听
Entscheidungsstichwort (Thema)
Augenblicksversagen als subjektiver Schuldminderungsgrund objektiv grobfahrl盲ssigen Verhaltens, hier: Deckungsschutz in der Kraftfahrzeugkaskoversicherung nach Rotlichtversto脽
听
Leitsatz (amtlich)
Ein Augenblicksversagen ist allein noch kein Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrl盲ssigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrl盲ssigkeit gegeben sind.
听
Orientierungssatz
Zitierungen: Abgrenzung BGH, 1989-02-08, IVa ZR 57/88, VersR 1989, 582 und BGH, 1989-04-05, IVa ZR 39/88, VersR 1989, 840.
听
Normenkette
VVG 搂 61; AKB 搂听12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e, 搂听13 Abs. 1
听
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 26.06.1991; Aktenzeichen 17 U 296/89) |
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 14.11.1989; Aktenzeichen 2/26 O 186/90) |
听
Tatbestand
Die Kl盲gerin verlangt von der Beklagten, ihrem Kasko-Versicherer, Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in H枚he von 9.154,86 DM nebst Zinsen.
Sie befuhr am 9. September 1988 gegen 15.35 Uhr die Landstra脽e in Richtung K. Auf der gut ausgebauten und 眉bersichtlichen Kreuzung mit der Bundesstra脽e B 456 stie脽 sie mit dem Pkw des Verkehrsteilnehmers T. zusammen. Sie hatte 眉bersehen, da脽 die Ampel an der Kreuzung f眉r sie rotes Licht zeigte. Ihr Fahrzeug erlitt bei dem Unfall Totalschaden.
Die Beklagte hat behauptet, die Lichtzeichenanlage habe bereits l盲ngere Zeit Rot gezeigt, als die Kl盲gerin in die Kreuzung eingefahren sei. Denn der andere unfallbeteiligte Fahrer sei beim Umschalten der Ampel auf Gr眉n aus dem Stand angefahren und habe sich bereits mitten auf der Kreuzung befunden, als er mit dem Fahrzeug der Kl盲gerin zusammenstie脽. Die Kl盲gerin sei mit unverminderter Geschwindigkeit von 60 km/h in die Kreuzung eingefahren.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte bis auf einen Teil des Zinsanspruchs antragsgem盲脽 verurteilt. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
听
贰苍迟蝉肠丑别颈诲耻苍驳蝉驳谤眉苍诲别
Die Revision hat Erfolg. Die Kl盲gerin hat keinen Anspruch nach 搂搂 12 Abs. 1 II e, 13 Abs. 1 AKB, denn die Beklagte ist nach 搂 61 VVG von der Leistung befreit. Die Kl盲gerin hat den Unfall grob fahrl盲ssig herbeigef眉hrt. Das Berufungsgericht hat den Begriff der groben Fahrl盲ssigkeit verkannt.
1. Allerdings ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, da脽 die Kl盲gerin objektiv grob fahrl盲ssig gehandelt hat.
Es f眉hrt aus, die Kl盲gerin habe die Ampelanlage an der Kreuzung bei Rotlicht 眉berfahren. Die Ampel habe f眉r die Kl盲gerin schon l盲ngere Zeit auf Rot gestanden. Dieses Verhalten der Kl盲gerin sei objektiv als grob fahrl盲ssig zu bewerten, denn es stelle einen schweren Versto脽 gegen die im konkreten Fall gebotene Sorgfalt dar, der 眉ber ein normales Ma脽 deutlich hinausgehe. Dies sei beim 脺berfahren einer roten Ampel in aller Regel der Fall. Diese Ausf眉hrungen sind rechtsfehlerfrei.
