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Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des Gegenstands des Klagebegehrens
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Leitsatz (NV)
1. F眉r die Bestimmung des Gegenstands des Klagebegehrens mu脽 auf die dem FG vorliegenden Akten sowie die sonstigen Umst盲nde zur眉ckgegriffen werden.
2. Die in 搂 65 Abs. 2 Satz 1 FGO dem Vorsitzenden oder des von ihm bestimmten Richters auferlegte Verpflichtung, zur Erg盲nzung der Klageschrift aufzufordern, dient dem Anspruch des B眉rgers auf eine m枚glichst wirksame Kontrolle der Akte der 枚ffentlichen Gewalt.
3. Bei der Auslegung der Klageschrift hat das FG eine beigef眉gte Einspruchsentscheidung sowie das Vorbringen im gleichzeitig anh盲ngigen Aussetzungsverfahren zu ber眉cksichtigen.
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Normenkette
FGO 搂 65 Abs.听1-2; GG Art.听19 Abs. 4, Art.听103 Abs. 1
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Tatbestand
Mit Schriftsatz vom 26. August 1993 erhoben die Proze脽bevollm盲chtigten f眉r die Kl盲gerin und Revisionskl盲gerin (Kl盲gerin) unter Beif眉gung der Einspruchsentscheidung "vorsorglich und fristwahrend" Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1991 in Gestalt der Einspruchsentscheidung und versprachen, Vollmacht, Klageantrag und die Klagebegr眉ndung nachzureichen. Den daneben gestellten und mit Schriftsatz vom 24. September 1993 begr眉ndeten Antrag auf Aussetzung lehnte das Finanzgericht (FG) mit Beschlu脽 vom 10. November 1994 ab, weil bei der gebotenen summarischen Pr眉fung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtm盲脽igkeit des angefochtenen Bescheides best眉nden.
Der Berichterstatter hatte mit Verf眉gung vom 1. September 1993 eine Ausschlu脽frist zur Bezeichnung des Streitgegenstandes und zur Beibringung der Vollmacht bis zum 30. September 1993 gesetzt. Au脽erdem bat er um die Begr眉ndung der Klage. Mit Telefax vom 13. September 1993 眉bermittelten die Proze脽bevollm盲chtigten die Proze脽vollmacht; am 1. Oktober 1993 gingen die Originalvollmacht beim FG sowie ein Schriftsatz vom 24. September 1993 ein, mit dem vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter (Defekt des Druckers) Vers盲umung der Klagebegr眉ndungsfrist beantragt wurde.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG f眉hrte u. a. aus, die Klage gen眉ge nicht den Mindest erfordernissen des 搂 65 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Eine hinreichende Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens setze bei einer Anfechtungsklage voraus, da脽 der Kl盲ger substantiiert und in sich schl眉ssig darlege, da脽 der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze.
Im Streitfall habe es bei Ablauf der Ausschlu脽frist (搂 65 Abs. 2 Satz 2 FGO i. d. F. des Gesetzes zur 脛nderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 21. Dezember 1992 -- FGO-脛ndG --, BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) an jeglichem substantiierten Tatsachenvortrag der zu r眉genden Rechtsverletzung gefehlt. Der Klageschrift k枚nne nicht entnommen werden, worin die Kl盲gerin die Rechtswidrigkeit gesehen habe und durch welche konkrete Ber眉cksichtigung bzw. Nichtber眉cksichtigung von steuerlich relevanten Sachverhalten sie sich in ihren Rechten verletzt f眉hle.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision wird die Verletzung von Bundesrecht (搂 65 Abs. 2 i. V. m. 搂 119 Nr. 3 FGO) geltend gemacht.
Die Kl盲gerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das FG zur眉ckzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) hat von einer Stellungnahme abgesehen.
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Die Revision ist begr眉ndet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zur眉ckverwiesen (搂 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, da脽 die Kl盲gerin den Gegenstand des Klagebegehrens in der Ausschlu脽frist nicht i. S. von 搂 65 Abs. 1 Satz 1 FGO bezeichnet habe.
