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Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Sachaufkl盲rungspflicht durch 脺bergehen eines Beweisantrags
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Leitsatz (NV)
1. Das Finanzgericht verletzt seine ihm nach 搂 76 Abs. 1 Satz 1 FGO obliegende Pflicht zur Sachaufkl盲rung, wenn es einen ordnungsgem盲脽 gestellten Beweisantrag 眉bergeht, sofern nicht das Beweismittel f眉r die zutreffende Entscheidung unerheblich ist, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzul盲ssig oder absolut untauglich ist oder die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisf眉hrenden als wahr unterstellt werden kann.
2. 脺bergeht das Finanzgericht einen schrifts盲tzlich gestellten Beweisantrag, verliert auch ein fachkundig vertretener Kl盲ger, der auf m眉ndliche Verhandlung verzichtet hat, sein Recht, eine Verletzung der Sachaufkl盲rungspflicht des Gerichts zu r眉gen, jedenfalls dann nicht, wenn er diesen Beweisantrag nach dem Verzicht auf m眉ndliche Verhandlung bis zur Entscheidung des Gerichts im schriftlichen Verfahren erneut stellt.
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Normenkette
FGO 搂听115 Abs. 2 Nr. 3, 搂听76 Abs. 1 S. 1, 搂听155; ZPO 搂 295
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Verfahrensgang
S盲chsisches FG (Urteil vom 17.10.2012; Aktenzeichen 5 K 1499/08 (Kg)) |
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Tatbestand
Rz. 1
I. Die Kl盲gerin und Beschwerdef眉hrerin (Kl盲gerin) ist die Mutter eines im Januar 1971 geborenen Sohnes (S). Zur Kl盲rung der Frage, ob f眉r S ein Betreuer bestellt werden sollte, wurde auf Veranlassung des zust盲ndigen Amtsgerichts am 30. April 2003 ein psychiatrisches Gutachten erstellt, wonach bei S ein leichtes postremissives Ersch枚pfungssyndrom nach abgelaufener psychotischer Episode sowie rezidivierende psychotische Episoden bei anamnestisch bekanntem Abusus von Cannabis und Halluzinogenen diagnostiziert wurden. Ferner kam das Gutachten zu dem Ergebnis, dass insbesondere wegen der bestehenden R眉ckfallgef盲hrdung eine mindestens zwei Jahre dauernde Betreuung erforderlich sei. Zum 31. Januar 2005 wurde bei S ein Grad der seelischen Behinderung von 50 festgestellt. Nach einer weiteren 盲rztlichen Bescheinigung vom 30. Mai 2008 leidet S an einer chronischen psychiatrischen Erkrankung, welche bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres bestanden habe.
Rz. 2
Den im Oktober 2007 gestellten Antrag der Kl盲gerin auf Gew盲hrung von Kindergeld lehnte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) mit Bescheid vom 24. Juni 2008 ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 2008 als unbegr眉ndet zur眉ckgewiesen.
Rz. 3
Die hiergegen auf Kindergeldgew盲hrung ab Januar 2003 gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegr眉ndet ab. Zur Begr眉ndung verwies es im Wesentlichen darauf, dass die kindergeldrechtliche Ber眉cksichtigung des S nach 搂 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes ausgeschlossen sei. Insoweit sei zwar davon auszugehen, dass bei S bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres eine Erkrankung in Form psychotischer Episoden nach Abusus von Cannabis und Halluzinogenen vorgelegen habe. Aus den im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen gehe jedoch nicht hervor, dass diese Erkrankung bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres so schwer gewesen sei, dass von einer Behinderung auszugehen sei. Die insoweit nicht ausger盲umten Zweifel des Gerichts gingen nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten der Kl盲gerin.
Rz. 4
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Kl盲gerin die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (搂 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und wegen des Vorliegens von Verfahrensm盲ngeln (搂 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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Rz. 5
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kl盲gerin ist zul盲ssig und begr眉ndet; sie f眉hrt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zur眉ckverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (搂 116 Abs. 6 FGO).
Rz. 6
Es liegt ein von der Kl盲gerin in der erforderlichen Form (搂 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) dargelegter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (搂 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Denn das FG hat seine aus 搂 76 Abs. 1 Satz 1 FGO folgende Pflicht zur Sachaufkl盲rung verletzt.
Rz. 7
1. Die Kl盲gerin hat einen Verfahrensmangel in der nach 搂 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt.
Rz. 8
a) Wird das 脺bergehen von Beweisantr盲gen ger眉gt, so muss neben dem Beweisthema und dem angebotenen Beweismittel vorgetragen werden, inwiefern das Urteil des FG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann und welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben h盲tte (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Dezember 1998 VIII B 54/97, BFH/NV 1999, 802). Ferner muss dargelegt werden, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der m眉ndlichen Verhandlung ger眉gt wurde oder weshalb diese R眉ge nicht m枚glich war (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529).
Rz. 9
b) Entgegen der Auffassung der Familienkasse hat die Kl盲gerin im Streitfall diesen Darlegungsanforderungen gen眉gt. Nach ihrem Vortrag wurde zum Beweis der Tatsache, dass bei S bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres eine Behinderung vorlag, Urkundenbeweis in Form der beizuziehenden Akten zweier Betreuungsverfahren, Zeugenbeweis durch Vernehmung von drei 脛rzten und Sachverst盲ndigenbeweis durch Einholung eines Gutachtens bei einem dieser 脛rzte angeboten. Ferner wurde dargelegt, es ergebe sich aus diesen Beweismitteln, dass bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres die psychotischen St枚rungen des S ein Ausma脽 erreicht h盲tten, das das Vorliegen einer Behinderung begr眉nde. Schlie脽lich hat die Kl盲gerin dargelegt, dass sie die unterbliebene Beweiserhebung nicht habe r眉gen k枚nnen, weil das FG ohne Durchf眉hrung einer m眉ndlichen Verhandlung entschieden habe.
