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Leitsatz (amtlich)
Die Beh枚rde hat die bestrittene Bekanntgabe eines durch einfachen Brief versandten Steuerbescheids auch dann nachzuweisen, wenn der Mangel des Zugangs darauf beruhen kann, da脽 die Post den Brief mangels eines Hausbriefkastens nicht postalisch ordnungsm盲脽ig zugefertigt hat.
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Normenkette
VwZG 搂 17 Abs. 2
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Tatbestand
Der Kl盲ger und Revisionskl盲ger (Kl盲ger), der eine Speisegastst盲tte mit Pension und eigener Metzgerei betreibt, befand sich zusammen mit seiner Ehefrau in der Zeit vom 23. Oktober bis 12. November 1972 auf einer Urlaubsreise im Ausland. W盲hrend dieser Zeit war die Gastst盲tte geschlossen. Das Haus war lediglich von den damals 13 bzw. 15 Jahre alten Kindern des Kl盲gers bewohnt. Da der Kl盲ger keinen Hausbriefkasten besitzt, hatte er mit dem Postboten vereinbart, da脽 dieser die f眉r ihn bestimmten Postsendungen w盲hrend seines Urlaubs auf das Fensterbrett oder auf die Kellertreppe im Hof legen solle. Den Kindern hatte er den Auftrag gegeben, die dort niedergelegte Post nach R眉ckkehr aus der Schule mit in das Haus zu nehmen und gesammelt aufzubewahren.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erlie脽 unter dem 27. Oktober 1972 f眉r den Veranlagungszeitraum 1969 gegen den Kl盲ger einen Umsatzsteuerbescheid, der laut Absendevermerk auf der f眉r die Akten des FA bestimmten Durchschrift am 27. Oktober 1972 mit einfachem Brief zur Post gegeben wurde. Anl盲脽lich einer Vorsprache beim FA wegen eines ihm am 7. Dezember 1972 zugegangenen Kontoauszugs 眉ber zu entrichtende Einkommensteuer erkl盲rte der Kl盲ger, diesen Umsatzsteuerbescheid - ebenso wie den Einkommensteuerbescheid 1969 vom 25. Oktober 1972 und den Gewerbesteuerme脽bescheid 1969 vom gleichen Tage - nicht erhalten zu haben. Ihm wurde daraufhin eine Zweitschrift des Einkommensteuerbescheides ausgeh盲ndigt. Die Anlage zu diesem Bescheid, aus der zu ersehen ist, da脽 das FA die Zuf眉hrung eines Saalanbaues mit Kegelbahnen zum Anlageverm枚gen entsprechend dem Ergebnis einer Umsatzsteuersonderpr眉fung der Steuer f眉r den Selbstverbrauch - 搂 30 UStG 1967 - unterworfen hat, wurde ihm am 20. Dezember 1972 zugestellt. Eine Zweitschrift des Umsatzsteuerbescheides 1969 hat der Kl盲ger nicht erhalten.
Der Kl盲ger legte mit Schreiben vom 6. Januar 1973 - beim FA eingegangen am 8. Januar 1973 - gegen den Umsatzsteuerbescheid 1969 vom 27. Oktober 1972 Einspruch ein, den das FA jedoch wegen Vers盲umung der Einspruchsfrist als unzul盲ssig verwarf.
Zur Begr眉ndung seiner Klage, mit der er Freistellung von der Steuer f眉r den Selbstverbrauch hinsichtlich des Geb盲udezugangs begehrt, hat der Kl盲ger insbesondere vorgetragen, entgegen der Ansicht des FA k枚nne die Bekanntgabe des Bescheides mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post nicht als bewirkt gelten (搂 17 Abs. 2 VwZG), weil die Zustellung der Postsendung durch Niederlegen auf dem Fensterbrett oder der Kellertreppe nicht ordnungsm盲脽ig gewesen sei. Das Fehlen eines Hausbriefkastens k枚nne ihm ebensowenig angelastet werden wie die Beauftragung der Kinder, die Post zu sammeln und aufzubewahren.