1. Gem盲脽 搂 65 Abs. 1 Satz 1 FGO mu脽 die Klage den Kl盲ger, den Beklagten, den Gegenstand des Klagebegehrens und bei Anfechtungsklagen auch den angefochtenen Verwaltungsakt bezeichnen. Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten (搂 65 Abs. 1 Satz 2 FGO). Eine i. S. von 搂 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ausreichende Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens (Streitgegenstand) erfordert die substantiierte Darlegung des Kl盲gers, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und er in seinen Rechten verletzt ist (st盲ndige Rechtsprechung, z. B. Beschlu脽 des Gro脽en Senats des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99; BFH-Urteil vom 16. M盲rz 1988 I R 93/84, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895). Den Begriff "Gegenstand des Klagebegehrens" hat der Gesetzgeber mit dem FGO-脛ndG eingef眉hrt, ohne da脽 sich dadurch hinsichtlich der an die Konkretisierung des Klagebegehrens zu stellenden Mindestanforderungen eine sachliche 脛nderung ergeben h盲tte (BFH-Urteil vom 12. September 1995 IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16, sowie Beschl眉sse vom 15. November 1994 VIII B 29/94, BFH/NV 1995, 886; vom 27. November 1995 X B 52/95, BFH/NV 1996, 421).
Als prozessuale Willenserkl盲rung ist die Klageschrift in gleicher Weise wie Willenserkl盲rungen i. S. des B眉rgerlichen Gesetzbuches (BGB) analog 搂 133 BGB auszu legen. Dabei sind zur Bestimmung des Gegenstandes des Klagebegehrens alle dem FG und dem FA bekannten und vern眉nftigerweise erkennbaren Umst盲nde tats盲chlicher und rechtlicher Art zu ber眉cksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 1989 III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846). Hinsichtlich der notwendigen Bezeichnung des Namens der Beteiligten ist durch die Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 30. April 1980 VII R 94/74, BFHE 130, 480, BStBl II 1980, 588, und vom 1. Oktober 1980 II R 37/78, BFHE 131, 527, BStBl II 1981, 105) bereits gekl盲rt, da脽 f眉r den Mu脽inhalt einer Klage auf die dem Gericht vorliegenden Akten sowie die sonstigen Umst盲nde zur眉ckgegriffen werden mu脽 (vgl. auch BFH-Urteil vom 11. Dezember 1992 VI R 162/88, BFHE 169, 507, BStBl II 1993, 306, und BFH-Beschlu脽 vom 29. November 1995 X B 328/94, BFHE 179, 222, sowie Senatsurteil vom 16. Juni 1994 IV R 97/92, BFH/NV 1995, 279). Das gilt nicht nur f眉r die Bestimmung des Kl盲gers (Senatsurteil vom 25. September 1985 IV R 180/83, BFH/NV 1986, 171, sowie BFH-Urteile in BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846, und vom 8. Januar 1991 VII R 61/88, BFH/NV 1991, 795, sowie BFH-Beschlu脽 in BFHE 179, 222) und des Beklagten (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1995, 279, m. w. N.), sondern auch f眉r die Bestimmung des angefochtenen Verwaltungsaktes (BFH-Urteil vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532) sowie f眉r die Bestimmung des Gegenstandes des Klagebegehrens. Nur diese Auslegung des 搂 65 Abs. 1 Satz 1 FGO tr盲gt dem Grundsatz der rechtsschutzgew盲hrenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes -- GG --) Rechnung (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1995, 279, sowie Beschlu脽 des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, BStBl II 1976, 271).
