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Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld f眉r im Inland als Arbeitnehmer t盲tige polnische Staatsangeh枚rige bei Angabe einer 眉ber zwei Jahre dauernden Entsendung
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Leitsatz (amtlich)
1. Ergibt sich aus einer Arbeitgeberbescheinigung, die von einem im Inland als Arbeitnehmer t盲tigen Staatsangeh枚rigen eines anderen Mitgliedstaats vorgelegt wird, dass die Entsendung unter Beibehaltung der Sozialversicherung im Heimatland 眉ber zwei Jahre gedauert hat, kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Entsendungsvoraussetzungen nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71 bereits von Beginn des Entsendungszeitraums an nicht vorgelegen haben k枚nnen.
2. Ergeben sich aus der von dem Anspruchsteller vorgelegten Arbeitgeberbescheinigung Zweifel an dem Vorliegen der Entsendungsvoraussetzungen, ist bei den Tr盲gern und Stellen, die 眉ber das auf den Anspruchsteller anzuwendende Recht zu befinden haben, zu ermitteln, welche Rechtsvorschriften im Anspruchszeitraum auf den Anspruchsteller Anwendung fanden.
3. Best盲tigt der zust盲ndige Tr盲ger des anderen Mitgliedstaats, insbesondere durch Erteilung einer Entsendebescheinigung nach dem Formular E 101, dass f眉r einen bestimmten Zeitraum ein Fall des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a oder b der VO Nr. 1408/71 gegeben war, ist diese Bescheinigung f眉r die Familienkasse und das Finanzgericht bindend, solange sie nicht zur眉ckgezogen oder f眉r ung眉ltig erkl盲rt wird.
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Normenkette
EStG 搂 62; EWGV 1408/71 Art. 14 Nr. 1 Buchst.听a, b; EWGV 574/72 Art.听11, 4 Abs. 10; EWGV 574/72 Anh. 10
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Verfahrensgang
Hessisches FG (Entscheidung vom 16.04.2008; Aktenzeichen 2 K 3077/07) |
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Tatbestand
Rz. 1
I. Mit Schreiben vom 31. Juli 2007 beantragte der Kl盲ger und Revisionsbeklagte (Kl盲ger), der polnischer Staatsangeh枚riger ist, r眉ckwirkend ab Mai 2004 Kindergeld f眉r seine in Polen lebenden Kinder P (geb. im Juni 1989), M (geb. im August 1990) und O (geb. im Juli 1998).
Rz. 2
Die Beklagte und Revisionskl盲gerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des Kl盲gers mit Bescheid vom 17. August 2007 unter Hinweis darauf ab, dass der Kl盲ger in Polen sozialversichert sei und dieser Tatbestand einen Anspruch auf deutsches Kindergeld ausschlie脽e. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007 als unbegr眉ndet zur眉ck.
Rz. 3
Mit dem am 1. November 2007 bei dem Finanzgericht (FG) eingegangenen Schreiben erhob der Kl盲ger hiergegen Klage und legte im Klageverfahren u.a. eine Bescheinigung seines polnischen Arbeitgebers vor, wonach der Kl盲ger ab dem 1. Januar 2005 f眉r unbestimmte Zeit besch盲ftigt und ab dem 1. April 2005 an einen ausl盲ndischen Betrieb in Deutschland entsandt worden sei. Eine Versicherungspflicht zur Bundesanstalt f眉r Arbeit bestehe nicht, da Versicherungspflicht in Polen vorliege.
Rz. 4
In der m眉ndlichen Verhandlung trennte das FG zun盲chst nach teilweiser Klager眉cknahme f眉r den Zeitraum Mai 2004 bis M盲rz 2005 (Kindergeldanspruch f眉r alle drei Kinder) das Verfahren ab und stellte es insoweit ein. Ferner trennte das FG das Verfahren hinsichtlich des Kindergelds f眉r P ab Juni 2007 unter dem Az. 2 K 1166/08 ab.
Rz. 5
Hinsichtlich des danach verbleibenden Streitgegenstands verpflichtete das FG die Familienkasse mit Urteil vom 16. April 2008 unter Aufhebung des Bescheids vom 17. August 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007, dem Kl盲ger f眉r seine Kinder M und O Kindergeld f眉r die Zeit ab April 2005 und f眉r das Kind P von April 2005 bis Mai 2007 in gesetzlicher H枚he zu gew盲hren.
