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Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche 脺berpr眉fung beh枚rdlicher Ermessensentscheidungen
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Leitsatz (amtlich)
F眉r die gerichtliche 脺berpr眉fung einer beh枚rdlichen Ermessensentscheidung sind die tats盲chlichen Verh盲ltnisse im Zeitpunkt der letztinstanzlichen Verwaltungsentscheidung auch dann ma脽gebend, wenn der angefochtene Verwaltungsakt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht vollzogen ist.
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Orientierungssatz
搂 131 Abs. 1 AO 1977 ist nicht nur auf sogenannte Dauerverwaltungsakte, sondern auch auf solche Verwaltungsakte anwendbar, die noch nicht vollzogen sind (vgl. Literatur).
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Normenkette
AO 1977 搂听131 Abs. 1, 搂听284; FGO 搂 102
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Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt 鈥旻A鈥) forderte den Kl盲ger und Revisionskl盲ger (Kl盲ger) nach im wesentlichen erfolglosen Vollstreckungsversuchen wegen r眉ckst盲ndiger Steuerforderungen zur Vorlage eines Verm枚gensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit und Vollst盲ndigkeit des Verzeichnisses auf. Der Kl盲ger legte das Verm枚gensverzeichnis vor, ohne die eidesstattliche Versicherung abzugeben. Nach erfolgloser Beschwerde erhob der Kl盲ger Klage gegen die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es vertrat die Auffassung, da脽 die tatbestandlichen Voraussetzungen des 搂 284 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorl盲gen und das FA auch von dem ihm nach 搂 284 Abs.2 Satz 2 AO 1977 einger盲umten Ermessen fehlerfreien Gebrauch gemacht habe. Insbesondere seien keine Anhaltspunkte daf眉r zu entdecken gewesen, da脽 dem FA die Verm枚gensverh盲ltnisse des Kl盲gers in dem Sinne zuverl盲ssig bekannt gewesen seien, da脽 es davon habe ausgehen m眉ssen, der Kl盲ger verf眉ge nicht 眉ber zur Vollstreckung geeignete Verm枚gensgegenst盲nde. Die vom Kl盲ger bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorgebrachten Umst盲nde 眉ber seinen Gesundheitszustand seien nicht substantiiert genug gewesen, um den angegriffenen Bescheid ermessensfehlerhaft erscheinen zu lassen. Soweit der Kl盲ger zwischenzeitlich nach Ergehen der letzten Verwaltungsentscheidung vorgetragen habe, da脽 sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe, k枚nne es hierauf nicht ankommen, da bei der vorliegenden Anfechtungsklage gegen eine Ermessensentscheidung der Verwaltung die Ber眉cksichtigung der Entwicklung nach Ergehen der Ermessensentscheidung grunds盲tzlich abzulehnen sei (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs 鈥旴FH鈥 vom 18.November 1975 VII R 85/74, BFHE 117, 430, BStBl II 1976, 257).
Die vom FG wegen grunds盲tzlicher Bedeutung der Frage, ob eine 脛nderung der Verh盲ltnisse nach Erla脽 der letzten Verwaltungsentscheidung bei Anfechtungsklagen gegen noch nicht vollzogene Ermessensentscheidungen der Verwaltung zu ber眉cksichtigen ist, zugelassene Revision begr眉ndet der Kl盲ger wie folgt:
Das FG h盲tte dem Beweisangebot auf Vernehmung der behandelnden 脛rztin als sachverst盲ndiger Zeugin 眉ber die sch盲dliche Wirkung einer eidesstattlichen Versicherung auf seinen, des Kl盲gers, Gesundheitszustand nachgehen m眉ssen. Das FG habe 眉bersehen, da脽 die 盲rztliche Bescheinigung das Datum des 14.Januar 1985 trage und Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung die Beschwerdeentscheidung vom 6.Dezember 1984 gewesen sei. Von einer zwischenzeitlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands sei in der Klagebegr眉ndung nicht die Rede gewesen. Die behandelnde 脛rztin h盲tte im Falle ihrer Anh枚rung auch Auskunft dar眉ber geben k枚nnen, ob sein, des Kl盲gers, Gesundheitszustand bereits im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung die Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung nicht zugelassen h盲tte.
Im 眉brigen seien auch bei einer Anfechtungsklage gegen eine Ermessensentscheidung Entwicklungen nach Ergehen der letzten Verwaltungsentscheidung zu ber眉cksichtigen. Dies ergebe sich entgegen der Darstellung des FG aus dem vom FG zitierten BFH-Urteil in BFHE 117, 430, BStBl II 1976, 257. Auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) betone, da脽 es keinen verwaltungsprozessualen Grundsatz des Inhalts gebe, da脽 die Ber眉cksichtigung der Entwicklung nach Ergehen der letzten Verwaltungsentscheidung abzulehnen sei (vgl. Urteile vom 25.November 1981 8 C 14.81, BVerwGE 64, 218, 221; vom 29.September 1982 8 C 138.81, BVerwGE 66, 178, 182).