Das FG hat die Klage abgewiesen und zur Begr眉ndung ausgef眉hrt: Da das FA den Umsatzsteuerbescheid 1969 am 27. Oktober 1972 durch einfachen Brief zur Post gegeben habe, gelte der 30. Oktober 1972 als Tag der Bekanntgabe (搂 17 Abs. 2 VwZG). Der Einspruch h盲tte daher sp盲testens am Donnerstag, dem 30. November 1972, beim FA eingehen m眉ssen. Die Behauptung des Kl盲gers, den Bescheid nicht erhalten zu haben, k枚nne im vorliegenden Falle nicht dazu f眉hren, da脽 das FA dessen Zugang nachweisen m眉sse (搂 17 Abs. 2 am Ende VwZG). Denn der Kl盲ger k枚nne wegen der besonderen Umst盲nde des Falles nicht schl眉ssig behaupten, da脽 ihm der Umsatzsteuerbescheid nicht zugestellt worden sei. Es sei durchaus m枚glich, da脽 einzelne auf dem Fensterbrett oder der Kellertreppe niedergelegte Briefe von spielenden Kindern mitgenommen worden oder durch Witterungseinfl眉sse verlorengegangen seien. Die Zustellungsvermutung des 搂 17 Abs. 2 VwZG gelte daher unangefochten. Das FA habe zu Recht auch die Gew盲hrung von Nachsicht (搂 86 AO) wegen der Fristvers盲umung abgelehnt. Es habe dem Kl盲ger am 14. Dezember 1972 er枚ffnet, da脽 der Umsatzsteuerbescheid 1969 am 27. Oktober 1972 zur Post gegeben worden sei. Wegen der bei der Umsatzsteuersonderpr眉fung aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten 眉ber die Steuerpflicht des Selbstverbrauchs hinsichtlich des Saalanbaues h盲tte sich der Kl盲ger anl盲脽lich seiner Vorsprache zumindest 眉ber den Inhalt des Umsatzsteuerbescheides 1969 informieren k枚nnen und m眉ssen. Damit sei das Hindernis zur Einlegung des Einspruches (搂 86 Abs. 2 AO) weggefallen (vgl. Urteil des BFH vom 18. Mai 1966 II 110/63, BFHE 86, 257, BStBl III 1966, 561). Die Frist des 搂 86 Abs. 2 AO sei am 28. Dezember 1972 abgelaufen. Der Antrag auf Nachsichtgew盲hrung und der Rechtsbehelf seien erst am 8. Januar 1973, also versp盲tet, beim FA eingegangen.
Mit der Revision tr盲gt der Kl盲ger im wesentlichen vor: Das FG habe seine Pflicht zur Sachaufkl盲rung verletzt, weil es nicht untersucht habe, inwieweit Nachsichtsgr眉nde darin zu sehen seien, da脽 das FA ihn als einen in Steuersachen unerfahrenen B眉rger 眉ber den Inhalt und die Auswirkungen des Umsatzsteuerbescheides im unklaren gelassen und ihm nicht auch eine Ablichtung dieses Bescheides ausgeh盲ndigt habe. Im 眉brigen gehe das FG zu Unrecht davon aus, da脽 die Frist des 搂 86 Abs. 2 AO am 28. Dezember 1972 abgelaufen sei. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil II 110/63) k枚nne in F盲llen, bei denen weder der Steuerpflichtige noch sein Bevollm盲chtigter den Bescheid jemals gesehen h盲tten, ein Antrag auf Nachsicht erst gestellt und die vers盲umte Rechtshandlung erst nachgeholt werden, wenn der Inhalt des Steuerbescheides dem Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter bekanntgeworden sei. Erst dann sei das Hindernis, das der Einlegung des Einspruchs entgegengestanden habe, weggefallen. Eine Ablichtung des Umsatzsteuerbescheides habe er jedoch bis heute nicht erhalten. Kenntnis von der Besteuerung des Selbstverbrauchs hinsichtlich des Saalanbaues habe er erst durch die Zusendung der Erl盲uterungen zum Einkommensteuerbescheid erhalten. Diese seien vom FA am 20. Dezember 1972 zur Post gegeben worden. Sie g盲lten somit mit dem 23. Dezember 1972 als bekanntgemacht. Die Frist f眉r den Antrag auf Nachsichtgew盲hrung habe daher mit dem 24. Dezember 1972 begonnen. Sie sei - da der 6. Januar 1973 ein Samstag gewesen sei - am 8. Januar 1973 abgelaufen. An diesem Tage aber seien der Antrag auf Nachsichtgew盲hrung und der Einspruch beim FA eingegangen.
