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Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Rechnungsmerkmal "vollst盲ndige Anschrift" bei der Aus眉bung des Rechts auf Vorsteuerabzug
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Leitsatz (amtlich)
1. F眉r die Aus眉bung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist erforderlich, dass der Leistungsempf盲nger eine Rechnung besitzt, in der eine Anschrift des Leistenden genannt ist, unter der jener postalisch erreichbar ist.
2. F眉r die Pr眉fung des Rechnungsmerkmals "vollst盲ndige Anschrift" ist der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung ma脽geblich.
3. Die Feststellungslast f眉r die postalische Erreichbarkeit zu diesem Zeitpunkt trifft den den Vorsteuerabzug begehrenden Leistungsempf盲nger.
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Normenkette
UStG 2005 搂听14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, 搂听15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EGRL 112/2006 Art. 226
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Verfahrensgang
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Tenor
Auf die Revision des Kl盲gers wird das Urteil des Finanzgerichts K枚ln vom 12. M盲rz 2014听听4 K 2374/10 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht K枚ln zur眉ckverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung 眉ber die Kosten des Revisionsverfahrens 眉bertragen.
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Tatbestand
Rz. 1
I. Der Kl盲ger und Revisionskl盲ger (Kl盲ger) betrieb eine Geb盲udereinigung und ein Internetcaf茅. In seiner Umsatzsteuererkl盲rung f眉r das Jahr 2007 (Streitjahr) vom 18.听Februar 2009 erkl盲rte er Vorsteuerbetr盲ge in H枚he von 38.994,60听鈧.
Rz. 2
Aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderpr眉fung gelangte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) u.a. zu dem Ergebnis, dass Vorsteuern hinsichtlich der Rechnungen zweier Unternehmen wegen falscher Rechnungsangaben bzw. fehlender Unternehmereigenschaft in H枚he von 11.923,79听鈧 nicht abzugsf盲hig seien. Dabei handelte es sich um Vorsteuerbetr盲ge, die in Rechnungen des Unternehmers A-Service vom 31.听Januar 2007 bis 31.听M盲rz 2007 (4.122,80听鈧) sowie des Unternehmers F-Service vom 31.听Mai 2007 bis 30.听November 2007 (7.800,99听鈧) enthalten waren. Auf den streitgegenst盲ndlichen Rechnungen der A-Service lautete die angegebene Adresse T-Stra脽e, X, auf denen von F-Service U-Stra脽e, Y.
Rz. 3
In einem 脛nderungsbescheid zur Umsatzsteuer 2007 vom 7.听Juli 2009 erkannte das FA u.a. die Vorsteuern aus diesen Rechnungen nicht an. Die Festsetzung erging unter dem Vorbehalt der Nachpr眉fung (搂听164 der Abgabenordnung).
Rz. 4
Aufgrund eines 脛nderungsantrags des Kl盲gers erging am 3.听November 2009 ein weiterer Umsatzsteuer-脛nderungsbescheid 2007. Dagegen wandte sich der Kl盲ger mit seinem Einspruch. Er begehrte die Ber眉cksichtigung der in den genannten Rechnungen von A-Service und F-Service enthaltenen Vorsteuerbetr盲ge. Diese w眉rden sich auf dem Kl盲ger in Rechnung gestellte Leistungen beziehen. Der Kl盲ger habe vor Auftragsvergabe von beiden Unternehmern Bescheinigungen in Steuersachen, Gewerbeanmeldungen, Bescheinigungen 眉ber Umsatzsteuer-Identifikationsnummern (USt-IdNr.) etc. angefordert, um jeweils von einer Unternehmereigenschaft ausgehen zu k枚nnen. Au脽erdem sei der Gutglaubensschutz zu beachten.
Rz. 5
Das FA wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 8.听Juli 2010 als unbegr眉ndet zur眉ck. Zur Begr眉ndung f眉hrte es insbesondere aus, dass der Leistungsempf盲nger nicht im Besitz einer nach 搂搂听14, 14a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgestellten Rechnung sei.
