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Leitsatz (amtlich)
1. Wird im Hauptsacheverfahren Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes erhoben, so kann unter den Voraussetzungen des 搂 114 FGO vorl盲ufiger Rechtsschutz durch Erla脽 einer einstweiligen Anordnung gew盲hrt werden.
2. Zu den Voraussetzungen f眉r die Annahme der Nichtigkeit eines Verwaltunsgakts.
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Normenkette
FGO 搂搂听114, 69 Abs.听3, 2; AO 1977 搂 125 Abs. 1
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Verfahrensgang
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Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdef眉hrerin (Antragstellerin) hat fr眉her in M眉nchen ein ...gesch盲ft betrieben. Nach ihren Angaben soll das Gesch盲ft im September 1976 eingestellt worden sein. Die Antragstellerin hat jedoch vers盲umt, ihren Gewerbebetrieb abzumelden.
Da die Antragstellerin f眉r das Streitjahr 1977 keine Erkl盲rungen zur gesonderten Gewinnfeststellung sowie zur Umsatzsteuer und zur Gewerbesteuer abgegeben hatte, sch盲tzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen; er stellte den Gewinn der Antragstellerin aus Gewerbebetrieb auf 28 000 DM fest. Der Feststellungsbescheid wurde am 25. Mai 1979 zur Post gegeben.
Mit Schreiben vom 29. November 1979 beantragte die Antragstellerin, den Gewinnfeststellungsbescheid vom 25. Mai 1979 aufzuheben. Das FA lehnte diesen Antrag ab. Der Bescheid 眉ber die Ablehnung des Antrags ging dem Proze脽bevollm盲chtigten der Antragstellerin am 18. Dezember 1979 zu. Der hiergegen gerichtete Einspruch, der It. Eingangsstempel am 22. Januar 1980 beim FA einging, wurde vom FA mit Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 1980 als unzul盲ssig verworfen. Gleichzeitig lehnte das FA den Antrag der Antragstellerin ab, den Gewinnfeststellungsbescheid vom 25. Mai 1979 f眉r nichtig zu erkl盲ren.
Die Antragstellerin erhob Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Gewinnfeststellungsbescheids vom 25. Mai 1979. 脺ber die Klage ist noch nicht entschieden.
Die Antragstellerin beantragte au脽erdem beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheids 1977 auszusetzen, bis 眉ber ihre Klage auf Feststellung der Nichtigkeit entschieden ist.
Diesen Antrag deutete das FG in einen Antrag auf Erla脽 einer einstweiligen Anordnung um, da vorl盲ufiger Rechtsschutz im Zusammenhang mit einer Feststellungsklage nach 搂 41 der Finanzgerichtsordung (FGO) nicht durch Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsakts, sondern nur durch Erla脽 einer einstweiligen Anordnung gew盲hrt werden k枚nne. Das FG lehnte den auf diese Weise umgedeuteten Antrag ab. Zur Begr眉ndung f眉hrte es aus, es fehle bereits an der - nach 搂 114 Abs. 3 FGO i. V. m. 搂 920 der Zivilproze脽ordnung (ZPO) gebotenen - schl眉ssigen Darlegung eines Anordnungsanspruchs. Die Antragstellerin habe die tats盲chlichen Voraussetzungen f眉r den im Hauptverfahren geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der Nichtigkeit des Gewinnfeststellungsbescheids 1977 nicht glaubhaft machen k枚nnen. Ein Fall, der nach 搂 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zur Nichtigkeit f眉hre, liege nicht schon dann vor, wenn ein Steuergesetz unzutreffend angewendet worden sei, sondern nur dann, wenn der erlassene Verwaltungsakt unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ergehen durfte. Im Streitfall sei der Gewinnfeststellungsbescheid aufgrund der Erw盲gung erlassen worden, da脽 die Antragstellerin im Jahre 1977 in gleicher Weise wie im Jahre 1976 eine gewerbliche T盲tigkeit ausge眉bt habe. Wenn dieser vom FA vermutete Sachverhalt tats盲chlich nicht vorgelegen habe, so h盲tte dies nur im Rahmen der Anfechtung des Gewinnfeststellungsbescheids geltend gemacht werden k枚nnen.
Gegen diesen Beschlu脽 des FG richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und im Wege der einstweiligen Anordnung vorl盲ufigen Rechtsschutz zu gew盲hren.
Das FA beantragt, die Beschwerde zur眉ckzuweisen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
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Die Beschwerde ist nicht begr眉ndet.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, da脽 der bei ihm gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unter den gegebenen Umst盲nden in einen Antrag auf Erla脽 einer einstweiligen Anordnung umzudeuten war.