Rz. 6
Zur Begr眉ndung ihrer Revision r眉gt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 13 und 14 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbst盲ndige sowie deren Familienangeh枚rige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 --VO Nr. 118/97-- (Amtsblatt der Europ盲ischen Gemeinschaften 1997 Nr. L 28, S. 1) ge盲nderten und aktualisierten Fassung, ge盲ndert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europ盲ischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 --VO Nr. 647/2005-- (Amtsblatt der Europ盲ischen Union --ABlEU-- 2005 Nr. L 117, S. 1).
Rz. 7
Zu Recht gehe das FG zwar davon aus, dass f眉r den Kl盲ger die VO Nr. 1408/71 gelte, da er sowohl vom sachlichen als auch vom pers枚nlichen Geltungsbereich erfasst werde. Inkonsequenterweise pr眉fe das FG trotz dieser Feststellung noch 搂 65 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG), der bei Anwendbarkeit der Verordnung von dieser verdr盲ngt werde.
Rz. 8
Da der Kl盲ger dem Geltungsbereich der Verordnung unterliege, sei die Frage zu kl盲ren, ob ein polnischer Staatsangeh枚riger, der nach seinen eigenen Angaben im Kindergeldantrag in Polen einer Sozialversicherungspflicht unterliege, deshalb gem盲脽 Art. 13 i.V.m. Art. 1 der VO Nr. 1408/71 als in Polen besch盲ftigt gelte, und ob deshalb auf ihn die polnischen Rechtsvorschriften anzuwenden seien, auch wenn er (ohne deutsche Sozialversicherungspflicht) tats盲chlich einer unselbst盲ndigen Besch盲ftigung in Deutschland nachgehe.
Rz. 9
Da der Kl盲ger nach Art. 13 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegen solle, stelle sich die Frage, in welchem Mitgliedstaat er als besch盲ftigt anzusehen sei. 脺ber diesen "Ortsbezug" sei im Lichte der Definition des Art. 1 der VO Nr. 1408/71 zu entscheiden. Da die Besch盲ftigteneigenschaft in Art. 1 der VO Nr. 1408/71 anhand des Versichertenstatus bestimmt worden sei, erscheine es naheliegend, dass auch der Ortsbezug, also die Frage, auf welches Land sich diese Besch盲ftigteneigenschaft beziehe, am Versichertenstatus festzumachen sei. Schon Art. 13 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 gehe davon aus, dass jede Person nur einem Rechtssystem, also auch nur einem nationalen Sozialversicherungssystem unterliegen k枚nne. Im Einklang damit definiere Art. 1 der VO Nr. 1408/71 den Besch盲ftigtenstatus anhand des Versichertenstatus. Dieser normativen Grundentscheidung w眉rde es widersprechen, wenn eine Person zwar der Sozialversicherung in Polen unterliegen k枚nnte, dennoch aber (im Sinne der VO Nr. 1408/71) als besch盲ftigt in Deutschland gelten w眉rde. Entscheidend sei also, in welchem Land eine Versicherung bestehe. Das Versicherungsland habe dann konsequenterweise auch als Besch盲ftigungsland i.S. der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu gelten. Danach unterliege der Kl盲ger allein den polnischen Rechtsvorschriften, so dass ein Anspruch auf deutsches Kindergeld ausgeschlossen sei.
