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Entscheidungsstichwort (Thema)
(Nachweis des Zugangs eines Verwaltungsakts: Beweiserleichterung, Anscheinsbeweis)
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Leitsatz (amtlich)
Keine Beweiserleichterung zugunsten des FA f眉r den Fall, da脽 der Zugang bei normalem Postlauf nicht gew盲hrleistet ist.
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Orientierungssatz
In den F盲llen des Zugangsnachweises nach 搂 122 Abs. 2 AO 1977 gen眉gt ein sog. Anscheinsbeweis, der auf einen typischen, nicht aber auf den tats盲chlichen Geschehensablauf abstellt, nicht (vgl. BFH-Rechtsprechung).
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Normenkette
AO 1977 搂 122 Abs. 2
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Tatbestand
I. Der Kl盲ger und Revisionskl盲ger (Kl盲ger) betreibt ein 眉berregional t盲tiges Bautenschutzunternehmen. Er bewohnte eine Mietwohnung in einem Mehrparteienhaus, in der er sich zumeist nur am Wochenende aufhielt. Die Besteuerungsgrundlagen f眉r Umsatzsteuer und Einkommensteuer 1988 --dem Streitjahr-- wurden wegen Nichtabgabe der Steuererkl盲rungen gesch盲tzt. Die Bescheide waren auf den 20. und 22. August 1990 datiert; sie wurden mit einfachem Brief bekanntgegeben.
Auf Bitten des Steuerberaters wurden unter dem 6. M盲rz 1991 Ablichtungen 眉bersandt. Mit Datum vom 15. M盲rz 1991 wurden Steuererkl盲rungen eingereicht. Der Kl盲ger machte geltend, die Bescheide nicht erhalten zu haben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) wies den Einspruch des Kl盲gers vom 19. M盲rz 1991 gegen die Sch盲tzungsbescheide vom 20. und 22. August 1990 durch Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 1991 als versp盲tet zur眉ck. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und f眉hrte aus:
1. Es sei davon auszugehen, da脽 die Bescheide am 20. und 22. August 1990 zur Post gegeben worden seien; hinsichtlich der 脺bereinstimmung des Bescheidsdatums mit dem Zeitpunkt der Postaufgabe gelte der Anscheinsbeweis, der nicht entkr盲ftet worden sei.
2. Aufgrund der vorliegenden Indizien sei ferner davon auszugehen, da脽 der Kl盲ger die Bescheide am 23. und 25. August 1990 erhalten habe. Aus dem gesamten Verhalten des Kl盲gers ergebe sich, da脽 er nicht von allen erhaltenen Briefsendungen Kenntnis genommen habe. So habe er den niedergelegten Einkommensteuerbescheid 1989 nicht abgeholt; das Postamt ... habe erkl盲rt, da脽 der Kl盲ger seinen Briefkasten nie leere. Aus diesen Umst盲nden allein lasse sich die Richtigkeit der Behauptung des FA noch nicht ableiten. In F盲llen dieser Art obliege es aber dem Kl盲ger, substantiiert darzulegen, aus welchen Gr眉nden --眉ber den Verlust auf dem Postweg hinaus-- ein Zugang der Bescheide nicht erfolgt sein k枚nne. Eine solche Darlegung sei dem Kl盲ger nicht gelungen. Bei dem Kl盲ger sei ein beschrifteter Hausbriefkasten vorhanden gewesen. Der Vortrag des Kl盲gers, da脽 spielende Kinder die Namensschilder entfernt h盲tten, andererseits, da脽 im Zuge von Malerarbeiten die Namensschilder entfernt worden seien, sei widerspr眉chlich, so da脽 das Gericht davon ausgehe, da脽 bei dem Kl盲ger ein funktionsf盲higer Briefkasten vorhanden gewesen sei. Damit sei die M枚glichkeit, da脽 ein Zugang unterblieben sei, nicht hinreichend dargetan.
Mit der Revision r眉gt der Kl盲ger Verletzung des 搂 122 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977); die Beh枚rde habe im Zweifel den Zugang des Verwaltungsaktes zu beweisen; ein Anscheinsbeweis komme insoweit nicht in Betracht.
Das Revisionsgericht k枚nne in der Sache selbst entscheiden, da das FG ausgef眉hrt habe, allein aus den mitgeteilten Beweisanzeichen lasse sich die f眉r den vollen Beweis notwendige hinreichende 脺berzeugung von der Richtigkeit der Behauptung nicht gewinnen, da脽 der Kl盲ger die Bescheide im August 1990 erhalten habe. Das k枚nne nur bedeuten, da脽 das FG der Klage stattgegeben h盲tte, wenn es sich an den Gesetzeswortlaut gehalten und nicht die dargestellte Einschr盲nkung der gesetzlichen Bestimmung vorgenommen h盲tte.
Der Kl盲ger beantragt, das angefochtene Urteil sowie die Steuerbescheide vom 20. und 22. August 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 1991 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zur眉ckzuweisen und tr盲gt vor:
Das FG habe f眉r den Nachweis des Zugangs von Steuerbescheiden eine Beweiserleichterung f眉r die Fallgestaltungen zugelassen, in denen der Zugang bei normalem Postlauf nicht gew盲hrleistet sei. Diese Zulassung bedeute eine sachgerechte Fortentwicklung des in dem Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. M盲rz 1989 VII R 75/85 (BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534) aufgestellten Grundsatzes, da脽 der Zugangsnachweis gem盲脽 搂 122 Abs.2 AO 1977 nicht nach den Regeln des sog. Anscheinsbeweises gef眉hrt werden k枚nne. Die in dem bezeichneten BFH-Urteil aufgestellten Rechtsgrunds盲tze seien nur auf die Fallgestaltungen uneingeschr盲nkt anwendbar, in denen von Seiten des Steuerpflichtigen sichergestellt worden sei, da脽 Postsendungen bei normalem Postlauf auch ihn erreichten. Es k枚nne nicht zu Lasten der Finanzbeh枚rde gehen, wenn der Steuerpflichtige keine Vorkehrungen treffe, um einen normalen Postzugang zu erm枚glichen. Der Kl盲ger habe den normalen Postzugang nicht gew盲hrleistet; eine Beweiserleichterung f眉r das FA sei daher gerechtfertigt gewesen.