Die Antragstellerin erstrebte mit ihrem Antrag "auf Aussetzung der Vollziehung" des Gewinnfeststellungsbescheids 1977, da脽 aus diesem Bescheid so lange keine Folgerungen gezogen werden, bis 眉ber ihre Klage auf Feststellung der Nichtigkeit dieses Bescheids entschieden ist. Dieses Ziel konnte die Antragstellerin - wenn 眉berhaupt - nur durch eine einstweilige Anordnung nach 搂 114 FGO und nicht durch Aussetzung der Vollziehung (搂 69 Abs. 3 FGO) erreichen.
a) Nach 搂 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn "ernstliche Zweifel an der Rechtm盲脽igkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen". Ernstliche Zweifel an der Rechtm盲脽igkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen nicht, wenn eine Nachpr眉fung des Verwaltungsakts wegen der eingetretenen Unanfechtbarkeit nicht mehr m枚glich ist (Beschlu脽 des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Januar 1968 VI B 77/67, BFHE 91, 219, BStBl II 1968, 278). Eine Aussetzung der Vollziehung kommt daher nicht mehr in Frage, wenn ein Einspruch gegen den Verwaltungsakt bereits als unzul盲ssig verworfen worden ist und diese Entscheidung ohne jeden ernstlichen Zweifel als zutreffend erscheint (BFH-Beschl眉sse vom 9. Mai 1967 II B 3/67, BFHE 88, 541, BStBl III 1967, 472 und vom 5. Februar 1975 II B 29/74, BFHE 115, 12, BStBl II 1975, 465).
Ein derartiger Fall ist hier gegeben. Der Feststellungsbescheid, dessentwegen die Antragstellerin vorl盲ufigen Rechtsschutz begehrt, wurde am 25. Mai 1979 zur Post gegeben. Gem盲脽 搂 122 Abs. 2 AO 1977 gilt er mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post - also mit dem 28. Mai 1979 - als bekanntgegeben. Da innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Bescheids (搂 355 AO 1977) kein Einspruch eingelegt wurde und Gr眉nde f眉r eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (搂 110 Abs. 1 AO 1977) nicht erkennbar sind, ist der Bescheid vom 25. Mai 1979 als bestandskr盲ftig anzusehen.
b) Die Gew盲hrung vorl盲ufigen Rechtsschutzes kann bei dieser Sachlage nur in Form einer einstweiligen Anordnung (搂 114 FGO) in Betracht kommen.
Der vorl盲ufige Rechtsschutz nach der Finanzgerichtsordnung h盲ngt eng mit der Klageart in dem Verfahren zur Hauptsache zusammen (BFH-Beschl眉sse vom 10. November 1977 IV B 33-34/76, BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15; vom 10. August 1978 IV B 41/77, BFHE 125, 356, BStBl II 1978, 584 und vom 10. Juli 1979 VIII B 84/78, BFHE 128, 164, BStBl II 1979, 567). Die Aussetzung der Vollziehung ist eine Ma脽nahme, die einen mit einer Anfechtungsklage (搂 40 Abs. 1 FGO) anfechtbaren Verwaltungsakt zur Voraussetzung hat. Wird im Hauptsacheverfahren dagegen eine Klage auf Feststellung (搂 41 FGO) erhoben, so ist eine Aussetzung der Vollziehung im Hinblick auf dieses Klageziel schon begrifflich nicht denkbar; denn es ist nichts vorhanden, was im Rahmen der erstrebten Feststellung hinsichtlich seiner Vollziehung ausgesetzt werden k枚nnte (Gr盲ber, Finanzgerichtsordnung, Anm. 1 zu 搂 114). Dennoch kann auch in diesen F盲llen ein Rechtsschutzbed眉rfnis des Kl盲gers nach Gew盲hrung vorl盲ufigen Rechtsschutzes bestehen. Das gilt insbesondere bei einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines auf eine Geldleistung gerichteten Steuerbescheids (oder eines zur Feststellung von Besteuerungsgrundlagen erlassenen Bescheids). In derartigen F盲llen kann dem FA unter den Voraussetzungen des 搂 114 FGO durch Erla脽 einer einstweiligen Anordnung vorl盲ufig untersagt werden, Folgerungen aus dem vom Kl盲ger f眉r nichtig angesehenen Bescheid zu ziehen (Beschlu脽 des Hessischen FG vom 17. August 1973 B I 23/73, Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 564 - EFG 1973, 564 -; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 10. Aufl., Anm. 1 a zu 搂 114 FGO; List in H眉bschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., Anm. 28 zu 搂 114 FGO; ebenso f眉r das verwaltungsgerichtliche Verfahren Schunk/de Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 3. Aufl., Anm. 3 f. zu 搂 123).