Rz. 10
Selbst wenn man dieser Rechtsauffassung nicht folgte, m眉sse man wegen der Ausnahmeregelung des Art. 14 Nr. 1 der VO Nr. 1408/71 zu dem Ergebnis kommen, dass die Entscheidung des FG unzutreffend sei. Der Kl盲ger sei unstreitig entsandt worden. Typischerweise solle mit einer (zeitlich befristeten) Entsendung erreicht werden, dass der entsandte Arbeitnehmer weiterhin in das Sozialversicherungssystem des Entsendestaats eingegliedert bleibe und kurzfristige Wechsel des Sozialversicherungssystems und damit unn枚tige Verkomplizierungen des Versicherungsverlaufs vermieden w眉rden. Nach den Regelungen in Art. 14 Nr. 1 der VO Nr. 1408/71 unterliege der entsandte Arbeitnehmer weiterhin den Rechtsvorschriften des Entsendestaats, wenn die voraussichtliche Dauer seiner T盲tigkeit zw枚lf Monate nicht 眉berschreite. Dauere die T盲tigkeit l盲nger als urspr眉nglich angenommen, k枚nne diese 脺berschreitung durch die zust盲ndige Beh枚rde genehmigt werden. Auch eine Verl盲ngerung um weitere zw枚lf Monate durch die zust盲ndige Beh枚rde sei m枚glich. Schlie脽lich k枚nnten die zust盲ndigen Beh枚rden der beteiligten Staaten nach Art. 17 der VO Nr. 1408/71 auch Ausnahmen (von den Regelungen der Art. 13 bis 16 der VO Nr. 1408/71) abstrakter Art f眉r bestimmte Personengruppen oder auch im Einzelfall f眉r bestimmte Personen vereinbaren. 脺ber diese Genehmigungs- bzw. Ausnahmeregelungen w眉rden gem盲脽 Art. 11 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. M盲rz 1972 眉ber die Durchf眉hrung der VO Nr. 1408/71 in ihrer durch die VO Nr. 118/97 ge盲nderten und aktualisierten Fassung, ge盲ndert durch die VO Nr. 647/2005 (VO Nr. 574/72) Bescheinigungen erstellt (sog. Formulare E 101).
Rz. 11
Vorliegend habe das FG nicht aufgekl盲rt, wie lange die Entsendung voraussichtlich habe dauern sollen oder ob entsprechende Genehmigungen, Ausnahmeregelungen oder Bescheinigungen E 101 vorl盲gen, und damit seine Amtsermittlungspflicht (搂 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) verletzt. Das FG h盲tte insbesondere auch den Kl盲ger auffordern m眉ssen, zu erkl盲ren, ob ihm entsprechende Genehmigungen, Ausnahmeregelungen oder Bescheinigungen E 101 bekannt seien. Zumindest die Darlegungslast im Hinblick auf solche Vorg盲nge sei dem Kl盲ger, als unstreitig von seinem Arbeitgeber entsandten Arbeitnehmer, aufzuerlegen. Es w眉rde im Ergebnis der grundlegenden Systematik der VO Nr. 1408/71 widersprechen, wenn eine Person, die in das polnische Sozialversicherungssystem integriert sei, dennoch einen Anspruch auf eine Leistung aus einem Zweig der sozialen Sicherheit in Deutschland h盲tte.
Rz. 12
Die Familienkasse beantragt,das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 13
Der Kl盲ger hat keinen Antrag gestellt.
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贰苍迟蝉肠丑别颈诲耻苍驳蝉驳谤眉苍诲别
Rz. 14
II. Die Revision ist begr眉ndet. Sie f眉hrt gem盲脽 搂 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zur眉ckverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Rz. 15
1. Die von dem FG getroffenen Feststellungen tragen nicht die ausgesprochene Rechtsfolge, dass weder durch Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71 noch durch Art. 17 der VO Nr. 1408/71 die durch Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 bewirkte Anwendbarkeit des Rechts des Besch盲ftigungsstaats Deutschland verdr盲ngt werde. Die bisherigen Feststellungen des FG erm枚glichen keine abschlie脽ende Entscheidung dazu, ob deutsches oder polnisches Recht auf den Kl盲ger anzuwenden ist.
Rz. 16
2. Ein Anspruch des Kl盲gers auf Kindergeld nach den 搂搂 62 f. EStG k枚nnte durch die VO Nr. 1408/71 und die VO Nr. 574/72 ausgeschlossen sein.
Rz. 17
a) Auf den Streitfall sind noch diese Verordnungen anzuwenden, da die streitigen Kindergeldanspr眉che sich noch auf Zeitr盲ume vor dem am 1. Mai 2010 erfolgten Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europ盲ischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit --VO Nr. 883/2004-- (ABlEU 2004 Nr. L 166, S. 1) beziehen (s. hierzu Senatsurteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316). Nachdem im Rahmen der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007 eine sachliche Pr眉fung des Kindergeldanspruchs stattgefunden hat, beschr盲nkt sich der Streitgegenstand der Klage hinsichtlich der Kinder M und O auf das Kindergeld f眉r den Zeitraum von April 2005 bis Oktober 2007 und hinsichtlich des Kindes P auf das Kindergeld f眉r den Zeitraum von April 2005 bis Mai 2007 (vgl. Senatsurteil vom 22. Dezember 2012 III R 41/07, zur Ver枚ffentlichung bestimmt, unter II.2. der Gr眉nde).
