听
Leitsatz (amtlich)
Im Gegensatz zu 搂 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung ist seit Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) f眉r die 脛nderung eines Steuerbescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen wegen Bekanntwerdens neuer Tatsachen oder Beweismittel nicht mehr erforderlich, da脽 die Tatsachen oder Beweismittel "von einigem Gewicht" sind.
听
Normenkette
AO 1977 搂 173 Abs. 1 Nr. 1
听
Verfahrensgang
听
Tatbestand
Streitig ist, ob die Finanzbeh枚rde berechtigt ist, aufgrund nachtr盲glich durch eine Betriebspr眉fung bekanntgewordener Tatsachen 脛nderungsbescheide zu erlassen, die zu nur geringf眉gigen Steuererh枚hungen gegen眉ber den urspr眉nglichen Bescheiden f眉hren.
Die Kl盲ger und Revisionskl盲ger zu 1) (Kl盲ger) sind Eheleute. Der Kl盲ger und Revisionskl盲ger zu 2) (Ehemann) betreibt einen Lebensmitteleinzelhandel. Bei einer Betriebspr眉fung ermittelte der Pr眉fer f眉r die Streitjahre 1973 und 1974 jeweils um 300 DM h枚here Gewinne und steuerpflichtige Ums盲tze. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erlie脽 - gest眉tzt auf 搂 173 der Abgabenordnung (AO 1977) - am 7. September 1977 f眉r die Veranlagungszeitr盲ume 1973 und 1974 ge盲nderte Einkommensteuerbescheide gegen die Eheleute und ge盲nderte Umsatzsteuerbescheide gegen den Ehemann als den Betriebsinhaber. Unter Ber眉cksichtigung der Steuerabzugsbetr盲ge wurde die zu zahlende Einkommensteuer geringf眉gig h枚her festgesetzt, und zwar f眉r 1973 um 78 DM auf 4 029 DM und f眉r 1974 um 64 DM auf 2 461 DM. Die Umsatzsteuer f眉r 1973 und 1974 wurde um je 33 DM auf 4 357 DM und 5 108 DM erh枚ht.
Gegen die 脛nderungsbescheide wandten sich die Kl盲ger mit der Sprungklage - in der Einkommensteuersache die Eheleute, in der Umsatzsteuersache der Ehemann - mit dem Begehren, die 脛nderungsbescheide aufzuheben. Sie trugen vor, die festgesetzten Mehrsteuern seien nicht von ausreichendem Gewicht, um die Berichtigung der Bescheide nach 搂 173 AO 1977 Abs. 1 Nr. 1 zu rechtfertigen.
Das Finanzgericht (FG) verband die beiden Klagen zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung und wies sie ab. Es f眉hrte aus, nach dem fr眉heren Rechtszustand (搂 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -) habe die Feststellung einer neuen Tatsache zur Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalles gef眉hrt; die neue Tatsache habe deshalb "von einigem Gewicht" sein m眉ssen. Mit Inkrafttreten der Abgabenordnung sei die Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalles entfallen. Nach 搂 173 AO 1977 d眉rften Steuerbescheide nur soweit ge盲ndert werden, als die neuen Tatsachen reichten. Es bed眉rfe daher des Korrektivs nicht mehr, da脽 die neuen Tatsachen ein ausreichendes Gewicht h盲tten.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Kl盲ger mit der vom FG zugelassenen Revision. Sie r眉gen Verletzung des 搂 173 AO 1977. In 搂 173 AO 1977 komme ebensowenig wie in 搂 222 AO zum Ausdruck, von welcher Gewichtigkeit Tatsachen sein m眉脽ten, um zu einer Berichtigungsveranlagung zu f眉hren. Es treffe nicht zu, da脽 der Bundesfinanzhof (BFH) in Auslegung des 搂 222 AO den Grundsatz, Berichtigungen seien nur m枚glich, wenn die neuen Tatsachen "von einigem Gewicht" seien, aus dem Gesichtspunkt der Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalles entwickelt habe. Wie sich aus den BFH-Urteilen vom 8. Februar 1962 V 180/59 U und V 211/61 U (BFHE 74, 610, 675, BStBl III 1962, 225, 249) ergebe, sei mit dem Erfordernis, da脽 die neuen Tatsachen von einigem Gewicht sein m眉脽ten, in erster Linie dem Grundsatz von Treu und Glauben und der Rechtssicherheit Rechnung getragen worden. Hieran habe sich auch nach Inkrafttreten der Abgabenordnung nichts ge盲ndert.
听
贰苍迟蝉肠丑别颈诲耻苍驳蝉驳谤眉苍诲别
Die Revision ist nicht begr眉ndet.
Das FG hat zutreffend entschieden, da脽 das FA die streitbefangenen 脛nderungsbescheide auch dann erlassen durfte, wenn sich nach Neuberechnung der Steuer nur eine geringf眉gige Erh枚hung der urspr眉nglich festgesetzten Steuer ergab.
Nach 搂 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu 盲ndern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachtr盲glich bekannt werden, die zu einer h枚heren Steuer f眉hren. Die Vorschriften der Abgabenordnung 眉ber die Aufhebung und 脛nderung von Verwaltungsakten sind erstmals anzuwenden, wenn - wie im Streitfall - Steuerverwaltungsakte nach dem 31. Dezember 1976 ge盲ndert werden (Art. 97 搂 9 des Einf眉hrungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Die 脛nderung mu脽 als Rechtsfolge aus dem nachtr盲glichen Bekanntwerden neuer Tatsachen oder Beweismittel abgeleitet werden k枚nnen. Die neuen Tatsachen und Beweismittel m眉ssen f眉r die Veranlagung des betreffenden Steuerpflichtigen rechtserheblich sein. Das ist der Fall, wenn das FA bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen schon bei der urspr眉nglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer anderen Steuer gelangt w盲re (Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., 搂 173 AO 1977 Tz. 13).