Rz. 6
Im Rahmen der dagegen gerichteten Klage machte der Kl盲ger geltend, dass die vom FA benannten M盲ngel hinsichtlich der Rechnungen nicht zutreffend seien. Alle Rechnungen wiesen Namen und Anschrift des leistenden Unternehmers, die Steuernummer, Rechnungsdatum und -nummer, den Umfang und Zeitpunkt der Leistungen sowie die Entgelte und Steuerbetr盲ge und -s盲tze aus. Der Kl盲ger habe sich dar眉ber hinaus zwecks Feststellung von Identit盲t, Unternehmerschaft und F眉hrung bei einem Finanzamt Nachweise der von ihm beauftragten Firmen geben lassen. Im Einzelnen seien dies f眉r den Unternehmer A-Service
- eine Kopie des Reisepasses mit Aufenthaltsgenehmigung,
- eine Kopie der Anmeldung bei der Meldebeh枚rde der Stadt X f眉r die Adresse T-Stra脽e, X, vom 13.听Juli 2006,
- eine Kopie der Gewerbeanmeldung vom 22.听Juni 2006 f眉r die Betriebsst盲tte C-Stra脽e, D, vom 22.听Juni 2006, und
- Bescheinigungen in Steuersachen des FA B vom 22.听Juni 2006 f眉r abgef眉hrte Einkommensteuer,
sowie f眉r den Unternehmer F-Service
- eine Kopie des Reisepasses mit Aufenthaltsgenehmigung,
- eine Kopie der Anmeldung bei der Meldebeh枚rde der Stadt Y vom 12.听April 2007,
- eine Kopie der Gewerbeanmeldung vom 14.听M盲rz 2007 f眉r die Betriebsst盲tte Y-Stra脽e, Y, vom 14.听M盲rz 2007,
- eine Kopie des Bescheids des Bundeszentralamts f眉r Steuern vom 21.听April 2007 眉ber die Erteilung einer USt-IdNr.,
- eine Kopie der Mitteilung des FA Y 眉ber die Erteilung einer Steuernummer, und
- eine Kopie der Genehmigung zur Besteuerung der Ums盲tze nach vereinnahmten Entgelten vom 16.听April 2007.
Rz. 7
Grunds盲tzlich gelte bei Eingehen einer Gesch盲ftsbeziehung ein Gutglaubensschutz und nicht von vornherein die Vermutung eines Betruges. Der Kl盲ger habe keinen Grund gehabt, an den Gegebenheiten zu zweifeln, da der Unternehmer A-Service seine Leistungen u.a. entsprechend den Vereinbarungen erf眉llt habe. Auch sei der Schriftverkehr zu Zeiten der Gesch盲ftsbeziehung ohne Probleme an die genannte Adresse zugestellt worden und es sei nicht zu R眉ckl盲ufern gekommen. Im 脺brigen seien beide Unternehmen unter den angegebenen Adressen f眉r gesch盲ftliche Korrespondenz erreichbar gewesen.
Rz. 8
Das Finanzgericht (FG) K枚ln wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1442 ver枚ffentlichten Urteil vom 12.听M盲rz 2014听听4听K听2374/10 ab.
Rz. 9
Hiergegen wendet sich der Kl盲ger mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
Rz. 10
Er tr盲gt u.a. im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europ盲ischen Union (EuGH) Geissel und Butin vom 15.听November 2017 C-374/16 und C-375/16 (EU:C:2017:867, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2017, 970) vor, dass A-Service unter der in den streitigen Rechnungen genannten Adresse (zumindest zeitweise) postalisch erreichbar gewesen sei. Auch F-Service sei unter der in den streitigen Rechnungen genannten Adresse postalisch erreichbar gewesen.