Rz. 18
b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 unterf盲llt das Kindergeld nach den 搂搂 62 ff. EStG gem盲脽 Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B. Urteil des Gerichtshofs der Europ盲ischen Union --EuGH-- vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Zeitschrift f眉r europ盲isches Sozial- und Arbeitsrecht 2011, 86 Rdnr. 33).
Rz. 19
c) Nach den Feststellungen des FG wird der Kl盲ger von dem pers枚nlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst, da er entsprechend Art. 2 i.V.m. Art. 1 Buchst. a Ziff. i der VO Nr. 1408/71 in Polen gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit f眉r Arbeitnehmer oder Selbst盲ndige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.
Rz. 20
3. Zu Recht hat das FG daher das auf den Kl盲ger anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 (Art. 13 ff.) bestimmt.
Rz. 21
a) Wie der Senat in dem Urteil in BFHE 234, 316 ausgef眉hrt hat, ist f眉r die im Rahmen der Anwendung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu kl盲renden Frage, in welchem Mitgliedstaat die abh盲ngige Besch盲ftigung bzw. die selbst盲ndige T盲tigkeit ausge眉bt wird, entgegen der Auffassung der Familienkasse grunds盲tzlich nicht darauf abzustellen, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern darauf, in welchem Mitgliedstaat die Person abh盲ngig besch盲ftigt ist bzw. eine selbst盲ndige T盲tigkeit aus眉bt. Dabei ist grunds盲tzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des Versicherten auszugehen und nur an diejenige(n) T盲tigkeit(en) anzukn眉pfen, hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbst盲ndiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Es ist daher zun盲chst noch festzustellen, ob der Kl盲ger nach seinem bescheinigten Versichertenstatus in Polen als Arbeitnehmer oder als Selbst盲ndiger versichert ist.
Rz. 22
b) Nach der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 gilt, dass vorbehaltlich der Art. 14c und Art. 14f der VO Nr. 1408/71 Personen, f眉r die die VO Nr. 1408/71 gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach Titel II der VO Nr. 1408/71. Der R眉ckgriff auf die allgemeine Regelung des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 (Vorrang des Rechts des Staats, in dessen Gebiet die Person im Lohn- oder Gehaltsverh盲ltnis besch盲ftigt ist) gilt nach dem einleitenden Satz des Art. 13 Abs. 2 der VO Nr. 1408/71 aber nur, soweit die Art. 14 bis 17 der VO Nr. 1408/71 nichts anderes bestimmen.
Rz. 23
c) Soweit es um die Anwendbarkeit der Regelung des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71 f眉r entsandte Arbeitnehmer geht, durfte das FG jedoch aus der Tatsache, dass der Kl盲ger ab dem 1. April 2005 bis zum Zeitpunkt der m眉ndlichen Verhandlung als entsandter Arbeitnehmer t盲tig war, nicht darauf schlie脽en, dass Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71 bereits vom Beginn des Entsendungszeitraums (1. April 2005) nicht eingreifen k枚nne.
Rz. 24
Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 sieht vor, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gew枚hnlich angeh枚rt, abh盲ngig besch盲ftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausf眉hrung einer Arbeit f眉r dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats (Entsendestaat) unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zw枚lf Monate nicht 眉berschreitet und sie nicht eine andere Person abl枚st, f眉r welche die Entsendungszeit abgelaufen ist. Geht eine solche Arbeit, deren Ausf眉hrung aus nicht vorhersehbaren Gr眉nden die urspr眉nglich vorgesehene Dauer 眉berschreitet, 眉ber zw枚lf Monate hinaus, so gelten nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats (Entsendestaat) bis zur Beendigung dieser Arbeit weiter, sofern die zust盲ndige Beh枚rde des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Betreffende entsandt wurde, oder die von dieser Beh枚rde bezeichnete Stelle dazu ihre Genehmigung erteilt. Diese Genehmigung ist vor Ablauf der ersten zw枚lf Monate zu beantragen und darf nicht f眉r l盲nger als zw枚lf Monate erteilt werden.