Es sei zu bedenken, da脽 die Anordnung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung bis zu ihrem Vollzug eine Dauerwirkung entfalte. Gegen diese Dauerwirkung richte sich die Klage. Ihm 鈥昫em Kl盲ger鈥 sei nicht an einer Entscheidung 眉ber die Rechtsfrage gelegen, ob seinerzeit im Jahre 1984 die Anordnung zu Recht ergangen sei. Sein Interesse gehe vielmehr dahin, da脽 die Frage entschieden werde, ob die eidesstattliche Versicherung im Anschlu脽 an das FG-Urteil abgenommen werden d眉rfe. Dabei komme es entscheidend auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten m眉ndlichen Verhandlung vor dem FG an. Anderenfalls w眉rde das Gericht 眉ber einen Sachverhalt entscheiden, der der sp盲teren Vollstreckung nicht mehr zugrunde gelegt werden k枚nne.
Der Kl盲ger beantragt sinngem盲脽, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Aufforderung des FA zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 6.Dezember 1984 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegr眉ndet zur眉ckzuweisen.
Es macht geltend, da脽 der Kl盲ger bis zur Beschwerdeentscheidung keine substantiierten Bedenken im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand vorgetragen habe, die Anla脽 h盲tten geben k枚nnen, von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung abzusehen. Nur 眉ber die bis zu diesem Zeitpunkt erhobenen Bedenken habe das FG befinden k枚nnen.
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II. Die Revision ist unbegr眉ndet. Das FG hat seiner Entscheidung zu Recht die tats盲chlichen Verh盲ltnisse zugrunde gelegt, die der OFD im Zeitpunkt ihrer Beschwerdeentscheidung bekannt waren.
Nach der st盲ndigen Rechtsprechung des BFH sind f眉r die gerichtliche Nachpr眉fung von Ermessensentscheidungen die tats盲chlichen Verh盲ltnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ma脽geblich. Denn aus dem Wesen einer Ermessensvorschrift, einen Spielraum daf眉r zu geben, unter einer Mehrzahl rechtlich zul盲ssiger Verhaltensweisen w盲hlen zu lassen, folgt, da脽 die durch 搂 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Umfang nach umschriebene gerichtliche Rechtskontrolle der Ermessensentscheidung nur auf den Zeitpunkt der Wahl durch die Verwaltungsbeh枚rde selbst bezogen sein kann (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 10.Mai 1972 II 57/64, BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649; vom 26.Juli 1972 I R 158/71, BFHE 106, 489, BStBl II 1972, 919, 920; Senatsurteil vom 24.November 1987 VII R 138/84, BFHE 152, 289, BStBl II 1988, 364, 365 m.w.N.). Auch das BVerwG h盲lt bei der Anfechtung einer Ermessensentscheidung f眉r die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Rechtm盲脽igkeit der Ma脽nahme die Sachlage bei Erla脽 der letzten beh枚rdlichen Entscheidung f眉r ma脽gebend, weil die Rechtm盲脽igkeit einer Ermessensentscheidung nicht von der sp盲teren Entwicklung der tats盲chlichen Verh盲ltnisse abh盲ngen kann (vgl. Urteile vom 20.Mai 1980 1 C 82.76, BVerwGE 60, 133, 136; vom 6.Dezember 1985 4 C 23 u. 24.83, Neue Juristische Wochenschrift 鈥昇JW鈥 1986, 1186, 1187).
Der Senat hat bei einer Anfechtungsklage gegen eine Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung offengelassen, ob 脛nderungen der Verh盲ltnisse ber眉cksichtigt werden k枚nnen, die nach Erla脽 der letzten Verwaltungsentscheidung eingetreten sind (Senatsurteil in BFHE 117, 430, BStBl II 1976, 257, 258). Er hat seine Zweifel daran, ob bei Anfechtungsklagen gegen noch nicht vollzogene Verwaltungsakte 鈥昦uch wenn es sich um Ermessensentscheidungen handelt鈥 die Verh盲ltnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ma脽geblich sein k枚nnen, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG damit begr眉ndet, da脽 mit der Anfechtungsklage nicht nur eine gerichtliche Entscheidung 眉ber die Rechtm盲脽igkeit dieses Aktes im Zeitpunkt seines Ergehens begehrt werden k枚nne (Aufhebung ex tunc), sondern auch 眉ber die Rechtm盲脽igkeit seiner Aufrechterhaltung (Aufhebung ex nunc). Er hat allerdings darauf hingewiesen, da脽 das BVerwG von einer Ma脽geblichkeit der Verh盲ltnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nur bei noch nicht vollzogenen gebundenen Verwaltungsakten ausgegangen ist.