Rz. 11
Der Kl盲ger beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom 8.听Juli 2010 aufzuheben und die Umsatzsteuer unter 脛nderung des Umsatzsteuerbescheids f眉r 2007 vom 3.听November 2009 um 11.923,79听鈧 herabzusetzen.
Rz. 12
Das FA beantragt, die Revision als unbegr眉ndet zur眉ckzuweisen.
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Rz. 13
II. Die Revision des Kl盲gers ist begr眉ndet; sie f眉hrt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zur眉ckverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (搂听126 Abs.听3 Satz听1 Nr.听2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Rz. 14
Das FG hat den Abzug der aus den Rechnungen der Unternehmer A-Service und F-Service geltend gemachten Vorsteuerbetr盲ge mit der Begr眉ndung versagt, dass die fraglichen Rechnungen nicht die nach 搂听14 Abs.听4 Satz听1 Nr.听1 UStG erforderliche zutreffende vollst盲ndige Anschrift des leistenden Unternehmers enthielten. Die Feststellungen des FG lassen allerdings keine abschlie脽ende Beurteilung zu der Frage zu, ob die Rechnungsaussteller unter der von ihnen in ihren Rechnungen angegebenen Anschrift postalisch erreichbar gewesen waren.
Rz. 15
1. Gem盲脽 搂听15 Abs.听1 Satz听1 Nr.听1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer f眉r Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer f眉r sein Unternehmen ausgef眉hrt worden sind, abziehen. Die Aus眉bung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach den 搂搂听14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt.
Rz. 16
a) Nach 搂听14 Abs.听4 Satz听1 Nr.听1 UStG muss eine Rechnung die Angabe des vollst盲ndigen Namens und der vollst盲ndigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempf盲ngers enthalten.
Rz. 17
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind 搂听15 Abs.听1 Nr.听1, 搂听14 Abs.听4 Satz听1 Nr.听1 UStG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftliche T盲tigkeit des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausge眉bt wird, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift, einschlie脽lich einer Briefkastenanschrift, aus, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist (BFH-Urteile vom 13.听Juni 2018 XI听R听20/14, BFHE 262, 174, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2018, 1967, Rz听40; vom 21.听Juni 2018 V听R听25/15, BStBl II 2018, 809, Rz听26; V听R听28/16, BStBl II 2018, 806, Rz听28).
Rz. 18
2. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um im Streitfall zu entscheiden, ob der Kl盲ger ein Recht zum Abzug der aus den Rechnungen der Unternehmer A-Service und F-Service geltend gemachten Vorsteuerbetr盲ge hat.
Rz. 19
a) Das FG hat vor Ergehen des EuGH-Urteils Geissel und Butin (EU:C:2017:867, UR 2017, 970) zu Recht keine Feststellungen zur postalischen Erreichbarkeit im Zeitpunkt der Rechnungserstellung getroffen. Es liegen insoweit trotz der Ausf眉hrungen des FG auf Seite听12 des Urteils, das Fehlen einer ordnungsgem盲脽en Anschrift habe sich als unstreitig herausgestellt, keine f眉r den BFH nach 搂听118 Abs.听2 FGO bindenden Feststellungen vor. W盲hrend der Prozessbevollm盲chtigte im Revisionsverfahren wie auch schon im Klageverfahren vortr盲gt, dass der leistende Unternehmer A-Service wie auch der Unternehmer F-Service (zumindest zeitweise) postalisch erreichbar gewesen seien, tr盲gt das FA vor, dass die postalischen Anschriften der Unternehmer im Streitzeitraum objektiv falsch gewesen seien. Insoweit habe das FG festgestellt, dass dort weder eine Betriebsst盲tte noch die Wohnung der Rechnungsaussteller vorhanden gewesen sei. Das FG hat daher zu ermitteln, ob die Rechnungsaussteller A-Service und F-Service unter den angegebenen Adressen jedenfalls erreichbar waren.