Rz. 25
d) Hieraus ergibt sich, dass die Voraussetzungen einer Entsendung unter Beibehaltung der Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften des Entsendestaats Polen beginnend ab 1. April 2005 jedenfalls f眉r zwei Jahre vorgelegen haben k枚nnten, sofern die Voraussetzungen des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71 gegeben waren.
Rz. 26
aa) Ob dies tats盲chlich der Fall war, hat das FG zur Erf眉llung seiner sich aus 搂 76 Abs. 1 und Abs. 2 FGO ergebenden Sachaufkl盲rungspflicht zu ermitteln. Da der entscheidungserhebliche Sachverhalt so vollst盲ndig wie m枚glich und unter Ausnutzung aller verf眉gbaren Beweismittel aufzukl盲ren ist (vgl. etwa Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Dezember 1999 X R 151/97, BFH/NV 2000, 1097), darf sich das FG nicht allein auf die W眉rdigung der Bescheinigung des polnischen Arbeitgebers beschr盲nken, insbesondere wenn das FG --wie offensichtlich im Streitfall-- Zweifel an der Richtigkeit der Angaben hat und deshalb entgegen dem Wortlaut der Bescheinigung von dem Fehlen der Eigenschaft "entsendeter Arbeitnehmer" mit "Versicherungspflicht in Polen" ausgeht. Vielmehr ist bei den Tr盲gern und Stellen, die 眉ber das auf den Anspruchsteller anzuwendende Recht zu befinden haben, zu ermitteln, welche Rechtsvorschriften im Anspruchszeitraum auf den Anspruchsteller Anwendung fanden. Hierzu kann das FG gegebenenfalls auch die Beteiligten heranziehen (搂 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Nach Art. 4 Abs. 10 der VO Nr. 574/72 sind im Anhang 10 der VO Nr. 574/72 u.a. die Tr盲ger oder Stellen aufgef眉hrt, die von den zust盲ndigen Beh枚rden aufgrund von Art. 11 Abs. 1 der VO Nr. 574/72 bestimmt worden sind. Insoweit kann unmittelbar durch 脺bersendung des Formulars E 101 (Bescheinigung 眉ber die anzuwendenden Rechtsvorschriften) bei den danach zust盲ndigen deutschen und ausl盲ndischen Tr盲gern und Stellen ermittelt werden, welche Rechtsvorschriften auf den Anspruchsteller Anwendung fanden, da auch diese Tr盲ger nach Art. 84a der VO Nr. 1408/71 zur gegenseitigen Information und Zusammenarbeit verpflichtet sind, um die ordnungsgem盲脽e Anwendung der VO Nr. 1408/71 zu gew盲hrleisten. Anfragen k枚nnen nach Art. 3 der VO Nr. 574/72 aber auch durch Vermittlung 眉ber die im Anhang 3 der VO Nr. 574/72 bezeichneten deutschen Verbindungsstellen an die zust盲ndigen Tr盲ger des anderen Mitgliedstaats gestellt werden.
