adressiert gewesen sei. Es k枚nne auch unterstellt werden, dass A im Falle seiner Vernehmung behaupten werde, das besagte Schreiben nicht erhalten zu haben. Eine solche Behauptung sei angesichts der Umst盲nde des Falles aber nicht glaubhaft. Da in der dem A bekannt gegebenen Einspruchsentscheidung auf das Schreiben Bezug genommen worden sei und A erstmals zwei Jahre nach Ergehen der Einspruchsentscheidung am Tag der m眉ndlichen Verhandlung vorgetragen habe, das Schreiben nicht erhalten zu haben, sei nach der 脺berzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass A diese Behauptung lediglich in den Raum gestellt habe, um das Verfahren zu verz枚gern.
Mit der Revision r眉gen die Kl盲ger Verletzung formellen Rechts. Durch die Ablehnung der Beweiserhebung habe das FG seine Sachaufkl盲rungspflicht und das Recht der Kl盲ger auf Geh枚r verletzt. Das FG habe au脽erdem gegen das Verbot der Vorwegnahme der Beweisw眉rdigung versto脽en.
Die Kl盲ger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zur眉ckzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zur眉ckzuweisen.
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II. Die Revision ist begr眉ndet. Sie f眉hrt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zur眉ckverweisung der Sache an das FG (搂 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Der von den Kl盲gern ordnungsgem盲脽 ger眉gte Verfahrensmangel ist gegeben. Das FG hat 搂 76 Abs. 1 Satz 1 FGO dadurch verletzt, dass es dem Beweisantritt der Kl盲ger nicht gefolgt ist und den Zeugen A nicht vernommen hat.
Das FG darf auf die von einem Beteiligten beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel f眉r die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisf眉hrenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unerreichbar ist oder wenn das Beweismittel unzul盲ssig oder absolut untauglich ist (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. November 1997 V R 48/97, BFH/NV 1998, 711; vom 4. April 2001 VI R 209/98, BFH/NV 2001, 1281; Gr盲ber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 搂 76 Rz. 24, m.w.N.). Keiner der genannten Gr眉nde lag im Streitfall vor.
Die unter Beweis gestellte Tatsache war ausgehend vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG rechtserheblich. Das FG durfte von der beantragten Zeugenvernehmung auch nicht deshalb absehen, weil es unterstellte, der Zeuge werde im Falle seiner Vernehmung die unter Beweis gestellte Behauptung der Kl盲ger best盲tigen. Eine solche Verfahrensweise der Wahr-Unterstellung ist nur dann zul盲ssig, wenn das FG nicht lediglich die erwartete Aussage, sondern die behauptete Tatsache als wahr unterstellt (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Juni 2005 X B 180/03, BFH/NV 2005, 1843). Dies ist im Streitfall aber gerade nicht geschehen. Das FG hat im Gegenteil angenommen, dem Zeugen A sei das fragliche Schreiben zugegangen.
Das FG durfte auf die beantragte Beweisaufnahme ferner nicht deshalb verzichten, weil es aufgrund bestimmter Indiz-Tatsachen zu der 脺berzeugung gelangt war, der Zeuge A habe das Schreiben erhalten. Zu dieser Annahme war das FG vor Durchf眉hrung der beantragten Beweisaufnahme nicht berechtigt.
Zwar kann nach st盲ndiger Rechtsprechung der Beweis 眉ber den Zugang eines Steuerbescheids auf Indizien gest眉tzt werden (BFH-Urteile vom 31. Mai 2005 I R 103/04, BFHE 209, 416, BStBl II 2005, 623, und vom 12. M盲rz 2003 X R 17/99, BFH/NV 2003, 1031, jeweils m.w.N.). Danach k枚nnen bestimmte Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen innerhalb eines l盲ngeren Zeitraums nach Absendung des Bescheids im Zusammenhang mit dem Nachweis der Absendung vom FG im Wege einer freien Beweisw眉rdigung nach 搂 96 Abs. 1 FGO dahin gehend gew眉rdigt werden, dass --entgegen der Behauptung des Steuerpflichtigen-- von einem Zugang des Bescheids ausgegangen wird. F眉r Hinweise der Finanzbeh枚rde nach 搂 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 kann insoweit im Ergebnis nichts anderes gelten.
Da das FG vor Durchf眉hrung der Zeugenvernehmung aber nicht wissen konnte, welche konkreten Angaben der Zeuge machen w眉rde und insbesondere nicht ausgeschlossen werden konnte, dass hierdurch die vom FG gew眉rdigten Umst盲nde in einem anderen Licht erschienen, war es rechtlich nicht zul盲ssig, vorab die von der Vorinstanz gezogene Schlussfolgerung zu treffen und die unterstellte Aussage des Zeugen als nicht glaubhaft anzusehen. Hierin liegt eine unzul盲ssige Vorwegnahme der Beweisw眉rdigung (vgl. zum Verbot einer vorweggenommenen Beweisw眉rdigung: z.B. BFH-Urteile vom 7. Juli 1999 X R 52/96, BFH/NV 2000, 174; in BFH/NV 1998, 711; Gr盲ber/von Groll, a.a.O., 搂 76 Rz. 26).
2. Die Kl盲ger haben ihr Recht, mangelnde Sachaufkl盲rung zu r眉gen, auch nicht gem盲脽 搂 155 FGO i.V.m. 搂 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung durch Unterlassen einer rechtzeitigen R眉ge in der Vorinstanz verloren. Denn in der blo脽en Nichtteilnahme an der m眉ndlichen Verhandlung kann kein ausdr眉cklicher oder auch nur konkludenter Verzicht auf die beantragte Beweisaufnahme gesehen werden (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juni 1988 VII R 135/85, BFHE 153, 393, BStBl II 1988, 841; BFH-Beschluss vom 28. Juli 1998 VI B 76/98, BFH/NV 1999, 200).
3. Da schon die Verletzung des 搂 76 Abs. 1 FGO zur Aufhebung der Vorentscheidung f眉hrt, braucht der Senat nicht darauf einzugehen, ob die angefochtene Entscheidung weitere Rechtsverst枚脽e enth盲lt.
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Fundstellen
亿兆体育-Index 1484085 |
BFH/NV 2006, 753 |