Der Senat h盲lt an der st盲ndigen Rechtsprechung, da脽 f眉r die gerichtliche 脺berpr眉fung von Ermessensentscheidungen die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ma脽gebend ist, auch f眉r den Fall fest, da脽 der angefochtene Verwaltungsakt noch nicht vollzogen ist. Die f眉r die Richtigkeit dieser Auffassung oben angef眉hrten Gr眉nde behalten ihre G眉ltigkeit unabh盲ngig davon, ob der angefochtene Verwaltungsakt vollzogen ist oder nicht. Ob die Beh枚rde das ihr einger盲umte Ermessen fehlerfrei ausge眉bt hat, kann nur auf der Grundlage der Verh盲ltnisse beurteilt werden, die der Beh枚rde im Zeitpunkt der 鈥昹etzten鈥 Ermessensaus眉bung bekannt waren oder bekannt sein mu脽ten.
An der Ma脽geblichkeit der tats盲chlichen Verh盲ltnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung kann auch das Interesse des Betroffenen an einer unmittelbaren gerichtlichen Entscheidung 眉ber die Rechtm盲脽igkeit der Aufrechterhaltung dieses Verwaltungsaktes nichts 盲ndern. Es ist dem Betroffenen bei ver盲nderter Sachlage vielmehr zuzumuten, insoweit ein neues Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen und wegen evtl. ver盲nderter Verh盲ltnisse die Aufhebung des im Zeitpunkt seines Erlasses rechtm盲脽igen Verwaltungsaktes gem盲脽 搂 131 Abs.1 AO 1977 zu beantragen. Diese Vorschrift ist nicht nur auf sogenannte Dauerverwaltungsakte (so aber K眉hn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., 搂 131 AO 1977 Anm.1), sondern auch auf solche Verwaltungsakte anwendbar, die noch nicht vollzogen sind (vgl. Woerner/Grube, Die Aufhebung und 脛nderung von Steuerverwaltungsakten, 8.Aufl., S.35). Diese Auslegung des 搂 131 Abs.1 AO 1977 entspricht dem Wortlaut der Vorschrift, der sich auf einen rechtm盲脽igen nicht beg眉nstigenden Verwaltungsakt bezieht und keine Dauerwirkung verlangt. Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift, der Beh枚rde Gelegenheit zu geben, ihre bisherige und fortwirkende Entscheidung unter Ber眉cksichtigung neuer tats盲chlicher Verh盲ltnisse zu 眉berpr眉fen, sprechen f眉r die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auch auf noch nicht vollzogene Verwaltungsakte. Da脽 vor allem Dauerverwaltungsakte von ihr betroffen werden (so Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., 搂 131 AO 1977 Tz.2), steht der Anwendung auf andere Verwaltungsakte nicht entgegen.
F眉r die Richtigkeit der Auffassung, da脽 im gerichtlichen Verfahren gegen eine noch nicht vollzogene Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Beh枚rde nur 眉ber ihre Rechtm盲脽igkeit im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung und nicht auch 眉ber die Rechtm盲脽igkeit ihrer Aufrechterhaltung zu entscheiden ist, spricht im 眉brigen auch die gesetzliche Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens. Der Gesetzgeber hat als Rechtsbehelf gegen die Anordnung der eidesstattlichen Versicherung nach 搂 284 AO 1977 durch die Finanzbeh枚rde die Beschwerde (搂 349 AO 1977) und damit die Entscheidung durch die n盲chsth枚here Beh枚rde (搂 368 Abs.2 Satz 2 AO 1977) vorgesehen, wenn die Finanzbeh枚rde der Beschwerde nicht abhelfen will. Die gesetzlich vorgesehene Entscheidungsbefugnis der n盲chsth枚heren Beh枚rde w眉rde unter Umst盲nden dann nicht wirksam werden, wenn ma脽gebend f眉r die gerichtliche Entscheidung nicht die Verh盲ltnisse im Zeitpunkt der letzten Beh枚rdenentscheidung, sondern diejenigen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung w盲ren. Denn die Klage ist gegen die Beh枚rde zu richten, die den urspr眉nglichen Verwaltungsakt erlassen hat (搂 63 Abs.1 Nr.1 FGO), und nicht gegen die Beh枚rde, die die Rechtsbehelfsentscheidung erlassen hat. Die Beh枚rde, die 眉ber die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts w盲hrend des Klageverfahrens zu entscheiden h盲tte, w盲re somit eine andere als die, die 眉ber den au脽ergerichtlichen Rechtsbehelf entschieden hat.
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Fundstellen
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BFH/NV 1991, 51 |
BStBl II 1991, 545 |
BFHE 164, 7 |
BFHE 1992, 7 |
BB 1991, 1253 |
BB 1991, 1253-1254 (LT) |
DB 1991, 1503-1504 (LT) |
HFR 1991, 516 (LT) |
StE 1991, 224 (K) |