Rz. 27
bb) Best盲tigt der zust盲ndige Tr盲ger des anderen Mitgliedstaats, insbesondere durch Erteilung einer Entsendebescheinigung nach dem Formular E 101, dass f眉r einen bestimmten Zeitraum ein Fall des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a oder b der VO Nr. 1408/71 gegeben war, ist diese Bescheinigung f眉r das FG bindend. In der Entsendebescheinigung E 101 erkl盲rt der zust盲ndige Tr盲ger des Mitgliedstaats, in dem das entsendende Unternehmen seine Betriebsst盲tte hat, dass sein eigenes System der sozialen Sicherheit auf die entsandten Arbeitnehmer w盲hrend der Dauer der Entsendung anwendbar bleibt. Wegen des Grundsatzes, dass die Arbeitnehmer einem einzigen System der sozialen Sicherheit angeschlossen sein sollen, hat diese Bescheinigung damit notwendig zur Folge, dass das System der sozialen Sicherheit des anderen Mitgliedstaats nicht angewandt werden kann (vgl. EuGH-Urteil vom 26. Januar 2006 C-2/05, Herbosch Kiere, Slg. 2006, I-1079 Rdnr. 21, m.w.N.). Da die Bescheinigung E 101 eine Vermutung daf眉r begr眉ndet, dass die entsandten Arbeitnehmer dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem das diese Arbeitnehmer entsendende Unternehmen seine Betriebsst盲tte hat, ordnungsgem盲脽 angeschlossen sind, bindet sie folglich den zust盲ndigen Tr盲ger des Mitgliedstaats, in den diese Arbeitnehmer entsandt sind. Diese Bindungswirkung besteht, solange die Entsendebescheinigung nicht zur眉ckgezogen oder f眉r ung眉ltig erkl盲rt wird. Insoweit ist auch ein nationales Gericht des Gaststaats nicht befugt, die G眉ltigkeit einer vom zust盲ndigen Tr盲ger des Entsendestaats erteilten Bescheinigung E 101 im Hinblick auf die Best盲tigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, zu 眉berpr眉fen (vgl. EuGH-Urteil Herbosch Kiere in Slg. 2006, I-1079 Rdnrn. 24 ff., m.w.N.). K枚nnen die betroffenen Tr盲ger im Einzelfall zu keiner 脺bereinstimmung 眉ber das anwendbare Recht gelangen, haben diese 眉ber die Verwaltungskommission f眉r die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer oder 眉ber ein von einem Mitgliedstaat eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren die M枚glichkeit, die Richtigkeit der bescheinigten Angaben 眉berpr眉fen zu lassen (vgl. EuGH-Urteil Herbosch Kiere in Slg. 2006, I-1079 Rdnrn. 28 f., m.w.N.). Die Beteiligten k枚nnen sich nicht auf eine Unrichtigkeit der von der zust盲ndigen Beh枚rde ausgestellten Bescheinigung E 101 berufen, sondern nur eines der vorgenannten Verfahren zur Aufhebung der Bescheinigung E 101 anstrengen.
Rz. 28
cc) Werden etwaige Bescheinigungen dabei nicht in deutscher Sprache bzw. deutscher 脺bersetzung vorgelegt, d眉rfen die deutschen Beh枚rden, Tr盲ger und Gerichte gem盲脽 Art. 84 Abs. 4 der VO Nr. 1408/71 die bei ihnen eingereichten Antr盲ge und sonstigen Schriftst眉cke nicht deshalb zur眉ckweisen, weil sie in einer Amtssprache eines anderen Mitgliedstaats abgefasst sind. Sofern den deutschen Beh枚rden, Tr盲gern und Gerichten --erforderlichenfalls auch im Wege der Amtshilfe-- keine eigenen 脺bersetzungsm枚glichkeiten zur Verf眉gung stehen, k枚nnen sie nach Art. 81 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 von der Verwaltungskommission f眉r die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer 脺bersetzungen fertigen lassen.
Rz. 29
e) Soweit es um die Anwendbarkeit der Regelung des Art. 17 der VO Nr. 1408/71 geht, hat das FG zwar festgestellt, dass ihm keine Erkenntnisse 眉ber eine zwischen Deutschland und Polen nach Art. 17 der VO Nr. 1408/71 getroffene Vereinbarung vorl盲gen. Es ist jedoch nicht erkennbar, aufgrund welcher Ermittlungsma脽nahmen und welcher tats盲chlichen Feststellungen das FG zu diesem Schluss gekommen ist. Gerade die von dem FG festgestellte 脺berschreitung der maximalen Entsendedauer bei --laut Arbeitgeberbescheinigung-- fortbestehender Sozialversicherung in Polen legt nahe, dass eine solche Vereinbarung geschlossen worden sein k枚nnte. Auch insoweit wird das FG 眉ber die in Anhang 10 der VO Nr. 574/72 bestimmten Tr盲ger oder Stellen daher zu ermitteln haben, ob eine auf den Kl盲ger anwendbare Vereinbarung nach Art. 17 der VO Nr. 1408/71听 (ggf. auch erst nachtr盲glich r眉ckwirkend) geschlossen wurde und ggf. f眉r welchen Zeitraum sich hieraus eine weitere Anwendbarkeit polnischen Rechts ergibt. F眉r die Bindungswirkung einer danach erteilten Bescheinigung E 101, die unter Ziff. 5.1 u.a. auch eine aufgrund Art. 17 der VO Nr. 1408/71 geschlossene Vereinbarung best盲tigt, gelten die Ausf眉hrungen unter II.3.d bb entsprechend.