2. Das Berufungsgericht meint aber, die subjektiven Voraussetzungen f眉r die Wertung dieses Verhaltens als grob fahrl盲ssig l盲gen nicht vor. Der Rotlichtversto脽 der Kl盲gerin beruhe auf einem Augenblicksversagen. Sie habe bei ihrer Anh枚rung angegeben, die Ampel w盲hrend der Ann盲herung st盲ndig beobachtet zu haben. Sie habe subjektiv den Eindruck gehabt, diese zeige fortw盲hrend gr眉nes Licht, so da脽 sie der Meinung gewesen sei, die Kreuzung 眉berqueren zu d眉rfen. Dies sei 鈥 nach Auffassung des Berufungsgerichts 鈥 so zu erkl盲ren, da脽 die Kl盲gerin kurzfristig geistesabwesend gewesen sei, denn sonst h盲tte sie das Umspringen des Ampellichts von Gr眉n auf Gelb und Rot bemerken m眉ssen. Die Kl盲gerin sei nicht in Eile gewesen. Mit etwa 60 km/h sei sie auf der gut ausgebauten Landstra脽e nicht besonders schnell gefahren.
Das Berufungsgericht sieht darin einen Ausnahmefall, bei dem das Verhalten der Kl盲gerin eine minderschwere Beurteilung verdiene.
3. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Die Ausf眉hrungen des Berufungsgerichts zur subjektiven Seite der groben Fahrl盲ssigkeit sind von Rechtsfehlern beeinflu脽t.
a) Nach st盲ndiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt f眉r den Begriff der groben Fahrl盲ssigkeit nicht ein ausschlie脽lich objektiver, nur auf die Verhaltensanforderungen des Verkehrs abgestellter Ma脽stab. Vielmehr sind auch Umst盲nde zu ber眉cksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (vgl. BGHZ 10, 14, 17; Urteil vom 11. Juli 1967 - VI ZR 14/66 - VersR 1967, 909, 910 und seither; kritisch vgl. M眉ller, VersR 1985, 1101). Subjektive Besonderheiten k枚nnen im Einzelfall im Sinne einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrl盲ssigkeit ins Gewicht fallen (BGH, Urteil vom 11. Juli 1967 aaO).
In j眉ngerer Zeit hat die Rechtsprechung vermehrt grobe Fahrl盲ssigkeit deshalb verneint, weil der Handelnde nur f眉r einen Augenblick versagte (vgl. OLG Hamm, VersR 1990, 1230, VersR 1991, 223, VersR 1991, 1368; OLG Frankfurt, VersR 1992, 230; OLG K枚ln, VersR 1991, 1266; grobe Fahrl盲ssigkeit aber bejahend bei Ampelverst枚脽en OLG Hamm, VersR 1988, 1260; OLG K枚ln, NJW-RR 1991, 480). Das ist dann rechtsfehlerhaft, wenn nicht noch weitere subjektive Umst盲nde hinzukommen, die es rechtfertigen, im Einzelfall unter Abw盲gung aller Umst盲nde den Schuldvorwurf geringer als grob fahrl盲ssig zu werten.
Der Ausdruck 鈥濧ugenblicksversagen鈥 beschreibt nur den Umstand, da脽 der Handelnde f眉r eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt au脽er acht lie脽. Dieser Umstand allein ist kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrl盲ssigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrl盲ssigkeit gegeben sind. Eine Vielzahl der F盲lle unbewu脽ter Fahrl盲ssigkeit (nicht alle, wie M眉ller aaO, S. 1103 unter 3. zu meinen scheint), insbesondere bei Regelverst枚脽en im Stra脽enverkehr, beruht gerade darauf, da脽 der Handelnde f眉r eine kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Gebot oder Verbot 眉bersieht. Da脽 der Versicherungsnehmer an die erh枚hte Gefahr oder an die gebotene Verhaltensalternative nicht gedacht hat, ist typisch f眉r F盲lle der unbewu脽ten Fahrl盲ssigkeit und schlie脽t f眉r sich allein die M枚glichkeit einer groben Fahrl盲ssigkeit noch nicht aus (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. Anm. O I Rdn. 28). Vielmehr m眉ssen weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umst盲nde hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen.