Allerdings gew盲hrt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Pr盲klusionsvorschriften, die an eine schuldhafte Verletzung prozessualer Obliegenheiten ankn眉pfen (BVerfG- Beschl眉sse vom 14. April 1988 1 BvR 1580/87, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit -- VGFGEntlG --, Rechtsspruch 42, und vom 31. Oktober 1989 1 BvR 732/89, StRK, VGFGEntlG, Rechtsspruch 46, H枚chstrichterliche Finanzrechtsprechung 1990, 447). Dennoch kommt eine Pr盲klusion nur dann in Betracht, wenn die betroffene Proze脽partei ihre Pflicht in besonders gravierender Weise verletzt hat (BVerfG-Beschlu脽 vom 30. Januar 1985 1 BvR 99/84, BVerfGE 69, 126, StRK, VGFGEntlG, Rechtsspruch 36). Auch wenn es Aufgabe der zust盲ndigen Gerichte ist, das Proze脽recht auszulegen und danach die Pr盲klusion festzulegen, so ist die Schwelle eines Versto脽es gegen objektives Verfassungsrecht jedoch erreicht und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn das Gericht es ablehnt, Antr盲ge und Ausf眉hrungen einer Proze脽partei zur Kenntnis zu nehmen (BVerfGE-Beschlu脽 in StRK, VGFGEntlG, Rechtsspruch 36). Deshalb ist geboten, 搂 65 Abs. 1 Satz 1 FGO hinsichtlich der Bestimmung des Gegenstandes des Klagebegehrens so auszulegen, da脽 bei der Setzung der gem盲脽 搂 65 Abs. 2 Satz 2 FGO m枚glichen Ausschlu脽frist der Anspruch des B眉rgers auf eine m枚glichst wirksame Kontrolle der Akte der 枚ffentlichen Gewalt durch die Gerichte nicht unn枚tig erschwert wird (BVerfG-Beschlu脽 in BStBl II 1976, 271). Das ist vor allem zu beachten, wenn der Vorsitzende oder der von ihm bestimmte Richter den Kl盲ger noch nicht zuvor -- so die in 搂 65 Abs. 2 Satz 1 FGO statuierte Verpflichtung -- zur Erg盲nzung der Klageschrift aufgefordert hat. Art. 19 Abs. 4 GG ist auch bei der Handhabung des Proze脽rechts durch die Gerichte zu beachten (BVerfG-Beschlu脽 vom 29. April 1980 2 BvR 1441/79, BVerfGE 54, 117) mit der Folge, da脽 das FG auch bei der Bestimmung des Gegenstandes des Klagebegehrens die bekannten oder erkennbaren Umst盲nde zu ber眉cksichtigen hat.
2. Im Streitfall hat das FG jedoch nicht die ihm bekannten oder alle ihm erkennbaren Umst盲nde ber眉cksichtigt. Zwar ist dem FA darin zuzustimmen, da脽 sich der Einspruchsentscheidung, die der Klageschrift beigef眉gt ist, h盲ufig nicht entnehmen l盲脽t, ob alle Streitpunkte eines vorangegangenen au脽ergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nach Ergehen der Einspruchsentscheidung noch aufrechterhalten bleiben. Im Streitfall hat die Kl盲gerin aber zu Recht geltend gemacht, da脽 der Klageschrift die Einspruchsentscheidung beigef眉gt worden war und sich daraus ergab, da脽 die Kl盲gerin die Steuerfreiheit gem盲脽 搂 3 Nr. 11 des Einkommensteuergesetzes f眉r die Honorare f眉r die Betreuung Jugendlicher, hilfsweise Kinderfreibetr盲ge, begehrte. Dar眉ber hinaus hatte sie mit dem gleichzeitig gestellten und am 30. September 1993, also noch vor Ablauf der im Klageverfahren gesetzten Ausschlu脽frist, begr眉ndeten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im einzelnen geltend gemacht, warum sie durch die Einspruchsentscheidung in ihren Rechten verletzt und beschwert sei. Das war dem FG auch bekannt. Es durfte die Begr眉ndung des Aussetzungsantrages trotz der aktenf枚rmigen Trennung nicht au脽er acht lassen, weil zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren ein notwendiger rechtlicher und tats盲chlicher Zusammenhang besteht (vgl. BFH-Beschlu脽 vom 16. Dezember 1987 I B 130/87, BFH/NV 1988, 788).
Das FG hat daher zu Unrecht ein Proze脽urteil erlassen, obwohl die Kl盲gerin den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet hatte. Es hat damit zugleich der Kl盲gerin das rechtliche Geh枚r versagt (搂 119 Nr. 3 FGO), da es seine gegen眉ber dem Rechtsuchenden obliegende Pflicht, das Vorbringen einer Proze脽partei zur Kenntnis zu nehmen, bei der Anwendung der gesetzten Ausschlu脽frist nicht erf眉llt hat (s. BVerfG- Beschlu脽 in StRK, VGFGEntlG, Rechtsspruch 36).
Die Entscheidung 眉ber die Kosten des Revisionsverfahrens einschlie脽lich des Verfahrens 眉ber die Nichtzulassungsbeschwerde wird dem FG 眉bertragen (搂 143 Abs. 2 FGO).
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Fundstellen
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BFH/NV 1997, 232 |