Rz. 30
f) Sollte die Pr眉fung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 gleichwohl ergeben, dass auf den Kl盲ger deutsche Rechtsvorschriften anzuwenden sind, m眉sste noch ermittelt werden, ob und ggf. f眉r welche Monate des Streitzeitraums f眉r die Kinder des Kl盲gers in Polen ein Anspruch (z.B. der Mutter der Kinder) auf Familienleistungen bestand. Hierzu hat, da es sich bei dem Bestehen konkurrierender Anspr眉che auf ausl盲ndische Leistungen um eine den deutschen Kindergeldanspruch potentiell mindernde Tatsache handelt, die Familienkasse die notwendigen Angaben 眉ber ein Bescheinigungsersuchen (Vordruck E 411) an die im Wohnsitzmitgliedstaat zust盲ndige Beh枚rde oder Stelle beizubringen. Von vorliegenden Bescheinigungen in polnischer Sprache ist eine 脺bersetzung anzufertigen.
Rz. 31
Soweit ein solcher Anspruch bestand, w盲re die dann gegebene Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften des Art. 10 der VO Nr. 574/72 aufzul枚sen, soweit dessen Anwendbarkeit nicht aufgrund der f眉r Deutschland geltenden Einschr盲nkungen des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen ist (s. hierzu Senatsurteil in BFHE 234, 316). Da die Gew盲hrung von Familienleistungen im Wohnsitzstaat der Kinder (Polen) nicht von der Aus眉bung einer Erwerbst盲tigkeit abh盲ngig ist (vgl. hierzu die 脺bersicht 眉ber die vergleichbaren Leistungen i.S. des 搂 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in dem f眉r den Streitzeitraum geltenden Schreiben des Bundesamts f眉r Finanzen vom 14. Februar 2002 St I 4 -S 2473- 9/2001, BStBl I 2002, 241), greift --entgegen der Hilfsbegr眉ndung des FG-- in diesem Fall die Antikumulierungsvorschrift des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 nicht ein. Ferner w盲re bei Eingreifen des Art. 10 der VO Nr. 574/72 im Hinblick auf die dort in Abs. 1 Buchst. a und b geregelte Anspruchsreihenfolge zu kl盲ren, ob der andere Elternteil (hier die Mutter) im Wohnsitzmitgliedstaat der Kinder eine Erwerbst盲tigkeit aus眉bte (vgl. hierzu EuGH-Urteile vom 7. Juni 2005 C-543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg. 2005, I-5049 Rdnrn. 54 ff., und vom 7. Juli 2005 C-153/03, Weide, Slg. 2005, I-6017 Rdnrn. 32 ff.). Dies l盲sst sich aus den Eintragungen unter Nr. 2.5 des Formulars E 401 entnehmen.
Rz. 32
g) Sollten die noch erforderlichen Ermittlungen des FG ergeben, dass f眉r einen Teil oder f眉r den gesamten streitigen Zeitraum auf den Kl盲ger polnische Rechtsvorschriften Anwendung finden, stellte sich die Frage, ob Deutschland als der nach der VO Nr. 1408/71 dann nicht zust盲ndige Mitgliedstaat gleichwohl befugt w盲re, Kindergeld nach den 搂搂 62 ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des 搂 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften entgegenst眉nden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des Senats vom 21. Oktober 2010 III R 5/09 (BFHE 231, 183) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in dem bei diesem anh盲ngigen Verfahren C-612/10 in Betracht kommen k枚nnte.
Rz. 33
4. Die Sache ist im Rahmen des Revisionsbegehrens danach nicht spruchreif und war deshalb nach 搂 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zur眉ckzuverweisen.
听
Fundstellen
亿兆体育-Index 3193351 |
BFH/NV 2012, 1519 |
BFH/PR 2012, 343 |
BStBl II 2013, 623 |
BFHE 2013, 412 |
BFHE 237, 412 |
DB 2012, 1912 |
DStR 2012, 9 |
DStRE 2012, 1181 |
HFR 2012, 965 |