Das hat das Berufungsgericht verkannt. Soweit es sich f眉r seine Auffassung auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. April 1989 (IVa ZR 39/88, VersR 1989, 840) beruft, 眉bersieht es, da脽 in jenem Fall besondere Umst盲nde in der Person der Kl盲gerin vorgetragen waren, die den Vorwurf eines auch subjektiv unentschuldbaren Verhaltens entfallen lassen konnten. Die Kl盲gerin litt nach ihrem Vortrag an Hirnleistungsschw盲che und Gef盲脽sklerose, die ihr Ged盲chtnis- und Konzentrationsverm枚gen beeintr盲chtigten. Schuldmindernd kann auch zu ber眉cksichtigen sein, wenn das Augenblicksversagen seine Ursache in einer Konzentrationsschw盲che hat, die darauf beruht, da脽 der Handelnde mit einer bestimmten T盲tigkeit dauernd besch盲ftigt ist, die st盲ndig Konzentration erfordert (vgl. Bruck/M枚ller, VVG 8. Aufl. 搂 61 Anm. 46, S. 552). Auf diese Begr眉ndung einer Schuldminderung geht die Entscheidung des Senats vom 8. Februar 1989 (IVa ZR 57/88, VersR 1989, 582) zur眉ck, bei der eine zur Routine gewordene Handhabung eines Ladekrans zu beurteilen war. Sollte aus dieser Entscheidung zu entnehmen sein, da脽 ein Augenblicksversagen schon f眉r sich genommen, ohne Hinzutreten besonderer individueller Umst盲nde ein Grund der Schuldminderung sein kann, h盲lt der Senat daran nicht mehr fest.
Von den F盲llen, die den beiden genannten Entscheidungen zugrunde lagen, unterscheidet sich die Teilnahme eines Kraftfahrers im Stra脽enverkehr. Es kann offenbleiben, ob eine Konzentrationsschw盲che, die sich bei langer Autofahrt auf freier Landstra脽e einstellt, ein ausreichender subjektiver Grund sein kann, das augenblickliche Versagen eines Verkehrsteilnehmers zu entschuldigen. Jedenfalls ist das Heranfahren an eine Kreuzung keine Dauert盲tigkeit; sie erfordert jedesmal erneut besondere Aufmerksamkeit. Eine 鈥瀔urzfristige Geistesabwesenheit鈥 ist 鈥 wie das Berufungsgericht meint 鈥 keine ausreichende, entschuldigende Begr眉ndung f眉r ein Au脽erachtlassen der notwendigen Sorgfalt.
Welche hinzutretenden Gr眉nde geeignet sein k枚nnen, den Schuldvorwurf zu mindern, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei wird auch die Gef盲hrlichkeit der Handlung eine Rolle spielen, denn mit der Gr枚脽e der m枚glichen Gefahr w盲chst auch das Ma脽 der zu erwartenden Sorgfalt (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1977 - III ZR 200/74 - VersR 1977, 817 unter II 2). Das 脺berfahren einer Kreuzung birgt hohe Gefahren, insbesondere wenn sie f眉r den Verkehrsteilnehmer durch rotes Ampellicht gesperrt ist. Deshalb sind auch besonders hohe Anforderungen an den Verkehrsteilnehmer zu stellen. Von einem durchschnittlich sorgf盲ltigen Kraftfahrer kann und mu脽 verlangt werden, da脽 er an die Kreuzung jedenfalls mit einem Mindestma脽 an Konzentration heranf盲hrt, das es ihm erm枚glicht, die Verkehrssignalanlage wahrzunehmen und zu beachten. Er darf sich nicht von weniger wichtigen Vorg盲ngen und Eindr眉cken ablenken lassen (vgl. OLG Hamm, VersR 1988, 1260).
