听
Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung durch Prozess鈥 statt durch Sachurteil als Verfahrensmangel; Treu und Glauben
听
Leitsatz (NV)
1. Es stellt einen Verfahrensmangel i.S. des 搂 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn 眉ber eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird.
2. Der auch im Steuerrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben kann bewirken, dass die Finanzbeh枚rde die Befugnis verliert, sich auf das Fehlen eines wirksamen Einspruchs zu berufen.
听
Normenkette
FGO 搂听115 Abs. 2 Nr. 3, 搂听116 Abs. 6; AO 搂听172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 搂听173 Abs. 1 Nr. 1; BGB 搂 242
听
Verfahrensgang
FG M眉nchen (Urteil vom 13.11.2006; Aktenzeichen 15 K 4596/04) |
听
Tatbestand
I. Der Kl盲ger und Beschwerdef眉hrer (Kl盲ger) ist freiberuflich t盲tig. Die Kanzlei des Kl盲gers befindet sich in M. Er unterh盲lt ein weiteres B眉ro in dem ihm und seiner Ehefrau geh枚renden Wohnhaus in W.
M geh枚rt zum Zust盲ndigkeitsbereich des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) und W zum Zust盲ndigkeitsbereich des Finanzamts F (Wohnsitz-FA).
F眉r die Streitjahre 1997 bis 1999 erlie脽 das FA Bescheide 眉ber die gesonderte Gewinnfeststellung und das Wohnsitz-FA Einkommensteuerbescheide.
Aufgrund Pr眉fungsanordnung des FA vom 22. Januar 2002, die u.a. die gesonderten Gewinnfeststellungen und die Umsatzsteuer f眉r die Streitjahre umfasste, und Pr眉fungsanordnung vom 19. Februar 2002, die sich auf die Einkommensteuer f眉r die Streitjahre erstreckte, f眉hrte das FA Au脽enpr眉fungen beim Kl盲ger durch. Laut Pr眉fungsbericht vom 25. April 2002 wies das vom Kl盲ger gef眉hrte Fahrtenbuch M盲ngel auf. Der Betriebspr眉fer setzte den privaten Nutzungsanteil f眉r den PKW des Kl盲gers mit monatlich 1 v.H. des Bruttolistenpreises an. Au脽erdem lie脽 er Kosten f眉r einige Fahrten des Kl盲gers zwischen seiner Kanzlei in M und der "Betriebsst盲tte" in seinem Wohnhaus in W nicht zum Abzug als Betriebsausgaben zu. Diese Feststellungen f眉hrten zu entsprechend h枚heren Gewinnen des Kl盲gers aus seiner freiberuflichen T盲tigkeit. Die Gewinnerh枚hungen nahm der Betriebspr眉fer auch in den Bericht vom 14. Juni 2002 auf, den er aufgrund der Au脽enpr眉fung im Auftrag des Wohnsitz-FA fertigte.
Auf der Grundlage des Berichts vom 14. Juni 2002 erlie脽 das Wohnsitz-FA am 12. Juli 2002 nach 搂 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) ge盲nderte Einkommensteuerbescheide f眉r die Streitjahre. Gegen diese Bescheide legte der Kl盲ger mit Schreiben vom 1. August 2002 Einspr眉che ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Er wandte sich u.a. gegen die Nichtanerkennung des Fahrtenbuchs und die Nichtber眉cksichtigung der Kosten f眉r Fahrten zwischen M und W.
Am 21. August 2002 erlie脽 das FA auf der Grundlage der Feststellungen im Bericht vom 25. April 2002 ge盲nderte Gewinnfeststellungsbescheide.
Mit Schreiben vom 30. August 2002 teilte das FA dem Kl盲ger mit, dass es seine Einwendungen gegen den Pr眉fungsbericht vom 14. Juni 2002 als Einspr眉che gegen die Gewinnfeststellungsbescheide behandele. Au脽erdem stellte das FA anheim, die Erfolgsaussichten der Einspr眉che zu 眉berdenken und ggf. die R眉cknahme zu erkl盲ren. Es k眉ndigte an, 眉ber die Einspr眉che nach Aktenlage zu entscheiden, falls der Kl盲ger bis zum 27. September 2002 nicht antworte.