Rz. 10
2. Der ger眉gte Verfahrensmangel liegt auch tats盲chlich vor. Das FG hat seine aus 搂 76 Abs. 1 FGO folgende Pflicht zur Sachaufkl盲rung verletzt, indem es die gestellten Beweisantr盲ge 眉bergangen hat.
Rz. 11
a) aa) Ein ordnungsgem盲脽 gestellter Beweisantrag darf nur unber眉cksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel f眉r die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzul盲ssig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisf眉hrenden als wahr unterstellt werden kann (st盲ndige h枚chstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 29. Juni 2011 X B 242/10, BFH/NV 2011, 1715, m.w.N.).
Rz. 12
bb) Die Kl盲gerin hat die dargelegten Beweisantr盲ge mehrfach ordnungsgem盲脽 gestellt, so etwa durch Bezugnahme auf fr眉here Beweisantr盲ge im Schriftsatz vom 16. Juli 2012 (Bl. 197 ff. der Finanzgerichtsakte) und explizit im Schriftsatz vom 24. Mai 2012 (Bl. 183 ff. der Finanzgerichtsakte).
Rz. 13
Keiner der o.g. Gr眉nde f眉r eine zul盲ssige Nichtber眉cksichtigung von Beweismitteln lag hinsichtlich der im Streitfall gestellten Beweisantr盲ge vor. Insbesondere waren die Beweismittel nach dem insoweit ma脽geblichen materiellen Rechtsstandpunkt des FG (s. hierzu Senatsbeschluss vom 14. Januar 2011 III B 96/09, BFH/NV 2011, 788) nicht unerheblich, da das FG selbst den Nachweis einer vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen Behinderung f眉r erforderlich --wenn auch f眉r nicht gef眉hrt-- gehalten hat. Auch durfte das FG nicht von einer Untauglichkeit dieser Beweismittel ausgehen. Es ist --wie dem Senat auch aus vergleichbaren F盲llen bekannt ist-- nicht auszuschlie脽en, dass sich aus den beizuziehenden Akten und den Zeugenvernehmungen der behandelnden 脛rzte Hinweise auf die Schwere und die Dauer der vom FG festgestellten Erkrankung im Zeitraum vor Vollendung des 27. Lebensjahres ergeben h盲tten, die es --im Falle des Fehlens ausreichender eigener Sachkunde der Familienkasse und des Gerichts-- zumindest einem Sachverst盲ndigen erlauben, auch r眉ckblickend eine Einsch盲tzung vorzunehmen, ob im damaligen Zeitraum --wie von der Kl盲gerin dargelegt-- die Erkrankung bereits zum Vorliegen einer Behinderung gef眉hrt hat.
Rz. 14
b) Die Kl盲gerin hat ihr R眉gerecht nicht nach 搂 155 FGO i.V.m. 搂 295 der Zivilprozessordnung verloren.
Rz. 15
aa) Ein Verfahrensmangel kann hiernach nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten k枚nnen und verzichtet haben. Zu diesen verzichtbaren M盲ngeln geh枚rt auch das 脺bergehen eines Beweisantrags (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 14. November 2003 VIII B 70/02, BFH/NV 2004, 513, m.w.N.).
Rz. 16
Geht das FG einem schrifts盲tzlich gestellten Beweisantrag nicht nach, dann muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter dies in der (n盲chsten) m眉ndlichen Verhandlung, an welcher er teilnimmt, r眉gen, weil sonst das R眉gerecht endg眉ltig verloren geht (BFH-Beschluss vom 15. Juni 2005 X B 180/03, BFH/NV 2005, 1843).
Rz. 17
bb) Im vorliegenden Fall hat das FG mit Einverst盲ndnis der Beteiligten ohne Durchf眉hrung einer m眉ndlichen Verhandlung entschieden. Insoweit kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob in dem von der fachkundig vertretenen Kl盲gerin mit Schreiben vom 2. September 2008 erkl盲rten Verzicht auf m眉ndliche Verhandlung zugleich ein Verzicht auf die R眉ge der Nichteinholung der zuvor beantragten Beweiserhebungen gesehen werden kann. Denn die Kl盲gerin hat jedenfalls durch die danach bis unmittelbar vor Ergehen der angegriffenen Entscheidung erfolgte Wiederholung ihrer Beweisantr盲ge zum Ausdruck gebracht, dass sie auf die Beachtung der Verfahrensvorschrift nicht verzichten will.
Rz. 18
c) Die Vorentscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen, da nicht auszuschlie脽en ist, dass das FG nach Durchf眉hrung der Beweiserhebungen zu einem anderen Ergebnis gelangt w盲re. Dem FG wird daher Gelegenheit gegeben, die unterbliebenen Beweiserhebungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Rz. 19
3. Ob die weiteren R眉gen des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts durchgreifen, bedarf hiernach keiner Entscheidung. Die Sache geht deshalb an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zur眉ck (搂 116 Abs. 6 FGO).
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Fundstellen
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BFH/NV 2013, 963 |