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II. Die Revision ist begr眉ndet; sie f眉hrt gem盲脽 搂 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zur眉ckverweisung der Sache an das FG.
1. Entgegen der Auffassung von FA und FG war der Einspruch des Kl盲gers vom 19. M盲rz 1991 nicht versp盲tet; denn die im August 1990 vorgenommene Bekanntgabe war nicht wirksam.
a) Gem盲脽 搂 122 Abs.2 AO 1977 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post 眉bermittelt wird, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, au脽er wenn er nicht oder zu einem sp盲teren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Beh枚rde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
Im Streitfall ist es dem FA nicht gelungen, nachzuweisen, da脽 die angefochtenen Steuerbescheide dem Kl盲ger bereits im August 1990 zugegangen sind. In dem Urteil in BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534 hat der VII.Senat entschieden, da脽 dem FA --selbst in einem Fall, in dem der Nichtzugang erst nach sechs Jahren geltend gemacht wurde-- der volle Beweis 眉ber den Zugang des Steuerbescheides obliegt. Dieser Beweis kann auf Indizien gest眉tzt und im Wege der freien Beweisw眉rdigung gef眉hrt werden. Der VII.Senat hat es aber ausdr眉cklich abgelehnt, in den F盲llen des Zugangsnachweises nach 搂 122 Abs.2 AO 1977 einen sog. Anscheinsbeweis, der auf einen typischen, nicht aber auf den tats盲chlichen Geschehensablauf abstellt, gen眉gen zu lassen (vgl. auch BFH-Urteil vom 3. M盲rz 1993 II R 11/90, BFH/NV 1994, 141, und BFH-Beschlu脽 vom 28. Januar 1993 X B 80/92, BFH/NV 1994, 108).
Von diesem Rechtssatz (Geltung der allgemeinen Beweisregeln), dem der Senat folgt, ist das FG --im Anschlu脽 an das Urteil des FG des Saarlandes vom 19. Dezember 1991 2 K 270/86 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1992, 573)-- abgewichen, indem es eine Beweiserleichterung zugelassen hat, wenn der Zugang bei normalem Postlauf nicht gew盲hrleistet ist. In diesem Fall --so das FG-- obliege es dem Empf盲nger, substantiiert darzulegen, aus welchen Gr眉nden ein Zugang nicht erfolgt sein k枚nne. Damit wird von dem Empf盲nger --wie in den F盲llen des Anscheinsbeweises-- verlangt, da脽 er M枚glichkeiten eines atypischen Geschehensablaufes darlegt. Entgegen der Auffassung des FA bedeutet diese Einschr盲nkung des Zugangsnachweises keine sachgerechte Fortentwicklung des BFH-Urteils in BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534, sondern eine sachlich nicht gerechtfertigte Einschr盲nkung. Diese Auffassung ist nicht gedeckt durch den Wortlaut des 搂 122 Abs.2 AO 1977, der bestimmt, da脽 im Zweifel die Beh枚rde den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat. Zu einer Lockerung der gesetzlichen Voraussetzungen besteht kein Anla脽; die Beh枚rde hat --worauf bereits auch das BFH-Urteil in BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534 hinweist-- die M枚glichkeit, den Verwaltungsakt f枚rmlich zuzustellen oder die Form des Einschreibens mit R眉ckschein zu w盲hlen. Im 眉brigen w眉rde diese Einschr盲nkung nur zu neuen Abgrenzungsproblemen f眉hren, da kaum allgemein festgelegt werden kann, wann Verh盲ltnisse gegeben sind, die den Zugang von Postsendungen bei normalem Postlauf nicht gew盲hrleisten (vgl. nur den vom FG des Saarlandes entschiedenen Fall in EFG 1992, 573).
b) Im Unterschied zu dem Fall, der dem Urteil des II.Senats in BFH/NV 1994, 141 zugrunde lag, hat das FG den Beweisbegriff auch nicht lediglich falsch bezeichnet, sondern f眉r bestimmte Konstellationen die Anforderungen an den Nachweis des Zugangs der Steuerbescheide zu Lasten des Kl盲gers ver盲ndert.
c) Auf der Grundlage dieser Auslegung des 搂 122 Abs.2 AO 1977 ist im Streitfall davon auszugehen, da脽 das FA den Zugang nicht nachgewiesen hat. Das FG hat dazu festgestellt, da脽 es die f眉r den vollen Beweis notwendige hinreichende 脺berzeugung von der Richtigkeit der Behauptung des FA nicht habe gewinnen k枚nnen, da脽 der Kl盲ger die Bescheide im August 1990 erhalten habe.
2. Das angefochtene Urteil ist bereits aus diesem Grunde aufzuheben; der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob Verfahrensm盲ngel vorliegen. Das FG wird nunmehr die Rechtm盲脽igkeit der angefochtenen Steuerbescheide zu pr眉fen haben.
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Fundstellen
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BFH/NV 1995, 9 |
BStBl II 1995, 41 |
BFHE 175, 327 |
BFHE 1995, 327 |
BB 1995, 34 (L) |
DB 1995, 26 (LT) |
DStR 1995, 53-54 (KT) |
HFR 1995, 61-62 (LT) |
StE 1995, 8-9 (K) |