Nach dem Gesetzeswortlaut gen眉gt f眉r eine 脛nderung des urspr眉nglichen Steuerbescheids auch eine solche Tatsache, die nur zu einer geringf眉gigen Erh枚hung der Steuer f眉hrt. Der erkennende Senat stimmt mit dem FG 眉berein, da脽 es bei der jetzigen Fassung der Vorschrift nicht ang盲ngig ist, diese einschr盲nkend dahin auszulegen, 脛nderungen seien nur m枚glich, wenn sich aufgrund der neu bekanntgewordenen Tatsache eine h枚here Steuer ergebe, die entweder vom Betrag her oder im Verh盲ltnis zur bisher festgesetzten Steuer "von einigem Gewicht" sei.
Die Pr眉fung dieser Voraussetzung hatte die Rechtsprechung bei der Anwendung der bis zum 31. Dezember 1976 geltenden Berichtigungsvorschrift des 搂 222 Abs. 1 Nr. 1 AO verlangt. Dieses Erfordernis ergab sich auch damals nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Es wurde von der Rechtsprechung im Wege einer restriktiven Auslegung entwickelt und mit den verschiedensten Gr眉nden (Wortlaut des Gesetzes, Entstehungsgeschichte der Vorschrift, Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und der Rechtssicherheit) gerechtfertigt (vgl. BFH-Urteil vom 5. M盲rz 1970 V R 82/66, BFHE 99, 164, BStBl II 1970, 586, mit Rechtsprechungsnachweis). Diese restriktive Auslegung wurde aus dem Umstand abgeleitet, da脽 im Rahmen einer Berichtigungsveranlagung nach 搂 222 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 AO das FA berechtigt und verpflichtet war, den gesamten Steuerfall in tats盲chlicher und rechtlicher Hinsicnt erneut zu pr眉fen. Das FA war hierbei an die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der urspr眉nglichen Veranlagung nicht gebunden. Die neue Steuerfestsetzung war grunds盲tzlich so vorzunehmen, als handle es sich um die erste Veranlagung (sog. Wiederaufrollung der Veranlagung). An dieser Auffassung hat der BFH trotz Kritik im Schrifttum festgehalten (Urteil vom 30. Januar 1969 V 149/64, BFHE 95, 236, BStBl II 1969, 409).
Der Zwang zur Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalles zuungunsten des Steuerpflichtigen bei Bekanntwerden neuer Tatsachen und Beweismittel (vgl. 搂 222 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist mit Inkrafttreten der Abgabenordnung weggefallen. Eine Wiederaufrollung l盲脽t 搂 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht mehr zu. Es sind nur noch "punktuelle" 脛nderungen m枚glich. Der Gesetzgeber wollte mit der gegen眉ber 搂 222 Abs. 1 Nr. 1 AO ge盲nderten Formulierung des Gesetzes klarstellen, da脽 am Grundsatz der Gesamtaufrollung nicht mehr festgehalten wird (vgl. die Begr眉ndung zu 搂 154 des Regierungsentwurfs, Bundestags-Drucksache VI 1982 S. 153). Es besteht daher kein Anla脽, 搂 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 einschr盲nkend dahin auszulegen, da脽 die neuen Tatsachen und Beweismittel von einigem Gewicht sein m眉脽ten, um eine 脛nderung der Veranlagung zu rechtfertigen. Der Senat Schlie脽t sich damit der Auffassung des FG D眉sseldorf in dem nichtbeschwerdef盲higen Beschlu脽 vom 18. April 1978 XV 497/77 A (Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 436 - EFG 1978, 436 -) und des Bundesministers der Finanzen (BdF) in dem Einf眉hrungserla脽 zur Abgabenordnung vom 1. Oktober 1976 zu 搂 173 Nr. 1 (BStBl I 1976, 576, 611) an, da脽 es nicht mehr darauf ankommt, ob die neuen Tatsachen von einigem Gewicht sind. Das ist auch die 眉bereinstimmende Auffassung im Schrifttum (vgl. die Erl盲uterungsb眉cher zur Abgabenordnung: Koch, 2. Aufl., 搂 173 Tz. 13; K眉hn/Kutter, 13. Aufl., Anm. 5; Klein/Orlopp, 搂 173, Anm. 11; Michael Wolf, 1. Aufl., Erl盲uterungen zu 搂 173; Edgar Wolf, Erl盲uterungen zu 搂 173; ferner Woerner/Grube. Die Aufhebung und 脛nderung von Steuerverwaltungsakten - AO 1977 -, 6. Aufl., S. 83; Kirsten/Schmieder/Sch眉rmann, Berichtigung von Steuerverwaltungsakten und die Verj盲hrung nach der Abgabenordnung, 2. Aufl., S. 48 ff.; Lohmeyer, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1979 S. 149; Domann, Betriebs-Berater 1979 S. 516; Weber-Grellet, die Betriebspr眉fung 1979 S. 145). Nach 搂 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist f眉r jede Steuerart und f眉r jeden Steuerabschnitt getrennt zu untersuchen, ob die nachtr盲glich bekanntgewordenen Tatsachen zu einer h枚heren Steuer f眉hren. Ob von einer 脛nderung abgesehen werden kann, wenn die Mehrsteuern jeweils weniger als 20 DM betragen (vgl. den Einf眉hrungserla脽 des BdF, a. a. O., S. 606, Nr. 2 zu 搂 156), ist im Streitfall nicht zu entscheiden.
听
Fundstellen
亿兆体育-Index 74144 |
BStBl II 1982, 100 |
BFHE 1981, 3 |