Rz. 20
Ma脽geblich hierf眉r ist der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung. Der EuGH hat Art.听226 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.听November 2006 眉ber das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in der Weise teleologisch ausgelegt, dass die Angaben, die eine Rechnung enthalten muss, es den Steuerverwaltungen erm枚glichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und gegebenenfalls das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren (EuGH-Urteile Barlis听06 - Investimentos Imobili谩rios e Turisticos vom 15.听September 2016 C-516/14, EU:C:2016:690, UR 2016, 795, Rz听27; Geissel und Butin, EU:C:2017:867, UR 2017, 970, Rz听41). Die Angaben sollen es erm枚glichen, eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und einem konkreten Wirtschaftsteilnehmer, dem Rechnungsaussteller, herzustellen (EuGH-Urteil Geissel und Butin, EU:C:2017:867, UR 2017, 970, Rz听42). Diese Kontrollm枚glichkeit besteht f眉r das FA erst mit der Erstellung der Rechnung sowie deren Kenntnisnahme und nicht im Zeitpunkt der Leistungserbringung (so im Ergebnis auch FG Bremen, Urteil vom 6.听Juni 2018听听2听K听19/17听(5), juris; Schumann, DStR 2017, 2719, 2720; Streit, DStR 2017, 2548, 2549; a.A. Jacobs/Zitzl, UR 2017, 974, 976).
Rz. 21
L盲sst sich eine Erreichbarkeit zu diesem Zeitpunkt nicht ermitteln, trifft die Feststellungslast den Leistungsempf盲nger. Der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, hat die Darlegungs- und Feststellungslast f眉r alle Tatsachen, die den Vorsteuerabzug begr眉nden (EuGH-Urteil SGI vom 27.听Juni 2018 C-459/17 und C-460/17, EU:C:2018:501, Deutsches Steuerrecht/ Entscheidungsdienst 2018, 1057, Rz听39; BFH-Urteile vom 23.听Oktober 2014 V听R听23/13, BFHE 247, 480, BStBl II 2015, 313, Rz听18; vom 20.听Oktober 2016 V听R听36/14, BFH/NV 2017, 327, Rz听20; BFH-Beschluss vom 8.听Juli 2015 XI听B听5/15, BFH/NV 2015, 1444, Rz听10).
Rz. 22
b) Sollten die Unternehmer A-Service und F-Service in diesem Sinne erreichbar gewesen sein, so fehlen Feststellungen des FG zur Frage, ob ansonsten die weiteren materiellen und formellen Voraussetzungen f眉r die Entstehung und Aus眉bung des Rechts auf Vorsteuerabzug erf眉llt sind. Insoweit hatte das FG --von seinem Standpunkt zutreffend-- keine Feststellungen getroffen. Gegenstand dieser Feststellungen wird auch die Frage sein, ob dem FA darin zu folgen ist, dass nach den Gesamtumst盲nden von Abdeckrechnungen zur Verschleierung von illegaler Besch盲ftigung auszugehen sei. Das FG hat daher gegebenenfalls auch insoweit weitere Ermittlungen vorzunehmen.
Rz. 23
c) F眉r den Fall, dass auf der Grundlage der im zweiten Rechtsgang nachgeholten Feststellungen nicht alle materiellen und formellen Voraussetzungen f眉r die Entstehung und Aus眉bung des Rechts auf Vorsteuerabzug erf眉llt sind, verweist der Senat auf die Rz听57听ff. seines Beschlusses vom 6.听April 2016 XI听R听20/14 (BFHE 254, 152).
Rz. 24
3. Die 脺bertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf 搂听143 Abs.听2 FGO.
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Fundstellen
亿兆体育-Index 12697284 |
BFH/NV 2019, 365 |
BFH/PR 2019, 107 |
BStBl II 2020, 418 |
BFHE 2019, 354 |
BB 2019, 341 |
DB 2019, 407 |
DB 2019, 6 |
DStR 2019, 271 |
DStRE 2019, 259 |
HFR 2019, 214 |
UR 2019, 194 |