Mit Schreiben vom 13. September 2002 legte der Kl盲ger gegen die vom FA erlassenen Umsatzsteuerbescheide f眉r die Streitjahre gleichfalls Einspr眉che ein und verwies zur Begr眉ndung auf seine beim Wohnsitz-FA gegen die Einkommensteuerbescheide eingelegten Einspr眉che f眉r die Streitjahre. Das FA vermerkte daraufhin handschriftlich auf dem Einspruchsschreiben: "E. gilt demzufolge auch f眉r GewinnFB 97 - 99 vom 21.8.02 (s. Schr. FA an Stpfl v. 30.08.02 脼'Treu u. Glauben')."
Unter dem 16. September 2004 盲nderte das FA die Gewinnfeststellungsbescheide vom 21. August 2002 zu Gunsten des Kl盲gers nach 搂 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen anderer Streitpunkte. Es teilte mit, dass die 脛nderung aufgrund der Einspr眉che vom 13. September 2002 erfolge und diese Einspr眉che damit nicht erledigt seien.
Mit Einspruchsentscheidung vom 1. Oktober 2004 wies das FA die Einspr眉che vom 13. September 2002 gegen die ge盲nderten Gewinnfeststellungsbescheide vom 21. August 2002 in Gestalt der 脛nderungsbescheide vom 16. September 2004 als unbegr眉ndet zur眉ck.
Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und wies die Klage im 脺brigen ab. Es f眉hrte u.a. aus: Die Klage sei unzul盲ssig, soweit sie sich gegen die ge盲nderten Gewinnfeststellungsbescheide richte. Denn der Kl盲ger habe die ge盲nderten Gewinnfeststellungsbescheide vom 21. August 2002 nicht innerhalb der hierf眉r vorgesehenen Monatsfrist mit dem Einspruch angefochten. Bei dem Schreiben des Kl盲gers vom 13. September 2002 handele es sich um einen Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide 1997 bis 1999 vom 4. September 2002. Es k枚nne nicht als Einspruch gegen die Gewinnfeststellungsbescheide gewertet werden. Hieran 盲ndere auch das Schreiben des FA an den Kl盲ger vom 30. August 2002 nichts. Zul盲ssig und begr眉ndet sei die Klage nur insoweit, als sie sich gegen die Einspruchsentscheidung vom 1. Oktober 2004 richte. Da es an einem wirksamen Einspruch des Kl盲gers fehle, sei die Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kl盲ger Verfahrensm盲ngel i.S. von 搂 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend. Er habe die ge盲nderten Gewinnfeststellungsbescheide vom 21. August 2002 wirksam angefochten. Hiervon sei auch das FA w盲hrend des gesamten Klageverfahrens ausgegangen. Das FG habe daher nicht davon absehen d眉rfen, zur Sache zu entscheiden.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzul盲ssig zu verwerfen.
听
贰苍迟蝉肠丑别颈诲耻苍驳蝉驳谤眉苍诲别
II. Die Beschwerde ist zul盲ssig und begr眉ndet. Sie f眉hrt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zur眉ckverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (搂 116 Abs. 6 FGO).
1. Der Senat versteht das Vorbringen des Kl盲gers dahin, dass das FG zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden habe. Darin liegt die R眉ge eines Verfahrensmangels i.S. des 搂 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
Nach der st盲ndigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des 搂 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn 眉ber eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (z.B. Urteil vom 16. November 1993 VIII R 7/93, BFH/NV 1994, 891; Beschl眉sse vom 13. M盲rz 2003 VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609; vom 5. Oktober 2004 II B 140/03, BFH/NV 2005, 237, jeweils m.w.N.).
2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt auch vor. Das FG hat die Klage gegen die ge盲nderten Gewinnfeststellungsbescheide zu Unrecht als unzul盲ssig abgewiesen.