Der Kl盲ger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, Nachsicht zu gew盲hren und die Sache an das FG zur Entscheidung 眉ber die materielle Rechtsfrage zur眉ckzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegr眉ndet zur眉ckzuweisen.
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Die Revision f眉hrt, wenn auch aus anderen als den geltend gemachten Revisionsgr眉nden (搂 118 Abs. 3 Satz 2 FGO), zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zur眉ckverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Mit seinem als R眉ge der mangelnden Sachaufkl盲rung bezeichneten Vorbringen macht der Kl盲ger geltend, das FG habe bei Anwendung des 搂 86 AO zu ber眉cksichtigende Umst盲nde au脽er acht gelassen. Er behauptet damit einen Fehler der Rechtsanwendung und nicht einen Mangel des finanzgerichtlichen Verfahrens. Mit der Revision wird daher ausschlie脽lich die Verletzung materiellen Rechts ger眉gt.
2. Die Ansicht des FG, der 30. Oktober 1972 gelte als Tag der Bekanntgabe des Umsatzsteuerbescheides 1969 an den Kl盲ger, ohne da脽 es eines Nachweises durch das FA bed眉rfe, da脽 der Bescheid an diesem Tag zugegangen sei, vermag der Senat nicht zu teilen.
Nach 搂 17 Abs. 2 VwZG gilt bei Versendung eines Steuerbescheides durch einfachen Brief (搂 17 Abs. 1 VwZG) die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt. Diese gesetzliche Vermutung versagt, wenn das Schriftst眉ck nicht oder zu einem sp盲teren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Beh枚rde den Zugang des Schriftst眉cks und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Macht der Adressat des Briefes geltend, die Sendung sp盲ter erhalten zu haben, mu脽 er, um Zweifel zu begr眉nden, substantiiert Tatsachen vortragen, die den Schlu脽 darauf zulassen, da脽 ein anderer Geschehensablauf als der typische - Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post - ernstlich in Betracht zu ziehen sei (Poststempel des Briefumschlages, Eingangsvermerk, Zeugen). Bestreitet der Adressat aber, wie im Streitfalle, da脽 ihm das Schriftst眉ck 眉berhaupt zugegangen sei, so kann vom ihm eine Substantiierung dieses Bestreitens nicht verlangt werden, weil er hierzu objektiv nicht in der Lage ist (vgl. Urteil des BFH vom 23. September 1966 III 226/63, BFHE 87, 203, BStBl III 1967, 99). So liegt hier der Fall. Denn das Niederlegen der Postsendungen auf dem Fensterbrett oder der Kellertreppe kann entgegen der Ansicht des FG nicht als Zugang i. S. des 搂 17 Abs. 2 VwZG gewertet werden. Zugegangen ist eine Sendung nur dann, wenn sie derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, da脽 er unter Ausschlu脽 unbefugter Dritter von dem Schriftst眉ck Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach allgemeinen Gepflogenheiten auch erwartet werden kann (vgl. Beschlu脽 des BVerwG vom 1. Juli 1971 VII CB 23/69, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 340, 搂 17 VwZG Nr. 2 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Diese Voraussetzung ist regelm盲脽ig erf眉llt, wenn die Sendung entsprechend den postalischen Vorschriften zugestellt wird. Nach 搂 50 Abs. 1 der Postordnung (PostO) sind Postsendungen dem