b) Dieses Ma脽 an Konzentration hat die Kl盲gerin subjektiv unentschuldbar nicht aufgebracht. Das kann der Senat entscheiden, denn weitere Tatsachen, die es rechtfertigen k枚nnten, das Verhalten der Kl盲gerin geringer als grob fahrl盲ssig zu bewerten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und sind von den Parteien auch nicht vorgetragen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann vom 盲u脽eren Geschehensablauf und vom Ausma脽 des objektiven Pflichtversto脽es auf innere Vorg盲nge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (vgl. Urteil vom 8. Februar 1989 - IVa ZR 57/88 - aaO unter 4 d, m.w.N.). Mangels entlastender Umst盲nde ist im vorliegenden Fall der Schlu脽 zu ziehen, da脽 die Kl盲gerin auch subjektiv unentschuldbar handelte, als sie die auf Rot geschaltete Ampel unbeachtet lie脽 und in die Kreuzung mit unverminderter Geschwindigkeit einfuhr. Es tritt hinzu, da脽 die Kl盲gerin auch das Herannahen des Verkehrsteilnehmers T. mit seinem Fahrzeug trotz guter Sicht unbeachtet lie脽. Auch f眉r diesen weiteren objektiven Pflichtversto脽 fehlen Anhaltspunkte, die die Sorglosigkeit der Kl盲gerin subjektiv geringer als grob fahrl盲ssig erscheinen lassen.
c) Das Berufungsgericht hat er枚rtert, ob die Kl盲gerin das rote Ampellicht 眉bersehen haben k枚nnte, weil ihre Wahrnehmung durch Sonnenstrahlen gegen die Ampel beeintr盲chtigt gewesen sein k枚nnte. Es hat ausgef眉hrt, ein solcher Tatbestand sei zwar nicht ausgeschlossen, k枚nne aber nicht als wahrscheinlich oder gar sicher angenommen werden, weil der hinter der Kl盲gerin fahrende Verkehrsteilnehmer K. den Farbwechsel der Ampelanlage auf Rot ohne Schwierigkeiten erkannt habe. Diese Er枚rterungen des Berufungsgerichts n枚tigen nicht zur Zur眉ckverweisung der Sache an das Berufungsgericht, damit eine etwaige Sichtbeeintr盲chtigung der Kl盲gerin durch Sonneneinstrahlung festgestellt werden kann. Denn wie das Berufungsgericht auch ausf眉hrt, hat die Kl盲gerin eine Irritation oder Blendung durch das Sonnenlicht nicht behauptet. Sie hat nur 鈥 ebenso wie bei ihrer Anh枚rung vor dem Landgericht 鈥 den Versuch unternommen, ihr Verhalten auf diese Weise zu erkl盲ren. Das Berufungsgericht hat schon deshalb zutreffend seiner Beurteilung eine Sichtbehinderung durch Sonnenlicht nicht zugrunde gelegt.
听
Fundstellen
亿兆体育-Index 60199 |
BGHZ 119, 147-152 (LT) |
BGHZ, 147 |
NJW 1992, 2418 |
NJW 1992, 2418-2419 (LT) |
LM VVG 搂 61, Nr. 39 (2/1993) (LT) |
BGH aktuell 1992, Nr. 15, 7 (S) |
BGHR VVG 搂 61, Fahrl盲ssigkeit, grobe 6 (LT) |
EBE/BGH 1992, 266-267 (LT) |
ZAP Fach 9 R, 23-24 (L) |
DAR 1992, 369-371 (ST) |
JuS 1993, 255 |
JuS 1993, 255 (L) |
MDR 1992, 945 (LT) |
NJ 1992, 568 (S) |
NZV 1992, 402-403 (LT) |
RuS 1992, 292-294 (ST) |
VRS 84, 18-20 (1993) (ST) |
VerBAV 1993, 129-130 (LT) |
VerkMitt 1992, Nr. 78 (ST) |
VersR 1992, 1085-1086 (LT) |
ZfSch 1992, 378 (LT) |