Zwar ist das FG an einer Sachpr眉fung gehindert und muss die Klage durch Prozessurteil abweisen, wenn die angegriffenen Steuerbescheide formell bestandskr盲ftig geworden sind, weil sie nicht innerhalb der Einspruchsfrist angefochten worden sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. Februar 1990 I R 156/86, BFHE 160, 123, BStBl II 1990, 696). Im Streitfall ist der Kl盲ger jedoch entgegen der Auffassung des FG nach Treu und Glauben (搂 242 des B眉rgerlichen Gesetzbuchs) so zu behandeln, als ob er die ge盲nderten Gewinnfeststellungsbescheide vom 21. August 2002 rechtzeitig und formwirksam angefochten hat.
Der auch im Steuerrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben besagt, dass im konkreten Steuerrechtsverh盲ltnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen R眉cksicht zu nehmen hat und sich nicht zu seinem eigenen fr眉heren Verhalten in Widerspruch setzen darf, sofern der andere darauf vertraut und aufgrund dessen unwiderruflich disponiert hat (vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990, m.w.N.). Zu den Folgen, die den Beteiligten am Steuerschuldverh盲ltnis aus seinem treuwidrigen Verhalten treffen, kann nach der Rechtsprechung des BFH auch geh枚ren, dass er die Befugnis verliert, die Unwirksamkeit eines Steuerverwaltungsakts geltend zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 1995 VII R 51/94, BFH/NV 1995, 862). Entsprechend kann der Grundsatz von Treu und Glauben auch bewirken, dass eine Beh枚rde die Befugnis verliert, sich auf das Fehlen eines wirksamen Einspruchs zu berufen. Dies trifft im Streitfall zu.
Das FA hatte dem Kl盲ger mit Schreiben vom 30. August 2002 mitgeteilt, dass es seine Einwendungen gegen den Pr眉fungsbericht vom 14. Juni 2002 als Einspr眉che gegen die Gewinnfeststellungsbescheide behandele, und angek眉ndigt, 眉ber die Einspr眉che nach Aktenlage zu entscheiden, falls der Kl盲ger diese nicht bis zum 27. September 2002 zur眉cknehme. An diese Mitteilung ist das FA gebunden. Sie war unmissverst盲ndlich, so dass der Kl盲ger zu Recht darauf vertrauen konnte, dass das FA bereits vom Vorliegen wirksamer Einspr眉che gegen die Gewinnfeststellungsbescheide ausging und deshalb f眉r ihn zu einer --aus der Sicht der Beh枚rde nochmaligen-- Einlegung von Einspr眉chen kein Anlass mehr bestand. Tats盲chlich hat sich das FA auch an seine Mitteilung gebunden gef眉hlt und eine Einspruchsentscheidung zur Sache getroffen. Das FA w眉rde gegen sein eigenes vorangegangenes Tun versto脽en, wenn es sich nunmehr auf das Fehlen wirksamer Einspr眉che berufen w眉rde, nachdem es den Kl盲ger durch seine Mitteilung davon abgehalten hat, Einspr眉che einzulegen.
Der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben steht abweichend von der Ansicht des FG nicht das BFH-Urteil vom 30. Juli 1997 I R 7/97 (BFHE 184, 88, BStBl II 1998, 33) entgegen. Danach bringt der Grundsatz von Treu und Glauben keine Steueranspr眉che zum Entstehen oder Erl枚schen, sondern kann allenfalls verhindern, dass eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann. Im Streitfall geht es nicht um die Entstehung oder das Erl枚schen eines Steueranspruchs (搂搂 38, 47 AO), sondern allein darum, dass sich das FA durch sein Verhalten im Verwaltungsverfahren gegen眉ber dem Kl盲ger gebunden und deshalb das Recht verloren hat, sich auf das Fehlen wirksamer Einspr眉che des Kl盲gers zu berufen. Dies ist auch vom FG bei der Beurteilung der Zul盲ssigkeitsvoraussetzungen f眉r die Klage zu beachten.
3. Der Senat h盲lt es f眉r sachgerecht, die Vorentscheidung nach 搂 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zur眉ckzuverweisen. Dieses wird nunmehr 眉ber die Rechtm盲脽igkeit der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide zu entscheiden haben.
听
Fundstellen
亿兆体育-Index 1797591 |
BFH/NV 2007, 1921 |