Empf盲nger, seinem Ehegatten oder Postbevollm盲chtigten zuzustellen, d. h. regelm盲脽ig in der Wohnung auszuliefern (vgl. K盲mmerer-Eidenm眉ller, Post- und Fernmeldewesen, Kommentar, Anm. 4 zu 搂 50 PostO). Gew枚hnliche Briefe gelten dar眉ber hinaus als zugestellt, wenn sie in einen f眉r den Empf盲nger bestimmten Hausbriefkasten eingelegt sind (搂 50 Abs. 4 PostO). Wenn der Empf盲nger, sein Ehegatte oder Postbevollm盲chtigte nicht angetroffen werden, kann gem盲脽 搂 51 PostO an einen Ersatzempf盲nger zugestellt werden. Bei Fehlen eines Haus- oder Wohnungsbriefkastens d眉rfen die Sendungen durch einen Spalt der Wohnungst眉re zugestellt werden (vgl. K盲mmerer-Eidenm眉ller, a. a. O., Anm. 14 a am Ende). Ein Niederlegen der Sendungen auf dem Fensterbrett oder auf der Treppe ist dagegen nicht vorgesehen. Es ist eindeutig die Pflicht der Post, die Sendungen der Verf眉gungsgewalt des Empf盲ngers zu unterwerfen und dem Eingriff dritter Personen zu entziehen (vgl. Urteil des BVerwG vom 26. April 1968 VII C 180/66, NJW 1963, 1394).
Diese Pflicht der Post besteht insbesondere gegen眉ber dem Absender. Die Zustellung ist der abschlie脽ende Akt der Postbef枚rderung, die aufgrund eines Nutzungsverh盲ltnisses zwischen dem Absender und der Post erfolgt. Die Zustellung und die Art der Zustellung sind daher prim盲r Inhalt dieses Nutzungsverh盲ltnisses (Urteil des BVerwG VII C 180/66). Der Empf盲nger kann auf die Art der Zustellung nur insoweit Einflu脽 nehmen, als ihm die Post nach 搂 53 PostO gestatten kann, f眉r ihn bestimmte Sendungen selbst abzuholen, und er nach 搂 58 PostO die Nachsendung der f眉r ihn bestimmten Briefe beantragen kann. Bei dieser Rechtslage sieht der Senat keine Veranlassung, der Vereinbarung zwischen dem Kl盲ger und dem Brieftr盲ger, aufgrund derer die Niederlegung auf der Kellertreppe oder dem Fensterbrett erfolgte, eine den Kl盲ger belastende Bedeutung beizumessen. Das FA hat - einer allgemeinen 脺bung entsprechend - den Steuerbescheid durch einfachen Brief zur Post gegeben. Diese vereinfachte Art der Bekanntgabe eines Steuerbescheids im Besteuerungsverfahren steht, da 搂 17 VwZG eine Kann-Vorschrift ist, im Belieben des FA. Dieses mu脽 daher grunds盲tzlich das Risiko der vereinfachten Zustellung, insbesondere bei Bestreiten des Zugangs, tragen (vgl. das genannte BFH-Urteil III 226/63).
3. Die Vorentscheidung ist von anderen rechtlichen Erw盲gungen ausgegangen. Sie war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird deshalb an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zur眉ckverwiesen. Dieses wird dem FA Gelegenheit geben, den Nachweis des Zugangs zu erbringen, und im gegebenen Falle erneut 眉ber den Antrag auf Nachsichtgew盲hrung zu entscheiden haben. Sollte das FA nicht in der Lage sein, den Zugang nachzuweisen, ist aber der Inhalt des Bescheides dem Kl盲ger bekanntgegeben worden (搂 91 AO), so steht die Vers盲umung der Einspruchsfrist einer Sachentscheidung durch das FG nicht entgegen (vgl. BFH-Beschlu脽 vom 3. Oktober 1972 VII B 152/70, BFHE 107, 163, BStBl II 1973, 84).
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Fundstellen
亿兆体育-Index 71270 |
BStBl II 1975, 286 |
BFHE 1975, 176 |