Das Begehren der Antragstellerin, aus dem - nach ihrer Ansicht nichtigen - Gewinnfeststellungsbescheid vom 25. Mai 1979 bis auf weiteres keine Folgen zu ziehen, ist unter diesen Umst盲nden als Antrag auf einstweilige Anordnung "zur Regelung eines vorl盲ufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverh盲ltnis" (搂 114 Abs. 1 Satz 2 FGO) anzusehen.
2. Dem FG ist darin zuzustimmen, da脽 dieser Antrag nicht begr眉ndet ist.
a) Voraussetzung f眉r den Erla脽 einer einstweiligen Anordnung ist, da脽 der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (搂 114 Abs. 3 FGO i. V. m. 搂 920 Abs. 2 ZPO). "Anspruch" im Sinne dieser Vorschrift ist hier der zur Hauptsache verfochtene Anspruch auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids (vgl. BFH-Beschlu脽 vom 14. Juli 1971 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633).
An der schl眉ssigen Darlegung eines solchen Anordnungsanspruchs fehlt es im Streitfall. Die Antragstellerin hat keine Umst盲nde vorgetragen, aus denen auf die Nichtigkeit des Gewinnfeststellungsbescheids vom 25. Mai 1979 geschlossen werden k枚nnte.
b) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verst盲ndiger W眉rdigung aller in Betracht kommenden Umst盲nde offenkundig ist (搂 125 Abs. 1 AO 1977). Welche Fehler im einzelnen als so schwerwiegend anzusehen sind, da脽 sie die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zur Folge haben k枚nnen, l盲脽t sich nur von Fall zu Fall entscheiden (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 27. April 1978 IV R 187/74, BFHE 126, 114, BStBl II 1979, 89). Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts wird von der Rechtsprechung (vor allem des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG -) als Ausnahme von dem Grundsatz angesehen, da脽 ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner G眉ltigkeit in sich trage (Urteil vom 11. Februar 1966 VII CB 149.64, BVerwGE 23, 237, 238).
In Anlehnung an diese Rechtsprechung ist davon auszugehen, da脽 ein Verwaltungsakt nicht schon allein deshalb nichtig ist, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder weil die in Frage kommenden Rechtsvorschriften unrichtig angewendet worden sind (BVerwG-Urteil vom 7. Oktober 1964 VI C 59-64.63, BVerwGE 19, 284, 287). Ein Verwaltungsakt verdient nur dann keine Beachtung - und ist deshalb als nichtig anzusehen - "wenn er die an eine ordnungsm盲脽ige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Ma脽 verletzt, da脽 von niemand erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen" (vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., S. 426; zum Meinungsstand im steuerrechtlichen Schrifttum hinsichtlich der Beurteilungsmerkmale f眉r die Annahme der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts vgl. Spanner in H眉bschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., Anm. 8 ff. zu 搂 125 AO).
Der dem Gewinnfeststellungsbescheid vom 25. Mai 1979 anhaftende inhaltliche Mangel ist nach Auffassung des Senats nicht so schwerwiegend, da脽 er zur Nichtigkeit des Bescheids f眉hrt. Die Antragstellerin war zwar nach ihren Angaben im Streitjahr nicht mehr gewerblich t盲tig; die Feststellung von gewerblichen Eink眉nften f眉r das Streitjahr h盲tte demnach unterbleiben m眉ssen. Bei der Beurteilung der Schwere des dem Bescheid anhaftenden Mangels kann jedoch nicht au脽er Betracht bleiben, da脽 der Fehler durch das Verhalten der Antragstellerin veranla脽t worden ist. Denn sie hat es vers盲umt, den Beh枚rden von der Aufgabe ihres Betriebs Mitteilung zu machen; ebenso hat sie s盲mtliche Aufforderungen des FA zur Abgabe von Steuererkl盲rungen unbeantwortet gelassen. Bei dieser Sachlage stellt es keinen besonders schwerwiegenden Fehler des FA dar, wenn es von dem Fortbestand des Gewerbebetriebs der Antragstellerin ausging und f眉r die Streitjahre einen Bescheid 眉ber die (vermuteten) gewerblichen Eink眉nfte erlie脽. In diesem Sinne hat auch der VI. Senat des BFH in einem Fall entschieden, in dem ein der Kirche nicht mehr angeh枚render Steuerpflichtiger zur Kirchensteuer herangezogen wurde, weil er sich versehentlich in seinen Einkommensteuererkl盲rungen f眉r die betreffenden Jahre als Angeh枚riger der r枚misch-katholischen Kirche bezeichnet hatte; der VI. Senat sah den Kirchensteuerbescheid nicht als nichtig an (Urteil vom 17. Oktober 1979 VI R 106/78, nicht ver枚ffentlicht).
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Fundstellen
亿兆体育-Index 74046 |
BStBl II 1982, 133 |
BFHE 1981, 223 |